Premiere "Tage unter" von Arne Lygre Düsseldorfer Schauspielhaus führt in tristen Bunker

Düsseldorf · Ein Mann sammelt Menschen von der Straße. Labile Gestalten, die keiner vermisst. Er bringt sie in seinen Keller, bricht ihre Persönlichkeit, um sie neu aufzubauen – um seinen wehrlosen Zwangsmündeln den Wunsch nach dem kleinen Glück, nach einer Arbeitsstelle, einer Wohnung, ein paar Freunden einzutrichtern. Dann entlässt er sie in die Freiheit – in das, was er Freiheit nennt.

Ein Mann sammelt Menschen von der Straße. Labile Gestalten, die keiner vermisst. Er bringt sie in seinen Keller, bricht ihre Persönlichkeit, um sie neu aufzubauen — um seinen wehrlosen Zwangsmündeln den Wunsch nach dem kleinen Glück, nach einer Arbeitsstelle, einer Wohnung, ein paar Freunden einzutrichtern. Dann entlässt er sie in die Freiheit — in das, was er Freiheit nennt.

Die Geschichte eines Mannes mit pervertiertem Helfersyndrom bildet das Gerüst für das Drama "Tage unter" des norwegischen Autors Arne Lygre. Im Dezember hat das Stück im Berliner Festspielhaus seine deutschsprachige Erstaufführung erlebt. Nun ist die Inszenierung des Franzosen Stéphane Braunschweig in Düsseldorf zu sehen. "Tage unter" ist ein karges Stück ohne vordergründige sprachliche Brillanz. Lyrge formuliert keine klugen Thesen zu Missbrauch und Gefangenschaft, liefert keine psychologisch ausgefeilte Analyse. Er wählt die schreckliche Ausgangslage, um eine Situation vollkommener Abhängigkeit und Einsamkeit in einer Gemeinschaft zu schaffen und dann durchzuspielen, wie unterschiedliche Charaktere sich in diesem Raum verhalten. Der lakonisch-traurige Humor des Stücks erinnert an absurdes Theater, doch Lygre bleibt gerade so realistisch, dass seine Geschichte am Ende ein paar böse Wendungen nehmen kann, fast wie im Thriller.

2003 hat der Norweger mit der Arbeit an "Tage unter" begonnen, noch bevor die Fälle Kampusch oder Fritzl die Öffentlichkeit beschäftigten. Sein Stück ist also kein Kommentar zu diesen grausamen Fällen, vielmehr eine Parabel über die Angst vor der Freiheit, über Leute, die sich lieber von einem Despoten lenken lassen, als den Schritt aus dem Gefängnis gewohnt dumpfer Lebensweise zu wagen, und über Menschen, die andere beherrschen müssen, um die Leere im eigenen Leben nicht zu spüren. "Tage unter" ist also ein Stück über unsichtbare Gefängnisse, über Herrschaftsstrukturen in Gesellschaften, die eigentlich als frei gelten. Erst wenn man eine solche Bedeutungsebene mitdenkt, verliert das Stück jene Banalität, die es als reines Kidnapping-Drama hätte.

Diese Denkleistung überlässt Regisseur Braunschweig ganz dem Zuschauer. Er stellt das Stück in ein minimalistisch-massives Bühnenbild mit grauer Steinmauer und einem leeren Zimmer, das sich in Zentralperspektive trichterförmig nach hinten verjüngt. In diesem rohen Gefängnis entfaltet Udo Samel als psychopathischer Menschenerzieher seine Darstellkunst. Er zeigt einen unerbittlichen, still-brutalen Gewaltmenschen, keinen Mephisto, keinen Verführer, sondern einen, der mit Drohungen regiert. Samel spielt das mit grausamer Ruhe, ohne alles Getue. Erst als die Figur über ihre Motive sprechen, ihr Handeln rechtfertigen soll, lässt er den Mann erbeben. Da gerät auch seine Identität ins Wanken. Claudia Hübbecker, Bettina Kerl und Daniel Christensen bilden das seltsame Opfer-Ensemble um den Kellerbesitzer. Sie übernehmen Rollen wie die verrückte Hörige (Hübbecker), die gebrochene Rebellin (Kerl) oder den ungläubigen Verzweifelten und formen diese Figuren, ohne ihnen das Exemplarische zu nehmen. Braunschweigs reduzierter Regiestil und sein grau-grobes Bühnenbild passen zu Lygres offenem Text, in den sich Bedeutungsebenen einlagern können wie Putz in einen Rohbau. Allerdings betritt der Zuschauer mit diesem Stück kein glänzendes Gedankengebäude. Vielmehr muss er episches Rollenspiel aus einem tristen Bunker in andere Zusammenhänge übertragen. Das ist anspruchsvoll und ein wenig mühsam. Diese Art von Theater regt zum Nachdenken an, großen Sog entfaltet sie nicht.

(RP/rai)
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