Premiere auf Youtube Freundschaft im digitalen Dadaismus

Düsseldorf/Tel Aviv · Das Theaterstück „Frenemies Forever? The polytix of friendship“ vom FFT, dem Berliner Theater an der Parkaue und dem Theaterkollektiv Andcompany&Co feierte auf Youtube Premiere.

  Die Schauspieler nutzten ihre eigenen Zimmer als Bühne für das Theaterstück.  	 Foto: cwe

Die Schauspieler nutzten ihre eigenen Zimmer als Bühne für das Theaterstück. Foto: cwe

Foto: Christoph Wegener

Kann das Theater seine eindrückliche Wirkung auch auf digitaler Distanz entfalten? Auf den ersten Blick ist das schwer vorstellbar, schließlich lebt die szenische Bühnendarstellung von ihrer Unmittelbarkeit, einer greifbaren Nähe von Publikum und Schauspielern und der dichten Atmosphäre im Saal.

Der Youtube-Livestream des Stücks „Frenemies Forever? The polytix of friendship“ vom Düsseldorfer FFT, dem Berliner Theater an der Parkaue und dem Künstlerkollektiv Andcompany&Co zeigt jedoch: Mit dem richtigen inhaltlichen Schwerpunkt und einer durchdachten Umsetzung funktioniert Theater auch online. Im Zentrum steht das Thema „Freundschaft in finsteren Zeiten“. Es geht um soziales Leben während der Pandemie, die Regeln und Gesetzmäßigkeiten der digitalen Welt, und darum, das abstrakte Konzept von „Freundschaft“ zu entschlüsseln. Dabei werden digitale Trends ebenso aufgegriffen wie philosophische Fragen und zu einem anspruchsvollen Gesamtkonzept geformt, das nachdenklich, aber auch optimistisch stimmt.

Visuell ist das Theaterstück eine Tour de Force. Kostüme, Kulissen und anderen Requisiten leuchten knallbunt, es drängen sich „Like“-Daumen oder animierte Explosionen ins Bild, und immer wieder laufen Geschehnisse simultan ab. Das überfordert den Betrachter bisweilen und ist genau deswegen eine pointierte Darstellung der digitalen Impressionsflut, die täglich auf die Menschen einströmt.

Immer wieder droht der Zuschauer in der hektisch flimmernden Bild- und Tonwelt zu ertrinken, und seine Orientierung zu verlieren. Geschickt wird er jedoch von ruhigeren Momenten wieder aufgefangen und geerdet. Dieses Auf und Ab ist anstrengend, aber kann und sollte dem Publikum vor dem heimischen Bildschirm zugemutet werden. Nur so wird wirklich greifbar, welches Chaos eigentlich in der virtuellen Welt herrscht – und wir uns ihr trotzdem bereitwillig aussetzen. Darauf macht auch die Echtzeiteinbindung des Livechats bei der Premiere aufmerksam. Eine kreative Idee, die das Publikum wirkungsvoll in das Stück einbindet.

Wenig Halt bieten auch die Dialoge und Monologe. Sie sind so zwiegespalten wie die Wortschöpfung „Frenemies“, haben teils dadaistische Züge und dringen in den philosophischen Kosmos von Denkern wie Aristoteles oder Hannah Arendt vor. Fragen werden dabei kaum beantwortet, sondern aufgeworfen. Verwirrung und Unsicherheit sind so ein ständiger Begleiter des Theaterstücks. Das kann bisweilen etwas unbefriedigend sein, aber macht auch neugierig. Vor allem, weil sich beim genaueren Hinhören doch meistens eine Botschaft unter den komplexen Konstruktionen verbirgt.

Spannend bleibt das Stück, das keine wirkliche Handlung, sondern mehr ein Thema hat, durch den Bruch von Erwartungshaltungen. In einem Satz wird über Unterwäsche mit „Alf“-Motiv gesprochen, im nächsten über das kommunistische Manifest. Nina verrät in ihrem Schmink-Tutorial nicht nur, wie man den perfekten Lidstrich zieht, sondern auch, wie sie und Aristoteles das Konzept von „Freundschaft“ verstehen. So bleibt das Theaterstück über 90 Minuten hinweg interessant. Gerade wegen der Flut an visuellen und intellektuellen Eindrücken hätte es allerdings trotzdem etwas kürzer ausfallen dürfen.

Überaus positiv hervorzuheben ist sowohl die schauspielerische als auch die technische Leistung. Fast alle Szenen wurden live von den jungen Darstellern vor laufender Webcam gespielt. Ohne sichtbares Publikum und über Städte- und Ländergrenzen hinweg (die beteiligten Schauspieler wohnen in Düsseldorf, Berlin und Tel Aviv) schafften sie es nicht nur, die komplexen Texte anscheinend mühelos zu transportieren, sondern auch trotz Zeitverzögerungen miteinander zu interagieren.„Für die große Herausforderung des Zusammenführens der Kanäle haben wir einen Experten geholt, der sich mit der Software vmix sehr gut auskennt und in der Lage war, die acht Kanäle von acht verschiedenen Orten plus das bereits vorher erstellte Videomaterial live zusammenzumischen und zu schalten“, berichtet Rahel Häseler vom Berliner Künstlerkollektiv „Andcompany&Co.“

So entstand ein erfrischend anderes Theatererlebnis, das sich geschickt digitaler Möglichkeiten bedient und einen klugen, bizarren und unterhaltsamen Kommentar zur derzeitigen Situation abgibt, bei dem am Ende ganz klar wird: Mit wirklich guten Freunden ist alles zu ertragen.

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