Düsseldorf Fingertheater für die große Leinwand

Düsseldorf · Zum Auftakt des Temps-D'Images-Festival wurde im Tanzhaus NRW ein Film gedreht und zeitgleich vorgeführt.

 Szene aus "Cold Blood", das im Tanzhaus gezeigt wurde.

Szene aus "Cold Blood", das im Tanzhaus gezeigt wurde.

Foto: Julien Lambert

Kann sein, dass sich der Abend am Ende des Jahres in der persönlichen Bestenliste wiederfindet. Dass man sich im Dezember an Anfang des Jahres erinnern wird und dann denkt: Ja, "Cold Blood", das war eine der Top-Aufführungen, da war alles drin: Technik, gute Musik und Überraschung — vorher hätte man nicht gedacht, dass man so etwas so perfekt auf die Bühne bringen kann.

Im Tanzhaus NRW wurde nun das Temps-D'Images-Festival eröffnet, mit einem Live-Filmdreh vor Publikum, der Film wiederum wurde zeitgleich über den zehn Köpfen des Ensembles vorgeführt, gespielt wurde hauptsächlich mit den Fingern in schuhkartongroßen Kulissen.

Zu Beginn sagt ein Sprecher mit hypnotisierender Stimme: "Jetzt schlafen Sie ein! Eins, zwei, drei." Rabenschwarze Nacht: Auf der Bühne füllt sich ein Aquarium mit weißem Rauch aus der Nebelmaschine, es gibt flackernde Taschenlampen-Blitze und ein Modellflugzeug, das an einer Art Schaschlik-Stab hängt — auf der Kinoleinwand sieht man einen Jumbo-Jet in Turbulenzen durch das schlimmste Gewitter fliegen.

"Cold Blood" — da feuert die Kommandozentrale im Assoziationskortex aus allen Rohren. Bei dem Titel denkt man an Vampir-Trilogien, kühle Industrial-Elektromusik oder an Truman Capotes Mord-und-Totschlag-Story "Kaltblütig", jedenfalls an nichts Gutes.

Tatsächlich lauert der Tod in der Produktion von Choreografin Michèle Anne De Mey und Regisseur und Cannes-Preisträger Jaco Van Dormael an jeder Ecke. Das Flugzeug stürzt ab und kracht in einen Wald. Auf der Bühne stellen sie es auf einer mit Moos und Ästen bedeckten Tischplatte ab. Auf der Leinwand sieht die Miniaturwelt aus wie ein Kiefernwald im Mecklenburg.

Siebenmal wird in "Cold Blood" der Tod vorgeführt, in sieben Episoden bewegen sich die Hauptfiguren unaufhaltsam auf das Ende zu. Einer gerät in der Waschstraße in die Walzenbürsten. Aus den Lautsprechern dröhnt "Perfect Day" von Lou Reed. Auch Doris Day, David Bowie und Ravels "Boléro" gehören zur Filmmusik — der Tod hat hier eine gewisse Klasse.

Gespielt wird mit den Händen, zu erleben ist ein Daumenkino, in dem auch Zeige- und Mittelfinger mittun dürfen. So bewegen sich die ungewöhnlichen Hauptfiguren durch düstere Noir-Häuserschluchten, mit dem Wagen ins Autokino, einmal werden beim Stepptanz die Schwarz-Weiß-Filme der 20er und 30er Jahre zitiert.

Das Tolle ist, dass man sich entweder der Illusion auf der Leinwand hingeben oder beim Produktionsprozess auf der Bühne zuschauen kann. "Cold Blood" ist ein Zaubertrick, der immer auch auf das Gemachtsein verweist.

Zuletzt noch mal die Stimme: "Eins, zwei, drei. Sie wachen jetzt auf." Schade eigentlich.

(kl)
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