„West Off“-Festival Theater als Debattenbeitrag

Düsseldorf · Im FFT startete nun der Düsseldorfer Teil des Festivals für Nachwuchskünstler. Die Aufführungen der Auftaktveranstaltung bezogen Stellung in aktuellen Debatten.

 In seiner Installation "Niemandes Boden" stellte Gabriel Garneiro Bezüge zwischen den Bergbau-Regionen in Brasilien und dem Ruhrgebiet her.

In seiner Installation "Niemandes Boden" stellte Gabriel Garneiro Bezüge zwischen den Bergbau-Regionen in Brasilien und dem Ruhrgebiet her.

Foto: FFT

Sie sind jung, kreativ, und sie haben einiges zu sagen. Beim Auftakt von „West Off“, dem Festival junger Theatermacher, begeisterten Gabriel Carneiro und Carolin Charlotte Pfänder. Bereits im zwölften Jahr holt das Theater Netzwerk Rheinland für „West Off“ talentierten Nachwuchs auf die Bühnen des Forum Freies Theater (FFT) Düsseldorf, der Stadtbühne Köln und des Theaters im Ballsaal Bonn. Die Eröffnung übernahm Gabriel Carneiro im FFT mit seiner Installation „Niemandes Boden – O Chão de Ninguém“. Der Performance-Künstler hat seine Wurzeln in Minas Gerais, einer Bergbau-Region Brasiliens. Im 10.000 Kilometer davon entfernten Ruhrgebiet fand Gabriel Parallelen zum Umgang mit der Erde und ihren Schätzen. Im Foyer lud er das Publikum ein, zunächst durch einen dunklen, engen Gang zu gehen, um symbolisch in das ihn umtreibende Thema einzusteigen. Darin hatte er Bilder und Texte zum Bergbau in beiden Regionen zusammentragen.

Erde, so würde das Publikum bald erfahren, ist weit mehr als bloß Dreck und Mittel zum Zweck. Sie ist ein lebendiges Gefüge, dessen Schichten ineinandergreifen und so die Stabilität wahren. Greift der Mensch in diese Schichten ein, bringt er sie aus dem Gleichgewicht. „Habt ihr euch schon mal gefragt, was sich unter eurem Haus befindet?“, hatte Gabriel das Publikum gefragt, um danach mit einem Erdhaufen auf der Bühne deutlich zu machen, dass der Boden seinen ganz eigenen Rhythmus hat. Der sei langsam, erklärte Gabriel. Greift der Mensch mit Bergbau in diesen Rhythmus ein, sei das immer aggressiv und viel zu schnell. Das habe gefährliche Folgen, war seine Warnung. Den Erdhaufen auf der Bühne, so war in einer Video-Installation zu Beginn gesehen gewesen, hatte Carneiro in der Nähe des FFT zuvor gesammelt. Im Verlauf der Performance bekam der kleine Hügel Zuwachs, neue Schichten und Farben kamen hinzu. Denn das Publikum hatte selbst Erdproben mitgebracht, aus Omas Garten, von einem Kölner Friedhof oder aus einer Kompostkiste in Bochum.   

„Niemandes Boden“ war und ist ein klares Statement für einen bewussteren und respektvolleren Umgang mit der Natur und mit den Bodenschätzen, ohne die moderne Gesellschaften nicht mehr auskommen. Aber auch ein Appell, Menschen, die im Bergbau arbeiten, angemessen zu entlohnen. „Wer mit Boden arbeitet, ist arm und bleibt arm“, fasste der Performance-Künstler zusammen.

Klare Statements hatte auch Carolin Charlotte Pfänder mit ihrem Stück „Happy ever after“ für das Publikum parat. Die beiden sezierten darin bekannte Märchen wie „Dornröschen“ oder „Rotkäppchen“ und entlarvten den Sexismus, der in diesen Geschichten steckt. Stellten Bezüge zu moderner Popkultur, Hollywood, Social Media und nicht zuletzt zum echten Leben her.

Dafür schlüpften die beiden Performerinnen Alina Rhode und Anna Möbus in immer neue Rollen und nutzten auf eine Leinwand projizierte Avatare. Temporeich streiften die Künstlerinnen durch die Geschichte des Femizids, den sie während der Hexenverfolgung, bei den alten Philosophen, in der Psychologie und der klassischen Literatur ausmachten. Ob bei Shakespeare, Disney oder in George R. R. Martins „Game of Thrones“, Frauen haben oft gerade halb so viele Dialoge wie Männer. In Märchen und Mythen ist schön synonym für jung, unschuldig, schlank und vor allem gut. Böse hingegen, ist immer hässlich, nicht in die Norm passend, eben anders.

Die Kraft ihres Stücks zog die künstlerische Leiterin aus dem Spiegel, den sie dem Publikum vorhielt. Dem blieb oft das Lachen im Hals stecken, und es musste sich fragen, ob die berühmten Märchen und Sagen, mit denen wir alle aufgewachsen sind, vielleicht doch einmal aus einer neuen Perspektive gelesen und hinterfragt werden müssen. Und wenn wir gerade dabei sind, könnten wir gleich bei Disney und seiner Interpretation von Schneewittchen und Co. weitermachen. Auch die klassische Literatur von Ovid bis eben Shakespeare hat so manche Vergewaltigung beschrieben, die Opfer im wahrsten Sinne mundtot gemacht, in dem ihnen die Zungen rausgeschnitten wurden.

So hatte der Auftakt des „West Off“ im FFT das Potenzial für angeregte Diskussionen im Anschluss an die Vorstellungen. In Düsseldorf sind noch weitere Aufführungen im Rahmen des Festivals junger Theatermacher am 21. und 22. Januar zu sehen (siehe Kasten). Das Festival läuft noch bis 5. März mit weiteren Terminen der Stücke in Köln      

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