50 Jahre Schauspielhaus Für Nicole Heesters war Düsseldorf die Rettung

Düsseldorf · Regisseur und Theaterleiter Karl Heinz Stroux holte Nicole Heesters im Jahr 1958 ans Schauspielhaus. Bis heute steht sie dort als Gast auf der Bühne – derzeit in „Terror“.

 Erinnerungen: 1967 spielte Nicole Heesters das „Käthchen von Heilbronn“ am Schauspielhaus.

Erinnerungen: 1967 spielte Nicole Heesters das „Käthchen von Heilbronn“ am Schauspielhaus.

Foto: Lore Bermbach/ Theatermuseum Düsseldorf

Sie würde den jungen Bundeswehr-Piloten ohne Zögern verurteilen, der in einer Zwangssituation eine verheerende Entscheidung trifft: Er opfert 164 Passagiere eines entführten Flugzeugs durch einen Abschuss, um tausende Tote in dem willentlich angesteuerten voll besetzten Münchner Stadion zu verhindern. Leben gegen Leben. Darf das sein?

In Ferdinand von Schirachs Theaterstück „Terror“ wird diese Frage gestellt. Nicole Heesters spielt in der Inszenierung am Schauspielhaus die Staatsanwältin, doch am Ende fällen die Zuschauer das Urteil. Und immer sprechen sie den Piloten frei. „Noch nie hat die Verfassung gesiegt“, sagt Nicole Heesters. „Erschreckend. Moral und Gesetz müssen streng voneinander getrennt werden, so formuliere ich es als Staatsanwältin. Ich liebe diesen Satz, er beschreibt das Wesen unseres Rechtsstaats.“

Bei der Zahl der „Terror“-Vorstellungen liegt Düsseldorf vorn – weltweit. „Wir stehen vor der 100.“, sagt Heesters. „Da wäre ich gern dabei, das erlebt man im heutigen Theaterbetrieb nur selten.“ Nicht für jede Aufführung kann Heesters aus Hamburg anreisen. Wenn nicht, übernimmt Manuela Alphons diese Rolle. „Ich spiele sie nach wie vor mit großer Freude“, sagt Heesters. „Jeder Abend ist gleichermaßen spannend. Man weiß ja nie, wie er ausgeht.“ Aber sie spielt eben noch in anderen Stücken wie „Bernarda Albas Haus“ von Federico Garcia Lorca oder „Marias Testament“ von Colm Tóibín, wo sie allein eineinviertel Stunden stemmt. „Eine glückhafte Arbeit“, sagt die Schauspielerin und zählt auf, welche Bühnen bald wieder danach verlangen. „Ein Geschenk, diese literarisch hochinteressanten Figuren spielen zu dürfen.“

Ihre Abstecher nach Düsseldorf haben eine besondere Bedeutung für Nicole Heesters. „Mich binden viele Erinnerungen. Mein verstorbener Mann Pit Fischer war Düsseldorfer, unsere beiden Kinder wurden hier geboren. Mit den 14 Jahren am Schauspielhaus konnte mir in meinem Leben nichts Besseres passieren.“ Was führte sie 1958 in die Stadt? Schon sind wir bei Karl Heinz Stroux. Aber davor stand ein Unglück, das sie daran zweifeln ließ, ihren Beruf weiter auszuüben. Mit dem Wiener Josefstadt-Theater tourte die Absolventin des Max-Reinhardt-Seminars durch Südamerika und hatte dort einen schweren Autounfall. „Ein Jahr lang konnte ich nicht auftreten“, erzählt Heesters. „Unser Direktor meinte, es sei ungünstig, in dem kleinen kultivierten Theater mit einem entstellten Gesicht junge Liebhaberinnen zu spielen, man müsse eine andere Lösung für mich finden.“ Die ergab sich durch eine Tournee mit „Nathan der Weise“, bei der Stroux Regie führte. In großen Hallen würde man sie nicht so genau sehen, hieß es. Was unbarmherzig klingt, entpuppte sich für Heesters als pures Glück. Endlich wieder auf der Bühne! Nach der Generalprobe in Berlin sprach der Intendant sie an: „Du kommst an mein Theater.“ Nach Düsseldorf! „Ich war wie von Sinnen“, erinnert sie sich und nennt berühmte Kollegen von damals: Elisabeth Flickenschildt, Maria Wimmer, Paula Wessely, Attila Hörbiger, Martin Benrath. Eine aufregende Zeit für die Tochter von Johannes Heesters. „Zuerst zog ich in die ehemalige Wohnung von Gustaf Gründgens an der Cäcilienallee“, berichtet sie. „Dann in die von Ida Krottendorf an der Tussmannstraße. Ich wanderte durch die ganze Stadt.“ Man spürt die Innigkeit ihrer Erinnerungen. Pflegt sie bei Besuchen heute feste Rituale? „Ich gehe immer zum Uerige und in die Andreaskirche. Gern sitze ich in dem zauberhaften Park hinter dem Stadtmuseum und lese.“ Sie lächelt. „Am liebsten schlendere ich frühmorgens durch die Altstadt, wenn die Stühle hochgestellt und die Straßen gefegt sind. Dann hat Düsseldorf noch viel Charme.“

Es war ihr eigener Entschluss, das Ensemble zu verlassen. Warum? „Alles hat seine Zeit“, antwortet sie. „Das hat selbst Stroux gemerkt und mir zugeraten. Plötzlich galten seine Inszenierungen als Opas Theater.“ Bei der Eröffnung des Schauspielhauses 1970 war sie noch als Lucille in „Dantons Tod“ dabei. Das begleitende Chaos ist ihr unvergessen.

Heesters spielte später viele Jahre in Hamburg, München und Bochum. Sie drehte zahlreiche Fernsehfilme und war als Marianne Buchmüller die erste „Tatort“-Kommissarin. Für sie eine Episode ohne Nachhall, trotz der enormen Medien-Aufmerksamkeit. Sie hat es bald wieder gelassen. Nur einmal wollte die Schauspielerin unbedingt dabei sein – in Michael Grübers „Bantam“-Inszenierung in München. „Ein Männerstück aus dem Boxermilieu“, sagt sie. „Ich hätte auch ein Tablett über die Bühne getragen, egal. Es gab nur eine riesige Frauenrolle, die war für Lola Müthel vorgesehen.“ Die Kollegin sagte ab, damit fiel ihr die Hauptrolle in den Schoß. „Bist Du bereit, diesen ganzen Text zu lernen?“ wollte Grüber wissen. Welche Frage! Auch jetzt, mit 82 Jahren, lernt Nicole Heesters noch leicht. „Ich bin fleißig, weil ich besser bin, wenn ich den Text gut kann. Aber ich muss für den Beruf leben, sonst geht es nicht. Und üben, üben, üben.“ Zu ihren vielen Auszeichnungen, darunter 2015 der Louise-Dumont-Goldtopas aus Düsseldorf, kam im November der Deutsche Hörspielpreis für „Die Jahre“ nach dem Buch von Annie Ernaux. Den Antrieb für ihre Arbeit beschreibt sie so: „Es ist ganz einfach: Die Rolle muss mich reizen. Wenn ich glaube, ich kann sie so darstellen, dass ich bei den Menschen etwas erreiche, dann will ich das auch versuchen.“

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