Düsseldorf Eine Winterreise durch Deutschland

Düsseldorf · Geflüchtete Schauspieler, die am Berliner Gorki-Theater engagiert sind, zeigten am Schauspielhaus ihre Sicht auf Deutschland.

Über dem Halbrund der weißen Leinwand erscheinen geschwungene, arabische Schriftzeichen. Darunter auf Deutsch der Titel des Stücks: "Winterreise". Bei suggestiven Gesängen tasten sich nach und nach sechs Personen auf die dunkle Bühne. Dick vermummt in Anoraks, die Kapuzen über den Kopf gezogen. Man sieht nur ihre Silhouetten. Sie stellen ihre Trolleys und Rollkoffer ab, umarmen einander - und warten auf Niels. Hat der Freund den Treffpunkt verpasst? "Die Deutschen sind immer pünktlich", beruhigt einer die Gruppe.

An zwei Abenden gastierte das Exil-Ensemble des Berliner Gorki-Theaters im Düsseldorfer Central. Gegründet wurde es mit Profi-Schauspielern aus Afghanistan, Syrien und Palästina. Sie sind seit einem Jahr am Gorki engagiert, wirken in hauseigenen Produktionen mit oder entwickeln eigene Projekte. So entstand in Gemeinschaftsarbeit mit der israelischen Regisseurin Yael Ronen auch die "Winterreise". Das Stück wird in einer arabisch-englisch-deutschen Sprachmixtur mit deutschen und englischen Obertiteln aufgeführt. Das klingt verwirrend, erschließt sich aber leichter als vermutet.

Die sechs Stationen der zweiwöchigen Bustour durchs kalte Deutschland sind verwoben mit den persönlichen Geschichten der Neu-Berliner. Wenn Hussein Al Shatheli in sachlichem Ton von seiner mühseligen Flucht aus Syrien berichtet, wird es ganz still. Alles Geld hat man ihm abgeknöpft, aber irgendwie konnte er sich durchschlagen. Kenda Hmeidan war einst Party-Queen in Damaskus und tanzte durch die Nächte. Als immer mehr Gefährten nach Demonstrationen verhaftet wurden, ihr Freund längst außer Landes war, bekam auch sie Angst. Maryam Abu Khaled sehnte sich in ihrem strengen Elternhaus nach Freiheit. Die hat sie in Deutschland gefunden und ist dennoch unglücklich: "Ich kann alles machen, aber es interessiert niemanden." Noch träumt sie nach ersten Enttäuschungen von der großen Liebe: "Es müsste sie doch geben, irgendwo zwischen arrangierter Ehe und offener Beziehung".

Im instabilen Kosmos der Exilanten ist Niels (der Gorki-Schauspieler Niels Bormann) ein Fixpunkt. Um ihn scharen sich alle und bedrängen ihn: "Wir müssen reden!" Nach einem Jahr in Berlin wollen sie raus aus der Blase der Hauptstadt und ihren Horizont erweitern: "Wir sind von uns selbst gelangweilt."

Also brechen sie gemeinsam auf, mit Niels als Reiseführer. Zunächst will er die Gruppe mit Dresdens romantischer Kulisse beeindrucken: "Hier sieht man, was aus Ruinen entstehen kann, das könnte ein Ansporn für ihre Heimatländer sein." Der Plan misslingt. Es ist Montag, an der Elbe marschiert die Pegida auf. Niels lotst die Reisenden durch die Hintertür ins Hotel und verheddert sich kläglich bei der Erklärung dieses Versteckspiels. Da hocken sie nun in ihren Zimmern, schauen durchs Fenster auf seltsame Schilder und kommen ins Grübeln, als sie "Fatima Merkel" lesen. Könnte das ihr zweiter Vorname sein, Angela Fatima Merkel? Hussein wundert sich über das Abbild der Kanzlerin mit Kopftuch: "Ich wusste gar nicht, dass sie Muslimin ist."

Das ist komisch aufgespießt, wie es überhaupt viele treffliche Anspielungen auf deutsche Sitten und daraus entstehende Missverständnisse gibt.

Nach Dresden wird auch Weimar zum Desaster. Schnurstracks rattert der Bus über die "Blutstraße" zum KZ Buchenwald, wo Karim erst gar nicht aussteigen will. Er hat genug von Tod und Zerstörung und kriegt die Foltervideos aus Syrien nicht aus dem Sinn.

In München trottet das Grüppchen irritiert durch die leere Allianz-Arena: "Wo sind denn die Spieler?" Die Haltepunkte in Zürich, Mannheim und im winterlich tristen Düsseldorf ("wie lernen sich da die Leute kennen?") werden lediglich gestreift. Über die Leinwand flimmern Autobahnen, Baustellen, Straßenzüge. Menschen sieht man kaum in dieser Ödnis. Dann wieder wird alles bunt und fröhlich mit den Zeichnungen von Esra Rotthoff übermalt. Über Hamburg fährt der Bus zurück nach Berlin. Schon längst hat Niels seine Zweifel am Gelingen des Experiments. "Vielleicht denken sie jetzt, dass Deutschland langweilig oder hässlich ist?" fragt er sich beim Abschied: "Wenn ich bloß wüsste, was ihre Erwartungen sind." Das bleibt offen. Aber ganz düster ist dieses Ende nicht. Es könnte durchaus Hoffnung geben. Ein eindringlicher Theaterabend, berührend, erhellend und bei aller Melancholie auch witzig. Sehr herzlicher Beifall.

(RP)
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