Düsseldorf Ein Geigenwunder im Mendelssohn-Saal

Düsseldorf · Beim Festkonzert der Symphoniker wurde der große Saal der Tonhalle umbenannt. Die Festrede hielt Bundestagspräsident Lammert.

Ohne eigenes Zutun haben die Eheleute Schumann in Düsseldorf einen Konzertsaal, eine Musikhochschule und eine Musikschule namentlich in Beschlag genommen, weswegen kritische Geister seit langem mit einem gewissen Gerechtigkeitssinn fragen: Und was ist mit Mendelssohn? Der war ebenfalls Musikdirektor in Düsseldorf, und zwar ein gefeierter (was man von Robert Schumann nicht sagen kann).

Jetzt wurde dem Murren gefolgt und ein Beschlag angebracht: glänzende Buchstaben in zwei Reihen für den großen Saal der Tonhalle. Am Aufgang zum Parkett heißt er nun "Mendelssohn Saal" — ohne Bindestrich, was die Interpunktionsregeln ignoriert, aber Kosten spart. Die musikgeschichtlich gebildeten Pfennigfuchser in der Verwaltung werden mit dem Hinweis argumentieren, Mendelssohn selbst habe sich den Bindestrich zum Bartholdy ja stets verbeten.

Der Zeitpunkt für die Umwidmung des Saals war jedenfalls gut gewählt, denn die Düsseldorfer Symphoniker, deren Vorgängertruppe Mendelssohn und Schumann dirigiert haben, feiern in diesem Jahr ihr 150-jähriges Bestehen. Das Programm des Festkonzerts war überaus intelligent arrangiert, denn es bot die beiden großen Lichter, und zwar mit ihren Violinkonzerten, die unter den Nazis wechselnde Zuneigung erfuhren: Mendelssohn wurde auf den Index gesetzt, Schumann büßte die Lücke, obwohl das Werk nach allgemeiner Einschätzung wenig hergab. Deswegen musste ausgerechnet der von den Nazis nicht minder übel bekrittelte Paul Hindemith, Komponist und gelernter Bratscher, ein ausführliches Tuning des Werks durchführen. Hindemith selbst war im Festkonzert mit seinem Meisterwerk, der Symphonie "Mathis der Maler", vertreten.

Die Begrüßung oblag Oberbürgermeister Dirk Elbers (kurz und wie gedruckt), die Festrede hielt Bundestagspräsident Norbert Lammert. Sein Beitrag war nachdenklich, geschichtsbewusst, nach Art eines kulturpolitischen Traktats: Er machte sich die Hände beim Wühlen in der braunen Zeit in Maßen schmutzig, erklärte uns, wieso Schumann unverdächtig sei, den Nazis einen Gefallen getan zu haben ("Bei Schumann gibt es alles, nur keine marschierenden Kolonnen"), überging freundlich die Tatsache, dass auch Schumann antisemitische Ausfälle nachgewiesen werden können. Lieber beschäftigte er sich mit dem Hinweis, wie wichtig für ihn und die Musikwelt "originelle Programme" wie dieses seien.

Intendant Michael Becker, selbst ein trefflicher Bratscher, lieferte wissenswerte Details nach, wie Hindemith seinen Schumann "gepimpt" habe — und die Solistin Julia Fischer tat alles Menschenmögliche, um die Vorbehalte gegen das hölzerne, harmonisch unbewegliche, phantasiearme Schumann-Konzert in einem gnädigen Licht erscheinen zu lassen. Dank ihrer makellosen, gänzlich uneigennützigen Geigenkultur glückte das Ansinnen.

Gleichwohl nutzte das Auditorium Mendelssohns Schwesterwerk nach der Pause, um sich von Schumann zu erholen. Nun glühte es, blühte es. Und es gab einen Moment, da der Saal jeden Huster vermutlich im Pianissimo pfeilvergiftet hätte — in der Kadenz des ersten Satzes, den Fischer mit vollendetem Stilgefühl und fabelhafter Expressivität spielte. So etwas geht nur live.

Die Düsseldorfer Symphoniker begleiteten sehr ordentlich, wenngleich Generalmusikdirektor Andrey Boreyko innerlich wohl bereits Abschied von Düsseldorf und seiner Position genommen hat. Nicht nur, dass er während Lammerts Festrede (bei der er persönlich angesprochen wurde) bereits außerhalb der Bühne weilte, er betreute auch das Orchester unkorrekt, wenig inspirierend, fast unbeteiligt. Bisweilen fragte man sich, auf welcher Zählzeit des Takts sich der GMD befand. Das Orchester fand sich trotzdem zurecht.

Als kontrastreiche Einleitung zu den beiden Violinkonzerten gab es die drei Sätze von Hindemiths "Mathis"-Symphonie. Das ist eine wunderbare Musik, geputzt in ihrem milden Glanz, festlich in ihren Blechbläserchorälen, reich an schillernden Mikrofasern in der polyphonen Struktur. Die Symphoniker spielten das Opus beachtlich, aber der Glanz der Julia Fischer war doch größer. Die bedankte sich für den sturmfluthaften Applaus mit dem brandigen, zwischen Bach und Prokofieff changierenden Finale aus Hindemiths Solo-Sonate g-moll.

Wir hoffen, sie bald im großen Saal der Tonhalle wiederzuerleben.

(RP)
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