Lesung im Heine-Haus Viel Selbstverteidigung, wenig Diskussion

„Stella“ von Takis Würger hat für viel Aufregung unter Literaturkritikern gesorgt. Die Lesung im Heine-Haus wird dem nicht gerecht.

 Bei der Lesung von Takis Würgers Roman „Stella“ im Heine-Haus gab es kaum Zeit für Fragen.

Bei der Lesung von Takis Würgers Roman „Stella“ im Heine-Haus gab es kaum Zeit für Fragen.

Foto: dpa/Christophe Gateau

Wenn Takis Würger, die aktuelle Zielscheibe des Deutschen Feuilletons, sein Roman „Stella“ vorstellt, sind ausverkaufte Lesungen garantiert. So ist es auch im Düsseldorfer Heine-Haus, und man fragt sich, ob es sich mit den Zuschauern ein bisschen so verhält wie mit Menschen, die auf einen Skandal hoffen. Es sind viele gekommen, ein paar müssen auf der Treppe sitzen. Der 34-jährige „Spiegel“-Journalist hat ein Buch geschrieben, das vom Dritten Reich handelt. Das Buch ist eine fiktionalisierte Geschichte, die in einer Mischung aus Naivität und Krassheit viele Fragen aufwirft und wenige Antworten gibt. Darüber wurde schon viel geschrieben, die Düsseldorfer wollten nun darüber mit dem Autor diskutieren. Doch dafür ist an diesem Abend leider viel zu wenig Zeit vorgesehen.

Takis Würger liest lieber aus seinem Buch, als dass er darüber spricht – Passage um Passage, das macht er richtig gut. Er hat eine angenehm tiefe Stimme, die an den richtigen Stellen lauter oder leiser wird. David Eisermann (WDR) moderiert die Veranstaltung, das macht er mit viel Verständnis. Der Abend ist eher Buchvorstellung als Diskurs. Würger erklärt seinen Roman, und sich selbst erklärt er dabei auch.

„Stella“ basiert auf wahren Begebenheiten. Die Jüdin Stella Goldschlag, geboren 1922, gab es wirklich. Sie lebte in Berlin, arbeitete für die Gestapo und verriet untergetauchte Juden. Stella Goldschlag ist eine geschichtlich gut dokumentierte Figur, deren Umrisse sich auch so in dem Roman von Würger wiederfinden. „Ich wollte kein Sachbuch schreiben, ich wusste, dass ich auf einer Sachebene nichts hinzufügen kann“, sagt Takis Würger. „Das Leben der historischen Stella Goldschlag ist in seiner Grausamkeit unbegreiflich“, so der Autor. Er wählt deswegen einen eigenartigen Zugang – die Figur des jungen Schweizers Friedrich, der reich und extrem naiv ist. Und dazu auch noch in Stella Goldschlag verliebt. Aus dessen Perspektive wird der Roman erzählt. Es ist eine sehr praktische Perspektive. Die Charaktereigenschaften von Friedrich sind gute Voraussetzungen, um eine dramatische Geschichte zu erzählen, mit vielen Effekten, mit Drogen, Erotik und Liebe. Die „Neue Zürcher Zeitung“ nennt das Buch „Holocaust-Kitsch“. Daran muss man denken, als Würger eine Passage vorliest, in der sich Stella nackt malen lässt. Die Beschreibung aus der Sicht von dem jungen Friedrich ist mehr als nur leicht erotisch, findet auch Moderator Eisermann. Würger tut so, als ob er die Gründe dafür nicht versteht.

Im Laufe des Abends distanziert sich der 34-Jährige mehrmals von seiner Figur Friedrich. „Bin ich naiv, nur weil mein Erzähler naiv ist?“, fragt Würger. Wenn junge Männer über junge Männer schreiben, meinen sie häufig auch ein bisschen sich selbst. Und wenn der junge Mann, der im Buch eine fiktionale Geschichte erzählt, durch sein Wesen praktischerweise von der Grausamkeit der Geschichte geschützt ist, dann ist das auch der Selbstschutz des Autors. Das Buch wirkt deswegen an manchen Stellen zu konstruiert. Zum Beispiel, wenn der 19-jährige Friedrich beschließt, dass es ausgerechnet seine Aufgabe ist, nach Berlin zu reisen, um zu überprüfen, ob Juden wirklich von den Nazis verschleppt werden.

Der Selbstschutz-Reflex schadet nicht nur dem Buch, sondern auch der Lesung im Heine-Haus. Damit wirkt der Autor stets ein bisschen unglaubwürdig. Etwa, wenn er über seinen guten Kumpel Noah erzählt. Das erinnert an Leute, die sagen: „Ich habe sogar auch Freunde, die Juden sind“ – und damit ihre unbequemen Worte beschönigen wollen. Zur Verteidigung wird auch die Meinungsfreiheit herangezogen. „Ich habe das Buch über eine Zeit geschrieben, in der keine öffentliche Meinungsäußerung erlaubt war. Heute ist das anders. Wenn es darüber eine Debatte gibt, wie wir uns erinnern, dann ist das auch gut so“, so kommentiert der Autor die Diskussion um seinen Roman.

Richtig dramatisch wird es nur, als Würger eine Passage vom Beginn des Romans liest. Friedrich wird verprügelt, durch seine Verletzung verliert er die Fähigkeit, Farben zu erkennen. Just in diesem Moment knackt es kurz, die Lampen auf der linken Seite im Heine-Haus gehen aus, die Glühbirnen sind ausgebrannt.

Zwei Fragen seien der Ausgangspunkt für „Stella“, erklärt Würger in einem weiteren Selbstverteidigungsversuch. „Wie entsteht individuelle Schuld?“ ist die eine. „Was würden wir tun, um unsere Eltern zu schützen“ die andere. Diese Fragen, das habe er schon damals gewusst, könne er nie beantworten. Keine Pointe.

Alle, die an diesem Abend einen dramatischen Autounfall sehen wollten, werden enttäuscht nach Hause gehen. Der großen Feuilleton-Debatte wird die Lesung nicht gerecht. „War das jetzt ein Abend mit Gewinn?“, fragt ein älterer Herr in den Raum hinein am Ende der Lesung. Das „Nein“ muss er nicht mehr aussprechen.

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