Gastkonzert in der Tonhalle Ganz leise und doch ganz groß: Orchesterkultur aus Straßburg

Düsseldorf · Exzellenter Abend mit dem Orchestre philharmonique de Strasbourg im Heinersdorff-Konzert.

Bei genauer Betrachtung ist Ravels „Bolero“ ein Burger XXL. Eine Schicht, dann noch eine, dann eine neue, immer so weiter, jede mit neuem Aroma, Geschmack und Klangfarbe. Am Ende legen sich die Streicher obendrauf und deckeln dieses weltberühmte Prinzip der Addition nach Noten. Gern wird das beliebte und als Klangetüde wertvolle Stück wie eine vulgäre Zirkusnummer ausgeschlachtet.

Dass es auch anders geht, bewies jetzt das vortreffliche Orchestre philharmonique de Strasbourg bei seinem Gastkonzert in der Tonhalle. Bedenkliche Emissionsgrenzwerte der Lautstärke erreichte es fast nie, was zum einen mit seiner offenkundigen Selbstverpflichtung zu Diskretion und Delikatesse zu tun hatte. Zum anderen stand vorn ein Mann, der das völlige Gegenteil des Showstars am Pult ist: der Slowene Marko Letonja. Mit ruhiger, klarer, faxenfreier Zeichengebung koordinierte er den „Bolero“ wie eine Komposition, die sich gleichsam von selbst aufführt. Ergebnis: Das Werk brüllte nicht, sondern besaß sogar Charme.

Auf seine Philharmoniker kann Letonja sich verlassen. Sie bewiesen, dass die gallische Orchesterkultur jenseits von Paris vor allem in der Peripherie gedeiht, in Toulouse, in Lille – und in Straßburg. Prächtig die Holzbläser, weich schwingend die Streicher, vornehm das Blech, punktgenau die in Kohortenstärke angetretenen Perkussionisten. Nur der Solo-Hornist hatte etwas Kummer mit seinem Ansatz. Das Programm griff von Frankreich aus in die Welt. Neben Ravels „Daphnis et Chloë“-Suite (betörend flirrend im „Lever de jour“) gab es Bizets „Carmen“-Suite, die in der Straßburger Lesart bei allem Schmiss eine melancholische Dimension besaß, als Ahnung vom tödlichen Freiheitswillen der Heldin.

Vor der Pause Gershwins „Rhapsody in Blue“ mit dem in vielen stilistischen Seen wasserfesten Pianisten Francesco Tristano. Er schmiegte sich dem Klangprinzip des Orchesters an: Auch er gab nicht den Tastenlöwen, sondern gleichsam den Barmusiker, der zeigte, wie viel Jazz auch in den leisen Passagen steckt. Seine Grifftechnik imponierte, sein Geschmack nicht minder. Das Publikum hatte wohl mehr Heinz-Ketchup in Musik erwartet, der Beifall fiel unverdient kurz aus.

Als Zugabe das butterweiche Adagietto aus Bizets erster „L’Arlésienne“-Suite, 34 Takte Streicherflor als Abschied eines Orchesters, das auch ganz leise ganz groß ist.

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