Düsseldorf Eine Reise mit Rose Ausländer
Düsseldorf · Die multimediale Performance "Wort Welle Muschel Mensch" skizziert Leben und Werk der in Düsseldorf gestorbenen Schriftstellerin.
In der Mitte des Raumes steht ein großes Floß. Sein Mast ist ein dünner Baumstamm, ein Koffer verrät: Jemand reist. Eine grazile Frau betritt die Fläche, anmutig und im blumigen Sommerkleid schreitet sie nach vorn.
Als die Russen sie aus dem Ghetto in Czernowitz befreiten, ging die deutsch-jüdische Dichterin Rose Ausländer auf Reisen. Düsseldorf war ihre letzte Station, seit Mitte der 1960er Jahre lebte sie in der Landeshauptstadt - zuletzt im Nelly-Sachs-Haus, das Altenheim der jüdischen Gemeinde. Ihr Grab liegt auf dem Nordfriedhof.
Sie wäre in diesem Jahr 117 Jahre alt geworden. Zu diesem Anlass hat die Regisseurin Friederike Felbeck die multimediale Performance "Wort Welle Muschel Mensch" geschaffen, die im Heinrich-Heine-Institut schnell ausverkauft war. Im Eingangsbereich sammelten sich Interessenten, die keine Karten mehr bekommen hatten. Im großen Zimmer lauschte ein gespanntes Publikum den Schauspielern Nicola Thomas und Rudolf Schlager sowie Boleslav Martfeld am Klavier.
Die Performance stellte Auszüge aus dem emotionalen Lyrik- und Prosa-Werk assoziativ zusammen. Sie veranschaulichte die Lebensreise einer Dichterin, deren Leben eng mit ihrem Werk verknüpft ist. Nicola Thomas gelang es, die Figur der Rose Ausländer mit den wenigen Worten ihrer Lyrik ausdrucksvoll zu vergegenwärtigen. Begleitet wurde sie von einem bunten musikalischen Repertoire. Das Bühnenbild konstruierte die Holz AG der Förderschule Ratingen-West.
Ausgangspunkt der Reise ist die Bukowina, Czernowitz als Geburtsort und Ursprung der jüdischen Identität der Lyrikerin. Nicola Thomas liest aus alten jüdischen Schriften, blickt suchend in die Ferne, das Klavier spielt jiddische Musik. Im ersten Weltkrieg floh die Familie der Dichterin nach Budapest, von dort aus ging es nach Wien. 1921 wanderte Rosa Ausländer aus nach New York - in der Performance rezitiert Rudolf Schlager Auszüge aus ihrem englischsprachigen Werk. "Where shall we start?", heißt es, "wo sollen wir anfangen?"
Ein Versuch, sich nach der Erfahrung von Vertreibung und Exil neu zu orientieren, lag für die Dichterin auch in der Verwendung einer fremden Sprache. Mehrmals kehrte Rose Ausländer zurück nach Czernowitz. Im Jahr 1941 wurde sie ins dortige Ghetto gesperrt und machte dort Bekanntschaft mit dem Dichter Paul Celan. Nicola Thomas trägt vor aus dem Gedicht "Ich denke": "Ich denke an Venedig, Luzern, die Riviera und Israel, an Hölderlin, Trakl, Kafka und Celan, an das Ghetto, an Todestransporte, Hunger und Angst."
Nach dem Krieg ist Rose Ausländer gereist. Im seidenen Abendkleid sagt Nicola Thomas: "Immer träum ich zurück zu deinen Städten, Venedig, Rom, Florenz". Auf dem Klavier: "O sole mio". Sie zieht ein Band aus dem Koffer, auf dem ihre Ziele gelistet sind: "Andalusien, Paris, Griechenland, Köln". Boleslav Martfeld spielt passende Begleitmusik zu den verschiedenen Ländern.
Rose Ausländer steht beispielhaft für die Heimatlosigkeit der europäischen Juden. Ihr Werk schildert das Leben nach dem Überleben, auf der Suche nach Neuanfang und Identität. Felbecks Performance zeigt, wie modern und aktuell diese Lebensgeschichte ist. Auf der Leinwand spielt ein Interview ab, bei dem ihr Verleger und Vertrauter Helmut Braun Rose Ausländer fragt, ob sie sich an eine glückliche Zeit in ihrem Leben erinnern könne. "An glückliche Zeiten kann ich mich nicht erinnern", sagt die bettlägerige alte Dame, um kurz darauf von der Bukowina zu schwärmen, der Heimat, die sie verloren hat.
Für bettlägerig hat sich Rose Ausländer selbst erklärt: Ab 1977 hat sie ihr Zimmer im Nelly-Sachs-Haus nicht mehr verlassen. Bis zu ihrem Tod zehn Jahre später schuf sie den Großteil ihres literarischen Werks. Am Ende der Performance zieht Rudolf Schlager Nicola Thomas ein Nachthemd an, sie lässt sich an den Mast binden, er hisst die Segel. Er wendet sich zum Publikum und beginnt zu lesen: posthume Interpretationen, Rückschlüsse auf die Dichterin, ausgehend von ihrem literarischen Werk. Die Frau am Mast reißt die Augen auf. "Was hat das mit mir zu tun?", fragt sie empört. So endet das Stück.