Digitales Theater Herrlich absurdes Theater

Düsseldorf · Eigentlich sollte „Rausch“ in Brasilien beim „Festival Paideia de Teatro“ in São Paulo gezeigt werden. Wegen der Pandemie streamte das Schauspielhaus das Theaterstück stattdessen aus dem Jungen Schauspiel über den Atlantik.

 Eine Szene aus „Rausch“ – ein Glückstrip von Gregory Caers und ­Ensemble für alle ab 14 Jahren.   Foto: David Baltzer

Eine Szene aus „Rausch“ – ein Glückstrip von Gregory Caers und ­Ensemble für alle ab 14 Jahren. Foto: David Baltzer

Foto: David Baltzer

Mit „Rausch“ hat unsere Lage in Corona-Zeiten wenig zu tun, vielmehr mit wachsender Ernüchterung und Ängsten. Daher meint Gregory Caers vermutlich eine andere Art von Rausch, nach der er seine neue Inszenierung im Jungen Schauspiel benennt. Eigentlich wollten die Düsseldorfer damit von der Münsterstraße nach Brasilien aufbrechen, wo das Stück beim „Festival Paideia de Teatro“ in São Paulo eingeladen war. Coronabedringt streamte man es über den Atlantik.

Eine Bushaltestelle und eine U-Bahn. Dort kommen sechs Menschen einer Gesellschaft zusammen, die nach Haltung sucht. Nicht unbedingt heute, vielleicht zu einer anderen Zeit. Nicht unbedingt hier, vielleicht in Paris. Dann wäre es vielleicht die U-Bahn aus Raymond Queneaus „Zazie in der Metro“. Damals hatten die Pariser ihren monotonen Alltag so verinnerlicht: „Métro-Boulot-Dodo“. Jeden Morgen lustlos ins Büro und abends genauso lustlos ins Bett.

Bei Queneau hingegen gerät das junge Provinzhäschen Zazie in Paris in einen Strudel von immer absurderen Ereignissen. Auch bei Gregory Caers irrlichtert eine junge Frau in schwarzem Kleidchen durch das, was man Handlung nennen könnte. Immer wenn der Hahn kräht, beginnt ein kleiner Reigen von Aktionen. Es sind Übungen in Vergeblichkeit. Versuche, dem Leben eine Ordnung zu geben. Um dann genau dieser Ordnung wieder aus dem Weg zu gehen.

Zwei Bürohengste stempeln Papiere ab, machen daraus einen Wettstreit in Geschwindigkeit. Bis es ihnen zu viel wird, und das ganze gestempelte Zeug in den Schredder wandert. Eine überaus penible Dame will sich in einem Café niederlassen. So viel Mühe sie sich auch gibt, ein Putzteufel, ein fesch fegender Kobold, kommt ihr immer in die Quere.

Zum Putzen haben sich auch zwei Andere verabredet – mit armlangen Gummihandschuhen. Die Beiden haben viel zu tun, denn immer wieder stören rote Schlieren die Ästhetik der Plexiglas-Wände. Wo die wohl herkommen, fragt man sich, als ganz unvermittelt ein Schwein auf einem OP-Tisch liegt. Blut spritzt reichlich nach allen Seiten.

Neben Queneau mag der Regisseur auch Jacques Tati im Sinn gehabt haben, denn der Schirm des Monsieur Hulot hat manchen starken Auftritt. Was in der 75-minütigen Szenenfolge nach einem disparaten Potpourri klingt, ist herrlich absurdes Theater. Voller Anspielungen an eine Zeit, die über ihren von ständigem Scheitern bedrohten Alltag noch lachen konnte.

Und so ist wohl auch die Schluss-Szene ein Zitat: Aus der Haltestelle ist jetzt ein Hafenkai geworden, mit reisefertigen Passagieren, einem Uniform-stolzen Kapitän und dem Tuten eines Dampfers. Federico Fellinis „Schiff der Träume“, ein wunderbarer Film aus den 1960er-Jahren, lässt grüßen. Man wünscht diesem herrlich schrägen Bühnenrausch noch viele Abende vor begeisterten, jungen Zuschauern. Irgendwann, in einer anderen Zeit.

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