Düsseldorf Eine schrecklich nette Familie

Düsseldorf · Im Theater an der Kö feierte die Komödie "The King's Speech" eine glänzende Premiere.

 Das Ensemble mit unglücklichem Thronfolger (Bildmitte) - gespielt von Christopher Krieg.

Das Ensemble mit unglücklichem Thronfolger (Bildmitte) - gespielt von Christopher Krieg.

Foto: Dennis Haentzschel

Es gießt in Strömen. Auf der Bühne stehen schemenhafte Gestalten mit aufgespannten Regenschirmen. Einer schält sich aus der Gruppe, geht zögernd auf das Mikrofon im Vordergrund zu. Die begleitenden Worte seines Vaters stellen unheilvolle Weichen: "Bertie, zeig, was du kannst. Zeig, dass du mein Sohn bist." Natürlich versagt Bertie. Die Ansprache aus dem Wembley Stadion, die der Herzog von York 1925 halten soll und von der BBC im gesamten Empire ausgestrahlt wird, geht in kläglichem Stottern unter. Kaum auszuhalten ist das.

Mit dieser atmosphärisch dichten Szene beginnt "The King's Speech" im "Theater an der Kö". Eine Komödie, bei der Beklemmung und Amüsement eng beieinander liegen. Was für ein spannender, von Claus Helmer feinfühlig inszenierter und glänzend gespielter Abend! Er verdrängt die Erinnerung an den "Oscar"-gekrönten Film.

Denn "The King's Speech" funktioniert auch als Kammerspiel ganz prächtig und braucht keine opulenten Kulissen. Eine Schrankwand aus braunem Holz, die auf- und zugeklappt wird, dazu einige sparsame Requisiten - das reicht schon aus, um diese Geschichte nach einer wahren Begebenheit zu erzählen.

Die Protagonisten: Prinz Bertie, der beklagenswerte Stotterer, gefangen in höfischer Etikette, und der unkonventionelle Sprachtherapeut Lionel Logue, der ihm den Makel austreiben soll. Ein Gespann, wie es gegensätzlicher kaum sein kann. Und stimmiger besetzt auch nicht. Christopher Krieg spielt den Aristokraten atemberaubend gut. Ihm nimmt man alles ab: seine anfängliche Arroganz, seine Wutausbrüche, sein allmähliches Auftauen, seine wachsende Kühnheit im Auftreten. Die Wandlung wird ausgelöst und befeuert von seinem Lehrer, der fix herausfindet: Hört der Prinz Musik, stottert er nicht. Auch nicht, wenn er singt. Und auch nicht, wenn er seiner gequälten Seele Luft verschafft und Schimpfworte krakeelt. Hartmut Volle spielt den Sprachspezialisten, der auch nicht ohne Makel ist, glaubwürdig und innig. Auch mit ihm muss man Mitleid haben: Sein Traum, als Schauspieler zu reüssieren, ist gescheitert.

Beide haben Frauen, die sie von Herzen lieben: Susanne Steidle gibt wunderbar elegant die englische Rose und hingebungsvolle Ehefrau von Bertie, der notgedrungen König werden muss. Nach dem Tod von George V. (Manfred Molitorisz) erbt der leichtlebige David den Thron. Ein aalglatter Spötter, souverän charakterisiert von Claus Thull-Emden. Er ist der kapriziösen Amerikanerin Wallis Simpson verfallen (Ines Arndt in einer geschmeidigen Doppelrolle, sie spielt auch Myrtle, die Frau des Therapeuten). Unter dem Druck der Kirche (Frank Büssing karikiert den schmierigen Erzbischof von Canterbury), des Parlaments (mit Horst R. Naase als Premierminister) und Winston Churchill - Thomas Gimbel ist sein perfekter Wiedergänger - muss der neue König alsbald abdanken. Damit ist Berties Schicksal besiegelt. Er wird in die Pflicht genommen, seine Klage "ich kann kein König sein" verhallt.

Neben der familiären Ebene mit den Zwängen der Monarchie und der behutsamen Annäherung zweier Männer aus verschiedenen Sphären verdeutlicht "The King's Speech" die politischen Geschehnisse jener Zeit. Hitlers Nazi-Deutschland gewinnt an Macht, Europa steuert auf den Zweiten Weltkrieg zu. Ein schwacher englischer König hätte verheerende Auswirkungen. Mit Bangen wird daher Berties pflichtgemäße Rede nach der Inthronisation erwartet. Er trägt schwer an den Bürden seiner Kindheit: Man hat den Linkshänder rigoros umgepolt. Ihn Tag und Nacht mit Metallschienen gegen seine O-Beine traktiert. Später rieten Ärzte dem Stotterer sogar zum Kettenrauchen - das sei gut für seine Kehle. Der folgsame König, Vater der heutigen Queen, starb früh an Lungenkrebs.

Es gibt viele humorige Momente in "The Kings's Speech" und viele anrührende. Weil die Handlung etliche Jahre überspannt, wäre eine zeitliche Einordnung der Ereignisse noch hilfreich, die das Stück aber ausspart. Was bleibt und lange nachwirkt, ist ein eindringliches, im besten Sinne unterhaltsames Theatererlebnis auf hohem Niveau. Den Schlusspunkt zum begeisterten Applaus setzte eine Choreografie der Verbeugungen, die in dieser Präzision wohl kaum zu übertreffen ist.

(RP)
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