Ateliergespräch Sinnender Akt mit Apfel

Die Werke der 34-jährigen Düsseldorfer Malerin Vivian Greven kreisen um die Angst, an Menschen nicht wirklich heranzukommen. Diese stellt sie in pastellfarbenen, fast abstrakten Bildern dar.

 Die Malerin Vivian Greven in ihrem Atelier neben einem ihrer neuesten Bilder.

Die Malerin Vivian Greven in ihrem Atelier neben einem ihrer neuesten Bilder.

Foto: Anne Orthen (orth)

Wenn Malerei die Bildsprache der Werbung spricht, stiftet sie leicht Verwirrung. Vivian Greven, die 34-jährige Düsseldorfer Künstlerin, erzielte diesen Effekt zuletzt im Bonner Kunstmuseum. Dort, in der Ausstellung „Jetzt! Junge Malerei in Deutschland“, hingen ihre pastellfarbenen, sich auf Konturen beschränkenden Akte inmitten farbintensiver Malerei, die an ihrem Kunstcharakter keinen Zweifel ließ. Grevens Bilder aber kommen anders daher. Womöglich wird man erst auf den zweiten Blick feststellen, dass glatte Haut hier nicht für Kosmetik werben will, sondern die scheinbare Nähe der Körper meist nur ein Annäherungsversuch ist. Der erwartete Kuss bleibt oft aus, die Erotik gefriert.

Greven hat daraus eine zuweilen virtuos verstörende Ästhetik entwickelt, zum Beispiel in ihren drei Grazien, die als gesichtslose Farbflächen auf eine schwer durchschaubare Weise einander umschlingen. Diese figürliche Malerei mit der Tendenz, sich in Ungegenständlichkeit aufzulösen, formuliert im Bild Fragen wie diese: Wie kann ich an Menschen und Dinge wirklich herankommen? Ist Berührung überhaupt möglich? Bleibt meine Sehnsucht nach dem Authentischen unerfüllt? Und muss ich den Schmerz, der daraus erwächst, vielleicht bis zum Lebensende ertragen?

Greven beschreibt, wie ihr diese Fragen zugeflogen sind: „Das kam aus einem inneren Suchen heraus. Es ist etwas, das als Lebenserfahrung, als Lebensgefühl in mir liegt.“ Sie will damit keine Selbstbespiegelung treiben, sondern den Blick auf die Gesellschaft richten: „Wie berührbar sind wir? Wie sehr lassen wir uns zum Beispiel von dem berühren, was wir essen?“ Greven findet: „Wir dürfen erkennen, dass wir alle miteinander verbunden sind und sollten darauf achten, dass wir nicht die Liebe zum Nächsten verlieren.“

Die politischen Themen der unmittelbaren Gegenwart durchziehen bereits die Bilder der vergangenen Jahre, mehr noch aber diejenigen, die zurzeit entstehen. In Vivian Grevens Atelier hängt ein neues Gemälde, auf dem ein weiblicher Akt auf einen Apfel in der Hand blickt. Wie die Konturen der Frau zu zerfließen scheinen, so gehen auch die Themen des Gemäldes ineinander über. Der Apfel lässt an den Apfel vom biblischen Baum der Erkenntnis denken, von dort gelangt man zum Adamsapfel und schließlich zum Logo des Konzerns Apple. Derlei Assoziationen finden ihren Niederschlag in einer Computerdatei, daraus zieht die Künstlerin am Ende das zentrale Motiv ihres Bildes.

Bild und Sprache gehen in Greven eine enge Verbindung ein. Parallel zu ihrem Studium an der Düsseldorfer Akademie bei Siegfried Anzinger und Thomas Grünfeld hat sie an der Universität Wuppertal Anglistik für das Lehramt am Gymnasium studiert. Sie schreibt viel und stellt beim Malen oft fest: „Da kommt die Literaturwissenschaftlerin in mir wieder durch.“

Kunst entsteht aus Kunst. So streift auch Vivian Greven gerne durch verschiedene Museen, um sich anregen zu lassen. Sie schätzt die Intimität der Bilder von Jan Vermeer, sie bewundert Tiepolo, Georges de la Tour und den Schweden Anders Zorn, ebenso Andy Warhol, Alice Neel, Yves Klein und überhaupt die Zero-Kunst. Dabei freut sie sich über die Fülle an Kunst, auf die sie frei zugreifen darf.

In London, Wien und den USA hat sie gelebt, doch zuhause fühlt sie sich mit ihrem Lebensgefährten in Düsseldorf, dieser Stadt, „in der man alles so gut zu Fuß erreichen kann“ und in der sie gut vernetzt ist.

Der Streifzug durch die Museen der Welt hat in Grevens Bildern Spuren hinterlassen. In einer Vorschau auf ihre nächste Ausstellung, ab 21. November im Kunstpalais Erlangen, heißt es treffend: „Ihre Figuren sind zum Leben erweckte Renaissance-Skulptur, deren glatte Haut an Marmor und Porzellan erinnert.“ Die Farbpalette lässt den Autor nicht nur an die Kunst des Rokoko denken, sondern zugleich an jene Pastelltöne, die sich heute in Webdesign, Social Media und Netzkunst verbreiten.

Das Apfelbild soll der Kompass für die neue Phase in Grevens Kunst sein. Man könnte sie mit „physische Übergänge“ überschreiben. Die „Atemräume zwischen den Figuren“ sollen sich „mit Farbe füllen“.

„Wir haben gerade jetzt, in der Corona-Zeit, die Chance auf ein Bewusstsein für Verbundenheit“, sagt Vivian Greven, „und das ist global, das spürt man hier ebenso wie in Los Angeles.“ So könnte der Blick auf den Apfel auch ein Aufruf sein, die Erde und uns selbst endlich in Schutz zu nehmen.

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