New Fall Festival Sturm und Drang aus der Provinz

Düsseldorf · Die Band Provinz sorgte zum Abschluss des Düsseldorfer New Fall Festivals für ein letztes musikalisches Highlight voll ausgelassener Melancholie.

Die Band Provinz beim New Fall Festival in Düsseldorf

Die Band Provinz beim New Fall Festival in Düsseldorf

Foto: Chiara Baluch

Provinz verliert keine Zeit. Sobald die Band ihren Platz auf der Bühne eingenommen hat, trifft das Publikum die „Hymne gegen euch“ wie ein Paukenschlag. Grell durchschneidet das Rampenlicht den herbstgrauen Abend, bissige Keyboardakkorde werden von druckvollem Schlagzeug begleitet. Frontmann Vincent Waizenegger singt: „Hörst du die Schüsse in der Luft? Ja, das ist mehr als ein Geräusch“. Der Frust der jungen Generation über rückwärtsgewandte Kleingeistigkeit kanalisiert sich in einprägsamen Zeilen. Mit viel Überzeugung werden sie in den Ehrenhof hineingerufen. Die Botschaft an die Zuhörer ist klar: Musiker und Publikum stehen auf derselben Seite, teilen sich eine Lebensrealität und Gefühlswelt. „Sie meinen weiter, jeder kämpft alleine. Aber wieso sind wir dann so viele?“

Diese Art der Ansprache funktioniert nur über Authentizität. Eine Prämisse, die Provinz ohne große Anstrengung einlöst. Ungeschminkte Echtheit ist das Konzept der Band. Hier stehen vier ganz normale Jungs aus einem oberschwäbischen Dörfchen, die auch nach einigen Jahren Bühnenerfahrung immer noch bei den Ansagen der Lieder nervös werden, sich verhaspeln, etwas unsicher in die Menge schauen. Sobald sie aber in ihre selbstgeschaffene Klangwelt eintauchen, ist alles wieder gut. Dann strotzen sie vor Energie, die auch Jahre des öden Dorflebens nicht ersticken konnten – oder vielleicht sogar befeuert haben. Bassist Moritz Bösing tanzt trotz wenig Platz über die Bühne, Sänger Waizenegger läuft wie ein Tiger im Käfig hin und her und singt sich sprichwörtlich die Seele aus dem Leib. All die in vergangenen Jugendjahren gesammelten Erfahrungen liegen ihm direkt auf der Zunge. Jedes Wort vibriert vor damit verknüpften Gefühlen, nichts wirkt ausgedacht oder aufgesetzt. Dadurch entwickelt das Konzert schon früh eine beachtliche Intensität.

„Los, verlier dich“ hat weniger mit einem Aufruf zum Widerstand zu tun, sondern ist vielmehr eine Kapitulationsbekundung gegenüber der Wirklichkeit. Es bleibt nur die Möglichkeit, sich zu betäuben – „Schenk mir nach. Ja, ich will noch 'n paar“. Schwer wird der Text durch Zweifel und Wehmut geerdet, die Musik aber gibt im Refrain nur eine Richtung vor: nach vorne. Die Stimmen der anderen drei Bandmitglieder verschmelzen zu einem Chor, geben dem Lied eine Weite, in die Waizeneggers Stimme rau und warm zugleich hineinschallt und vor Verzweiflung fast zu brechen droht. Diese übergroße Klangkulisse flutet im Laufe der gut anderthalbstündigen Show immer wieder dem Publikum des New Fall Festivals entgegen. Eine Mischung aus Wucht, Ehrlichkeit und Tanzbarkeit, die Provinz von den vielen anderen Dorfbands abhebt, die es nie über die Bühne des Schützenfestes hinausgeschafft haben.

Wirklich helle Momente gibt es bei dem Konzert, zumindest inhaltlich, selten. „Neonlicht“ handelt von der Schnelllebigkeit der Stadt und damit einhergehender Überforderung, „Du wirst schon sehen“ entwickelt sich auf den zweiten Blick zur hintersinnigen Kapitalismuskritik. Filigrane Formulierungen werden für all diese Texte nie gewählt, aber das würde auch kaum passen. Alles ist geradeheraus, schnörkellos und emotional. Wie an einem langen Abend in der Dorfkneipe, an dem jeder angetrunken am Tresen sein Herz ausschüttet. Erdrückend? Vielleicht. Aber auch zutiefst menschlich und irgendwie tröstlich. Jeder trägt schließlich schwere Gedanken mit sich und Provinz erzählt genau davon.  

Musikalisch dagegen zieht die Band das Publikum immer wieder mit pumpenden Keyboardtönen und einladend melodiösen Bassläufen hoch.  „Tanz für mich“ löst ein, was der Titel verspricht. Auf den Plätzen hält es da im Ehrenhof sowieso schon seit geraumer Zeit niemanden mehr. Zu unwiderstehlich ist der Sog, den die Musik entwickelt.

Die Zugabe eröffnet Sänger Waizeneggers alleine mit der E-Gitarre in der Hand und erzählt von der Unstetigkeit jeder Beziehung. „Zwei Menschen werden eins, zwei Menschen werden zwei“ heißt es da, womit der Kern des Ganzen präzise getroffen ist. „Wenn die Party vorbei ist“ zieht das Tempo noch einmal an und mit „Reicht dir das“ wird stimm- und klanggewaltig der Schlusspunkt gesetzt. Ein eindrucksvoller Abschluss voller Wehmut und Melancholie, der nachdenklich stimmt: „Und der letzte Schluck ist warm und schmeckt bitter“. Ein finaler Gänsehautmoment, den alle hier gerne mit nach Hause nehmen.

Provinz im Ehrenhof.

Provinz im Ehrenhof.

Foto: Chiara Baluch

Die in der Provinz hinter Ravensburg entstandenen Klänge markieren gleichzeitig auch das Ende des New Fall Festivals 2021. Nach einem Monat lang ersehnter Live-Musik und insgesamt neun Künstlern lässt sich festhalten: Die Veranstalter haben das Festival erfolgreich an die gegebenen Umstände angepasst und damit den Künstlern eine dringend notwendige Bühne gegeben. Jetzt mag die Party im Ehrenhof vorerst vorbei sein, aber die nächste kommt bestimmt.

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