Neue Oper für Kindergartenkinder aus Düsseldorf Bertil und die sprechende Geigerin

Düsseldorf · Eine Oper für Vierjährige? Das probiert die Deutsche Oper am Rhein gerade aus. Das Auftragswerk „Nils Karlsson Däumling“ nach Astrid Lindgren soll moderne Musik in die Kita bringen. Eine aufregende Erfahrung – für die Künstler und das junge Publikum.

 Däumling Nils Karlsson (Karin Nakayama, rechts) zeigt dem einsamen Bertil (Sopranistin Annika Boos) seine Welt.

Däumling Nils Karlsson (Karin Nakayama, rechts) zeigt dem einsamen Bertil (Sopranistin Annika Boos) seine Welt.

Foto: Junge Oper am Rhein/Birgit Hupfeld

Den kleinen Jungen in der ersten Reihe hält es kaum auf seinem Sitzpolster. „Da! Da liegt noch ein Stück Käse! Da! Da!“, ruft er und zeigt mit ausgestrecktem Arm auf einen gelben Schaumstoffbrocken. Bühnenkäse.

Auf der Bühne rast Annika Boos herum und sammelt alles ein, was sie und Geigerin Karin Nakayama gerade im gesamten Raum verteilt haben: ein Tuch, riesige Löffel, Käse- und Brotbrocken und noch so einiges anderes. Die Sopranistin Boos spielt Bertil, einen einsamen kleinen Jungen, der sich soeben mit Nisse (Nakayama) angefreundet hat. Voller Name: Nils Karlsson. Größe: etwa so wie ein Daumen. Wohnort: in Bertils Keller. Die beiden haben dort ein Feuer angemacht, damit sie es warm haben; Fleischklöße, Käse und Brot gegessen – eine normale Menschenportion, die im Däumlingreich gigantisch groß ist – und schließlich wild gespielt. Bis oben die Fußtritte von Bertils Eltern zu hören waren. Die natürlich von alledem nichts merken dürfen.

Im Kaspertheater ist es normal und sogar erwünscht, dass die jungen Zuschauer anteilnehmen, reinrufen, vielleicht sogar mitmachen. Funktioniert das auch in der Oper? Dieses Experiment wagt ein Team der Jungen Oper am Rhein gerade. Librettist, Komponist, Regisseur und die beiden Darstellerinnen haben gemeinsam das Stück „Nils Karlsson Däumling“ für Kinder ab vier entwickelt. Und wie die Probevorführung im Foyer des Düsseldorfer Opernhauses zeigte: Kinder ab vier lassen eine Oper nicht einfach über sich ergehen – wo sich die Möglichkeit bietet, mischen sie kräftig mit.

„Es hat geklopft“, rufen die 20 Mädchen und Jungen aus der Pünktchen-und-Anton-Kita aus der Carlstadt mehrmals, als es hinter der Bühne etwas rumpelt. Dass Sopranistin Annika gerade eine langsame, leise Arie über Einsamkeit singt, interessiert sie da wenig. Boos lässt sich nicht stören. „Ich habe heute noch mal für mich getestet, wie wir damit umgehen“, sagt sie später. „Es geht um die Balance. Einerseits wollen wir zeigen: Es ist schön, dass ihr da seid, und wir laden euch ein zu partizipieren. Aber wir wollen eben auch die Einladung nicht zu groß machen, damit die Aufmerksamkeit auf dem Spiel bleibt.“

Interaktiv ist „Nils Karlsson Däumling“ nur an zwei Stellen: Am Anfang vermessen Bertil und Nisse in Blaumännern die Bühne und anschließend auch die Körperteile einiger Kinder im Zuschauerraum. „Groß!“, sagt Bertil, oder „klein!“ – sehr zur Erheiterung des Publikums. Später klappt der Zauber, mit dem Bertil wieder groß werden will, erst, als die Kinder mitsingen. Ansonsten reagieren die Darstellerinnen nur sehr sparsam auf die Zurufe der Kinder. Das 40-Minuten-Stück arbeitet stattdessen mit schnellen Szenenwechseln, so dass die Zuschauer immer wieder neu gefesselt werden.

Entstanden ist „Nils Karlsson Däumling“, wie sonst selten an der Oper gearbeitet wird: in einem gemeinsamen Prozess zwischen Kreativen und Publikum. Librettist Manfred Weiß entwickelte mit Regisseur Anselm Dalferth und den Darstellerinnen in Proben und Improvisationen die Ideen für die Bühnenumsetzung der zauberhaften Handlung. Die Herausforderung: den sich ständig groß und wieder klein hexenden Bertil und den winzigen Nisse glaubhaft auf die Bühne bringen – aber ohne viele Tricks und doppelten Boden, denn die Inszenierung soll ja von Kita zu Kita ziehen. Alle Requisiten passen nun in eine große Kiste, die auch den wesentlichen Teil des Bühnenbilds ausmacht. Die jungen Zuschauer glauben ohne Weiteres, dass der normalgroße Fleischklops, den Bertil oben in eine Schublade tut, unten im Keller „so groß ist wie Nisses Kopf“. Die Kinder fragten oft, wie sie das gemacht hätten, erzählen Boos und Nakayama. „Wir sagen dann: Wir haben gezaubert.“

Der kanadische Komponist Thierry Tidrow schrieb dann jeweils die Musik zu den Szenen – fast wie ein Filmkomponist. „Ich habe noch nie so viel geschwitzt und gearbeitet“, lacht er. Dass Nisse von einer Geigerin oder einem Geiger gespielt wird, geht auf ihn zurück. „Ich wollte ein Instrument auf der Bühne – ein Streichinstrument, weil man damit sowohl schöne Melodien spielen als auch alle möglichen Geräusche erzeugen kann.“

Nach langem Casting bekam Karin Nakayama die Rolle. Für sie der erste Auftritt im Schauspielfach – weshalb sie in der Pressemitteilung zum Stück als „sprechende Geigerin“ angekündigt wird. Die 30-jährige Japanerin, die 2013 ihr Studium an der Folkwang Universität Essen abschloss, sagt, das Stück für Kinder sei nicht ohne. Während sie Tidrows avantgardistische Sequenzen spielt, muss sie teils gleichzeitig mit Requisiten arbeiten und auf den Sprechrhythmus ihrer Bühnenpartnerin achten. Und dabei das Publikum im Auge behalten. „Wenn die Kinder sehr aufgeregt und laut sind, kann ich teils darauf Einfluss nehmen, indem ich anders spiele: später oder früher einsetze, lauter oder leiser“, sagt sie.

Pädagogische Absichten verfolgt die Crew mit „Nils Karlsson Däumling“ übrigens nicht – zum Glück. „Die Kinder in der Kita sind für uns genauso ein Publikum wie die Erwachsenen, die abends in die Oper kommen“, sagt Regisseur Anselm Dalferth. „Wir wollen, dass sie etwas Tolles erleben. Ob sie später mal Avantgarde-Musik mögen oder Opern-Abonnenten werden, ist zweitrangig.“ Auch wenn es natürlich schön wäre, fügt er noch hinzu.

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