Erinnerung an Ferdinand Kriwet Der Pionier der offenen Form

Ferdinand Kriwet lotete schon als Jugendlicher die Bild- und Zeichensprache der Massenmedien aus. Nun widmet ihm das Heine-Institut eine Ausstellung. Eine persönliche Erinnerung.

 Ferdinand Kriwet 1971 in Düsseldorf.

Ferdinand Kriwet 1971 in Düsseldorf.

Foto: Angelika Platen / dpa

Im April 2018 gab Ferdinand (Albert Josef) Kriwet sein letztes Buch heraus. Eine Autobiografie, in der er unter seinem Vornamen Albert über sein gelebtes und gelittenes Leben, über Sehnsüchte und die verrinnende Zeit schrieb. Einen Monat später setzte er eine Trauerkarte auf und signierte sie: „Again and Again“ lauteten die wiederkehrenden Worte. Nur das eine Wort in der letzten Ecke war ausgetauscht. „Gone“ hieß es. Am 17. Dezember 2018 wurde es eingelöst. Seine Urne verschwand im Meer.

Wir fanden uns immer wieder zu langen Gesprächen. So traf ich ihn 1992 in Dunum in Ostfriesland, wo er eine Immobilie nicht verkaufen konnte und daher so abgebrannt war, dass er sich mittags in einem Kaufhaus nur eine Tütensuppe gönnte, in die er ein Ei kippte. Zum Zeitvertreib las er Arno Schmidt, Marcel Proust und Laurence Stern, trank Tee und führte den Hund aus.

Sein Leben war ein stetes Auf und Ab zwischen Schlossbesitz in Dodenburg oder Villa in Dresden und Mittellosigkeit, zwischen Euphorie und einem fast 20-jährigen Krebsleiden. Als er im Bombenhagel des 3. August 1942 in Düsseldorf geboren wurde, schickte seine Tante Glasscheiben ins Krankenhaus. Als er im Sterben lag, machte er ein allerletztes Buch, nannte es Surium, frei nach einem Sammelsurium. Es enthielt frühe Texte und kam posthum heraus.

Er war der Sohn eines Würstchenbudenbesitzers, der im Bauwagen startete und an der Graf-Adolf-Straße 58 „Kriwet's Schnellbetriebe“ erfolgreich führte. Weniger erfolgreich verlief die schulische Laufbahn des Sohnes. Er wurde wegen seiner nervenkranken Mutter ins Internat und ins Waisenhaus gereicht und resümierte: „Einer, der Dichter ist und hat noch nicht einmal die 10. Klasse geschafft, das wäre heute nicht mehr möglich.“ 1961, noch nicht volljährig, brachte er sein erstes Buch „Rotor“ bei DuMont heraus.

Schon 15-jährig hatte er damit begonnen und mit Verlagen wie Fischer und Suhrkamp korrespondiert. Ein Buch ohne Punkt und Komma, atemlos, vorwärts drängend geschrieben. Bandwurmsätze eines störrischen Jungen. Doch Konrad Boehmer, der mit Karlheinz Stockhausen im Studio für Elektronische Musik des WDR in Köln arbeitete, schrieb das Nachwort. Und der Galerist Jean Pierre Wilhelm, sein intellektueller Ziehvater, verfasste den Klappentext. Der Junge war geadelt, dessen Oeuvre man von vorn oder hinten lesen konnte.

„Das Lesen von seiner Linearität zu befreien, das war keine Erfindung von mir, sondern das war ein Bedürfnis von mir, um aus der traditionellen Literatur auszubrechen“, so seine Worte. Er geriet immer wieder an die richtigen Leute. Am experimentierfreudigen Ulmer Theater waren es Claus Bremer und Ulrich Brecht, die Stücke machten, deren Ablauf nicht festgelegt war. Die Begegnungen mit Max Bense und Helmut Heißenbüttel müssen ungewöhnlich gewesen sein, denn Kriwet nannte sich einen „Nichtskönner, versehen mit der Überheblichkeit und Arroganz der Jugend“ und lobte Heißenbüttel als „hochintelligenten, gebildeten Mann“.

Als „Autodidakt“, wie er sich stolz nannte, war er der Richtige für die „offene Form“ in der neuen Musik wie in der konkreten Poesie. In „Offen“, einem Sprechtext für fünf Solisten, gewann er Gerhard Rühm, Paul Pörtner, Daniel Spoerri und Eugene Ionesco als Kollegen. Kriwet war in den 1960er und 1970er Jahren auf der Höhe der Zeit, stellte im „studio f“ des Kunstsammlers Kurt Fried mit Man Ray aus und hatte weiterhin Jean Pierre Wilhelm, den Kenner von Literatur und Kunst, als Ziehvater. In dessen Galerie 22 traf sich die Szene um Twombly, Rauschenberg, Fautrier, John Cage und Nam June Paik.

„Es war eine kommunikative Zeit. Man ließ sich auf mich ein“, sagte er. Das galt für die Szene im süddeutschen, Frankfurter und Düsseldorfer Raum. Seine Wohnung lag weiterhin in der Bolker Straße 30, im Herzen der Altstadt. Sein Atelier hatte er im Keller und nach dem Auszug von Günther Uecker im Hinterhaus Hüttenstraße 104. Mit dem Freund lud er 1967 ins Creamcheese zum „Lokaltermin“, wo drei Frauen und drei Männer sprachen, sangen, lachten und zischten. Er projizierte seine Texte auf die Menschen und machte das Publikum zum Träger seiner Kunst.

Das Großereignis von 1969 war „Apollo Amerika“. Kriwet buchte auf eigene Kosten ein Ticket nicht etwa ins Space Center Houston, sondern in ein Hotelzimmer in New York und mietete acht Fernsehgeräte. „Mir ging es um den Eindruck der Mondlandung im Fernsehen, nicht um die Mondlandung selbst“, erzählte er später. Er sortierte Zitate und Collagen der Massenmedien nach musikalisch-rhythmischen Gesichtspunkten und semantischen Zeichen, brachte das Buch bei Suhrkamp heraus und sprach die Texte im Rundfunk.

Er war Fortuna-Fan und Vereins-Mitglied. „Fußballspieler waren wie Götter oder Engel“, schwärmte er 1972, als er im Art Press Verlag Düsseldorf seine Collage vom Flinger Broich herausbrachte. „Ich wollte keine Studio-Produktion. So rau, wie der Ton war, sollten die Aufnahmen auch sein“, kommentierte er die technischen Mängel. Chöre, Sprüche, Geräusche wurden mitgeschnitten, technisch verändert, gefiltert, beschleunigt oder verlangsamt und immer wieder geschnitten.

Die nächste Produktion war „Campaign“, der Wahlkampf zwischen Nixon und Mc Govern. Ihn interessierte das Medienspektakel, die Embleme, Übertragungs- und Versorgungswagen, der Einmarsch der Fahnenträger, dazu Radiobeiträge und Stimmen.

Er war nun gut im Geschäft, machte Kunst am Bau, Licht- und Text-Wände in Edelstahl, Stahlblech, Emaille, Kunststoff, Neon und Farbe, für Banken und Büros. Zwischendurch verlegte er Buttons und Textschilder. Die Firma Lange und Schmelzer auf der Neusser Straße in Düsseldorf prägte und lackierte Alu-Schilder nicht nur für Autos, sondern auch für Kriwet. „Ich habe Papp-Buchstaben einfach in einen Kreis geklebt und in Leichtaluminium gepresst“, erklärte er. Er machte Text-Teppiche, gestaltete das Landeswappen im Plenarsaal und gewann 1978 den beschränkten Wettbewerb für den Düsseldorfer U-Bahnhof Heinrich-Heine-Alle.

Kriwet berichtete: „Ich wollte eine poetische Licht-Text-Decke schaffen, mit etwa 16500 Punkt-Zeichen auf ebenso vielen Prismen. Rund 2800 Wörter zwischen fünf und sieben Buchstaben Länge sollten es sein. Wortketten und Buchstabenraupen wollte ich den Gedichten Heines entnehmen. Statt eines Denkmals Heine hätte es ein 'Denk-mal' sein sollen, zum Nachdenken über den Mann, dessen Namen dieser Bahnhof trägt. Ich habe den Wettbewerb gewonnen, mein Entwurf wurde zur Realisierung vorgeschlagen, aber aus Kostengründen abgelehnt.“ Kriwet ging leer aus. Stattdessen hängen nun dort Gemälde, die den Staub der U-Bahnen anziehen.

1977 und 1983 nahm er an der Documenta teil, doch dann waren Kunst am Bau, Radiosendungen und Hörtexte nicht mehr gefragt. Er hatte ein kurzes Comeback mit seinen Textbildern in der Galerie BQ und 2011 in der Kunsthalle Düsseldorf. Seit 2000 kämpfte er gegen den Krebs. Sein Nachlass liegt bei seiner Freundin Bettina Brach, die auch eine Ausstellung für das Düsseldorfer Heine-Institut organisiert.

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