Uraufführung am Schauspielhaus Klimasünder ohne Gnade vor Gericht

Düsseldorf · In der ersten und gelungenen Inszenierung des neu gegründeten Stadt:Kollektivs überzeugen Jugendliche mit einer aufwühlenden Dystopie zur Klimakatastrophe.

 Szene aus „Das Tribunal“ von Dawn King mit Charlotte Wirth, Leander Hesse, Humam Mohamad, Pia Dix, Greta Kolb, Jacob Zacharias Eckstein und Len Königs.

Szene aus „Das Tribunal“ von Dawn King mit Charlotte Wirth, Leander Hesse, Humam Mohamad, Pia Dix, Greta Kolb, Jacob Zacharias Eckstein und Len Königs.

Foto: Thomas Rabsch

Als die Türen zum Kleinen Haus sich öffnen und die Zuschauer ihre Plätze einnehmen, sitzen sie schon da, rechts und links der Bühne. Ein Dutzend Jugendliche, vor sich hinblickend, gebeugt, versunken. Überwiegend jung ist auch das Publikum, das sich zur Uraufführung von „Das Tribunal“ in der Regie von Adrian Figueroa eingefunden hat. Das Stück der englischen Autorin Dawn King entstand als Auftragswerk des Schauspielhauses und kommt nach Düsseldorf in London heraus.

Es ist die erste Produktion des zur Spielzeit 21/22 gegründeten Stadt:Kollektivs als Nachfolger der Bürgerbühne. Unter Leitung von Bassam Ghazi und Birgit Lengers und dem programmatischen Schlagwort „radikal sozial“ werden Laien-Darsteller, ungeachtet ihrer Herkunft, Religion und Weltanschauung, mit professioneller Führung zu einem Ensemble für jeweils eine Inszenierung geformt.

Hier bilden junge Schauspieler zwischen 13 und 23 Jahren die Jury in einem 2030 verorteten Tribunal. Nacheinander werden drei Angeklagte vorgeführt, deren klimaschädliche Lebensweise sie vor Gericht gebracht hat. Ein Schuldspruch bedeutet den Tod. Nummer Eins ist 52 Jahre alt, hat drei Kinder, wird als Allesfresser und Kreativdirektor in der Werbung vorgestellt. „Hallo, ich bin ein ganz normaler Mensch, ein Mann, ein Ehemann, ein Vater“, beginnt Alexander Steindorf – ein Profi-Schauspieler wie auch Nummer Zwei und Drei – seine Verteidigung. Er habe für seine Familie gesorgt, Bio-Lebensmittel gekauft, viel gearbeitet und hohe Steuern bezahlt. „Wird einem so etwas gar nicht angerechnet?“ schreit er auf. Und winkt, wie schon zum Abschied, in die Kamera: „Ich hab‘ euch lieb, Kinder.“ Dann beginnt die Erörterung. In nur 15 Minuten muss das Urteil gefällt werden. Schuldig oder nicht schuldig? Für beides gibt es Argumente. „Schuldig“, faucht Nora, „wer braucht drei Kinder, die das ganze CO2 verbrauchen?“

In dieser Phase ergreift die Zuschauer eine Spannung, die bis zum bitteren Ende gehalten wird. In den besten Momenten erinnert „Das Tribunal“ an Ferdinand von Schirachs „Terror“. Und ist in seiner letzten Konsequenz noch gnadenloser. Beeindruckend und erschreckend zugleich, wie die Jury einen Menschen zu retten versucht oder ihn kaltblütig verdammt. Die Jugendlichen wurden bestimmt, weil sie unter der von vorigen Generationen verursachten Klimakatastrophe leiden.

Wer schuldig ist, soll sterben. Unter ihnen sind Besonnene, Scharfmacher, Überforderte. Sie streiten, sie brüllen, sie ringen um Gerechtigkeit. Nach und nach erhellen sich persönliche Schicksale, die ihr Handeln erklären. Nora konnte sich mit ihren Eltern bei einer Flutkatastrophe aufs Hausdach retten und muss dann zusehen, wie Vater und Mutter vor ihren Augen ertrinken. Ein anderes Mädchen lebte mit ihren zwei Vätern in Saus und Braus. Sie aßen Kalbfleisch und flogen in die Sonne. Die unerbittliche Folge: „Meine Papas wurden hingerichtet.“

Allmählich begreift man, dass solche Prozesse in dieser Dystopie normal sind. Und auch sonst wird vorgeführt, wie das Leben um 2030 aussehen könnte. Es ist heiß in dem Raum, die Klimaanlage lässt sich nicht steuern, die Fenster müssen verschlossen bleiben. Werden sie geöffnet, wabert dichter Qualm in den Raum: Da draußen lauert der Feind. Einer sehnt sich ganz profan nach dem köstlichen Geschmack von Schinken. Und wer hätte je Schnee gesehen? In einer träumerischen Sequenz erzeugen ihn die Jugendlichen selbst und staunen über die eiskalten, superweichen Flocken, die vom Himmel rieseln.

Bei keinem Angeklagten gibt es sofort eine Mehrheit. Nummer Zwei (Markus Danzeisen) ist Schriftsteller, Vegetarier, kinderlos. Er vertraute immer der Führung, den Behörden, der Wissenschaft, „die würden uns schon retten.“ Mit seiner Kunst habe er doch auch etwas für die Menschheit getan. Was ihm wenig nützt, er wird als Heuchler und Dinosaurier verspottet. Aber ist er auch zu verurteilen?

Die Angeklagte Drei (Anya Fischer) schnürt einem die Kehle zu. Die Vizepräsidentin eines Ölkonzerns klagt sich selbst an: „Ich bitte nicht um mein Leben, ich melde mich freiwillig zur Hinrichtung.“ Doch so einfach ist es nicht, gerade sie spaltet die Jury so grausam wie nie. Das Szenario wühlt auf. Wo sind sie, die Antworten auf die heutige Klimakrise? Erschreckend, wenn nur ein totalitäres Regime unser Überleben garantieren könnte.

„Das Tribunal“, bei der Premiere ausgiebig gefeiert, zwingt Erwachsene wie Jugendliche zum Nachdenken und kann dringlich für Schulklassen empfohlen werden. Bei diesem gelungenen Einstand fürs Stadt:Kollektiv ist die Energie auf der Bühne mit Händen zu greifen.

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