Fotoausstellung von Andreas Bretz in Düsseldorf Inseln in der Bilderflut

„Im Fokus“: Unser Fotograf Andreas Bretz zeigt im Oberlandesgericht Düsseldorf Bilder aus den vergangenen 20 Jahren.

 Die letzte Stütze vom Tausendfüßler beim Abriss der Hochstraße 2013. Im Hintergrund: Dreischeibenhaus und Schauspielhaus.

Die letzte Stütze vom Tausendfüßler beim Abriss der Hochstraße 2013. Im Hintergrund: Dreischeibenhaus und Schauspielhaus.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Ein gutes Foto ist ein Foto, auf das man länger als eine Sekunde schaut. Das hat der Fotograf Henri ­Cartier-Bresson gesagt. Der Satz bringt auf den Punkt, um was es Andreas Bretz geht: Er möchte keine Bilder machen, die bloß optische Ergänzung sind. Er macht Fotos, die er als selbstbewusstes, optisches und inhaltliches Element begreift. Fotos, die eine eigenständige Visualisierung darstellen; die sie begleitenden Texte ergänzen sie – und umgekehrt.

Die letzte y-förmige charakteristische Stütze vom Tausendfüßler, die einsam in den Trümmern vor dem Dreischeibenhaus und dem Schauspielhaus steht. Ein Foto, das für den jahrelangen politischen Streit um die Hochstrasse steht.

Die Angeklagte, die einsam im Gerichtssaal sitzt, verschleiert und eingehüllt in ein Tuch. Ein Bild, das an die Darstellung einer Madonna erinnert. Ihre Identität bleibt offen.

Udo Lindenberg liegt lässig auf dem Sofa in einer Suite im Breidenbacher Hof. Der Ort ist ihm offensichtlich vertraut, hier hat er einst als Page und Liftboy sein erstes Geld verdient.

Drei besondere, außergewöhnliche Aufnahmen. Drei von 28 Fotografien, die Andreas Bretz jetzt im Oberlandesgericht an der Cecilienallee zeigt. Sein Best-of sozusagen. Weit über 1000 Bretz-Bilder veröffentlicht die Rheinische Post pro Jahr. Seine Arbeiten prägen seit 20 Jahren das optische Erscheinungsbild dieser Zeitung, sowohl in der Printausgabe als auch digital.

Bretz nimmt in der Ausstellung die Fotos aus ihrem ursprünglichen redaktionellen Kontext, sie stehen nun jeweils für sich. Jedes Foto entfaltet enorme Wirkung. Schon auf den ersten Blick sind die Bilder klar und verständlich. Durch die Schwarz-Weiß-Ästhetik bekommen sie etwas Zeitloses, etwas Bewahrendes.

 Sänger Udo Lindenberg im Breidenbacher Hof, 2016.

Sänger Udo Lindenberg im Breidenbacher Hof, 2016.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Bretz dokumentiert Düsseldorfer Stadtgeschichte, porträtiert Menschen aus Politik, Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft. Vom Obdachlosen bis zum Malerfürsten bilden seine Fotografien einen Querschnitt verschiedener sozialer Milieus ab. Personen, die jeder schon 1000 Mal gesehen hat, zeigen die Bilder auf überraschende Weise.

Der journalistische Auftrag öffnet ihm viele Türen, er kommt an Orte, die nicht jedem zugänglich sind. Und doch ist sein Alltag oft hektisch: geplante Fototermine, überraschende Einsätze, oft Zeitdruck – zwischendurch Fotos editieren, vertexten, versenden und der Redaktion bereitstellen.

Dabei stellt Bretz einen hohen Anspruch an sich selbst. Bis heute setzt er den Tipp eines früheren Kollegen um, jedes Foto so zu fotografieren, als sei es ein Aufmacherbild, das tragende Bild also, der Eyecatcher der Seite. Bretz versteht sich nicht als Bilddokumentarist im traditionellen Sinne, er hat einen fotografischen und journalistischen Anspruch. Immer auf der Suche nach dem anderen Bild, dem besonderen Moment, dem eigenen Bild. „Obwohl mir meist nur wenige Minuten für ein Foto zur Verfügung stehen, möchte ich stets den besonderen Moment festhalten.“ Dafür bleibt er zunächst oft im Hintergrund, wartet und beobachtet, bis er „sein“ Motiv gefunden hat.

Die Inszenierung eines Motivs versucht er zu vermeiden. Das hat mit seinen fotografischen Wurzeln zu tun. Geboren und aufgewachsen im Ruhrgebiet hat er als 20-jähriger Autodidakt seine ersten Fototermine für die WAZ fotografiert, anschließend einige Jahre für verschiedene Sportagenturen gearbeitet und dort das Handwerk und das Gespür für den entscheidenden Moment gelernt, bevor er schließlich 1999 ein Volontariat bei der Rheinischen Post absolvierte.

Damit machte er in jener spannenden Phase den Bildjournalismus zu seinem Beruf, in der die digitale Farbfotografie die analoge Schwarz-Weiß-Fotografie ablöste und die digitale Bildbearbeitung die tägliche Arbeit in der Dunkelkammer ersetzte.

Obwohl Andreas Bretz seit dieser Zeit digital und in Farbe fotografiert, stammt seine Vorliebe für Schwarz-Weiß-Fotografie aus der analogen Zeit. Schon damals haben ihn zwei große Künstler der Schwarz-Weiß-Fotografie inspiriert und fasziniert: Henri Cartier-Bresson und Sebastiao Salgado. „Farbe lenkt vom Motiv ab“, sagt Bretz. „Ich nehme das, was ich farbig sehe, schwarz-weiß wahr.“ Außerhalb der Rheinischen Post präsentiert Bretz seine Fotografie schwarz-weiß. Abonnenten seines Instagram-Accounts sehen ausgewählte Bilder aus seinem beruflichen Alltag in Schwarz-Weiß.

 Eine Angeklagte vor dem Landgericht, 2007.

Eine Angeklagte vor dem Landgericht, 2007.

Foto: Bretz, Andreas (abr)

Seine Fotos sind konzentriert in der Komposition. Bretz setzt die Schärfe als Stilmittel ein, damit lenkt er den Blick des Betrachters auf den entscheidenden Bildteil. Seine Porträts sind warm und weich im Ausdruck, oft fotografiert er Menschen mit Umfeld, das Privates erzählt und viel über den Menschen verrät. Im Gegensatz dazu entwickelt Bretz seine Fotografien digital eher härter und kontrastreicher, er liebt das tiefe Schwarz, oft sind seine Motive durch eine leichte Vignettierung noch fokussierter. In dieser Spannung liegt eine Qualität, sie zieht den Betrachter in den Bann.

Zu sehen sind Einzelbilder, die jedoch nicht alleine stehen, sondern über sich hinausweisen, eine Geschichte erzählen. Die hält Bretz fest, mehr noch: Er formuliert ein Gesellschaftsbild, er visualisiert Zeitgeist. Seine Fotos sind direkt als Bretz-Fotos zu identifizieren. Er schafft Inseln in der Bilderflut. Man verweilt darauf gerne länger als eine Sekunde.

Andreas Bretz hat seine Bildsprache über Jahre entwickelt. Dabei ist er ein intuitiver Fotograf und komponiert seine Bilder mehr oder weniger unbewusst. Reden über Fotografie und die Entstehung und Planung von Bildern wird ihm schnell zu theoretisch: „Ich fotografiere, was ich sehe“, so lautet seine Philosophie.

Mit anderen Worten: Bretz ist ein Augenmensch, der uns die Welt sehen lehrt. Hinsehen lohnt sich.

Andreas Krebs ist Fotochef unserer Zentralredaktion.

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