Gastbeitrag Drik Blothner Über die Spannungen in einer Ehe

Düsseldorf · In der Black Box wäre heute der Film „Gone Girl“ gezeigt worden - mit anschließender psychoanalytischer Deutung. Wegen der Pandemie kann die Veranstaltung nicht stattfinden. Den Vortrag aber lesen Sie hier.

Bevor Amy (Rosamund Pike) ihren Mann Nick (Ben Affleck) heiratete, war sie durch die von ihren Eltern geschaffene Kinderbuchfigur „Amazing Amy“ zu Berühmtheit gelangt. Jetzt, nach fünf Jahren, zerbricht ihre Ehe nicht nur an der Trägheit und dreisten Untreue ihres Mannes, sondern auch an ihrer eigenen, obsessiven Kontrollsucht.

Amy verschwindet eines Tages und bringt aus Enttäuschung über Nicks Verhalten mit geschickt platzierten Hinweisen die Öffentlichkeit zu der Annahme, dass sie von ihrem Mann ermordet wurde. Sollte es ihr gelingen, ihn mit dieser Inszenierung auf den elektrischen Stuhl zu bringen, will sie sich selbst das Leben nehmen. Mit Hilfe eines Staranwalts nimmt der in die Enge getriebene Mann den Ball auf und zieht mit gespielter Reue die Medien auf seine Seite. Amy erkennt ihn nun als Komplizen – als jemanden, der die Menschen so gut zu manipulieren weiß wie sie selbst – und gibt ihren Racheplan wieder auf. Stattdessen inszeniert sie eine Bluttat, um Medien und Polizei von ihrer Liebe für Nick zu überzeugen. Sie täuscht vor, entführt und vergewaltigt worden zu sein und gesteht, sich aus der Gewalt ihres Peinigers durch dessen Tötung befreit zu haben.

Nick ist von der Kaltblütigkeit und Gewaltbereitschaft seiner Frau abgestoßen. Aber er ist nicht nur eine Figur in deren kühl ausgeklügelter Intrige, sondern steht zudem über die Medien im Fokus der Öffentlichkeit. Die möchte, dass er auch weiterhin den reumütigen Ehemann spielt, als der er sich selbst bekannt machte. Schließlich gibt er seinen Widerstand auf und fügt sich in Amys Inszenierung einer „glücklichen Ehe“.

In „Gone Girl“ wird ein Ehestreit nicht über Diskussionen zwischen den Hauptfiguren ausgetragen, sondern in den heftigen Umschwüngen unmoralischer und krimineller Handlungen bildhaft entfaltet. Auf diese Weise macht der Film mit seinen Mitteln deutlich, worum es in der Ehe geht: Sie ist ein menschliches Unternehmen, bei dem zwei Menschen mit unterschiedlichen Lebensbildern ein „Haus der Liebe“ zu bauen suchen. Aber die beiden Bilder drehen sich um Punkte, die den Eheleuten nicht verfügbar sind. Sie sind unbewusst. Aus konflikthaften Situationen resultieren daher notwendig Missverständnisse, bewusste und weniger bewusste Täuschungen und manchmal gewalttätige Impulse. Zugleich ist ein Kampf um die Einheit am Werk, der das Entzweiende zu überwinden sucht.

Ob eine Ehe Bestand hat, ob man sie als „glücklich“ bezeichnen kann, hängt davon ab, wie die Partner diesen Grundkonflikt zu behandeln wissen. Ehekonflikte werden in aller Regel nicht mit derart drastischen Mitteln ausgetragen wie in „Gone Girl“. Aber den Plot des Films kann man als eine Metapher für unbewusst mitwirkende Prozesse des Unternehmens Ehe sehen. Es setzt tatsächlich archaisch anmutende Fantasien in Gang, und sie haben wirklich märchenhafte oder auch filmische Züge. Wenn Finchers Film den Zuschauern also unbewusste Tendenzen in der Ehe als offen manipulative, ja kriminelle Handlungen vor Augen führt, bekommen sie eine „gefühlte“ Vorstellung davon, was Ehe psychoanalytisch gesehen bedeutet. Und wenn Nick am Ende dem Bild des glücklichen Ehepaares, das die Medien als Erwartung herausgebildet haben, zu entsprechen sucht und trotz seiner Abscheu vor Amys Kälte bei ihr bleibt, trifft auch diese letzte Wendung der Farce einen psychologischen Kern.

 Professor Dirk Blothner ist Filmpsychologe und Psychoanalytiker.

Professor Dirk Blothner ist Filmpsychologe und Psychoanalytiker.

Foto: Blothner

Die zentrifugalen Kräfte sind viel zu stark, um von den Eheleuten allein bewältigt zu werden. Sie sind auf kulturelle Bilder, Erwartungen und Rituale angewiesen. Das „glückliche Bild“ von Ehe, das Nick und Amy am Ende abgeben, läuft im Film zwar auf eine Täuschung der Öffentlichkeit hinaus. Aber im wirklichen Leben bieten die Erwartungen der Gesellschaft oder des familiären Umfeldes Orientierungen an, an die sich die Menschen halten können, wenn sie in der spannungsvollen Unruhe der psychischen Wirklichkeit ein gemeinsames „Haus der Liebe“ bauen.

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