Kunstprojekt im Tanzhaus Wenn Therapie zu Kunst wird

Düsseldorf · 55 Stunden Einblick in die Düsseldorfer Psyche: Künstler Clemens Krauss macht seit drei Wochen Therapiesitzungen im Tanzhaus.

 Durchdringender, herausfordernder Blick, kombiniert mit ganz viel Schweigen: Clemens Krauss führt gut durch seine Therapiesitzungen.

Durchdringender, herausfordernder Blick, kombiniert mit ganz viel Schweigen: Clemens Krauss führt gut durch seine Therapiesitzungen.

Foto: K. Laschkow

Ein schlichter Raum mit weißen Wänden, zwei Stühlen, einem Tisch, in der Ecke ein schwarzes Sofa. Zwei Menschen sitzen sich gegenüber und reden miteinander. Es ist eine klassische Situation zwischen Therapeut und Patient, es ist aber mehr als das. Clemens Krauss heißt der Mensch auf dem einen Stuhl, er hat eine siebenjährige Ausbildung zum Analytiker absolviert, das Ziel war für ihn von Anfang an klar: Krauss wollte die Kenntnisse der Therapie in seine Kunst einfließen lassen. Schon seit zwei Wochen führt er 50-minütige Sitzungen mit Düsseldorfern im Tanzhaus. 66 solche „Sessions“ werden es insgesamt, also genau 55 Stunden mit Einblicken in die Psyche der Stadtbewohner. Jedes Einzelgespräch sieht der Therapeut als Kunstwerk für sich. Und eines dieser Gespräche führe ich mit ihm.

Therapie ist zuerst einmal ganz viel Stille, das lerne ich schon in den ersten Minuten unserer Sitzung. Selbst das Reden ist auf eine Art still, mit langen Pausen, man neigt reflexhaft zu einem tiefen, ruhigen Ton. Zunächst unterhalten wir uns noch über die Arbeit von Krauss, seine Erfahrung, wir befinden uns im Vorgespräch. Oder sind wir doch schon mitten in der Sitzung? „Wir haben schon längst angefangen“, sagt Krauss. Ein klassischer Psychoanalytiker-Satz, denke ich mir und fühle mich ein bisschen beobachtet. Es folgen zehn Sekunden Stille, in denen ich mich frage, wie er das wohl meint. Es fühlt sich viel länger an. Krauss schaut mich fordernd an und sagt – nichts. „Soll ich loslegen, oder legen Sie los?“, frage ich. Stille, zwölf Sekunden.

Krauss ist bildender Künstler. Er kommt ursprünglich aus Österreich, lebt gerade in Berlin und hat schon in vielen Ländern Malerei, Video-Arbeiten und Installationen ausgestellt: Brasilien, China, Israel, Australien, die Liste ist lang. Warum er jetzt ausgerechnet als Teil des Mensch-Maschine-Festivals „Hi Robot!“ im Düsseldorfer Tanzhaus Therapiesitzungen anbietet, verstehe er auch nicht wirklich, sagt Krauss in einem Telefonat nach unserer Sitzung. Und erklärt es dann doch: „Ich bin das komplette Gegenteil. Menschlicher als bei mir geht es gar nicht.“ Jedes Kind könne ein anderes Kind wickeln, aber kein Roboter könne es: Diesen Satz hat Krauss von einem Robotroniker aufgeschnappt. Die Sitzungen sind Teil des Festivals, vordergründig aber gehört das Projekt zur Ausstellung „Body in Pieces“ im Kai 10. „Performativ-partizipatorisch“ nennt Krauss seine Sitzungen. Das Publikum beobachtet also nicht nur, es macht mit. Womit wir wieder bei unserer Sitzung wären.

Nach etwa 20 Minuten haben Krauss und ich ein Thema gefunden. Ich entscheide mich für etwas Harmloses – Stress bei der Arbeit. Den hat schließlich jeder. Es dauert fast auf den Punkt genau sieben Minuten, bis eine Frage kommt, die man für einen schlechten Witz halten könnte: „Haben Sie eigentlich Geschwister?“ Das Klischee der Familienfragen bei der Therapie sei leider zutreffend, erklärt Krauss auf Nachfrage. „Die erste Gruppe, die man als Mensch erfährt, ist in der Regel die familiäre.“ Es gebe Tausende von Witzen über Analytiker und ihre Methoden, sagt Krauss. Er kennt sie wahrscheinlich alle, also lieber eine ernste Frage stellen.

Ob es nicht gefährlich ist, den Finger bei einer Sitzung in die Wunde zu legen? „Ich wüsste damit umzugehen“, sagt Krauss. „Man macht keine Kiste auf, die man nicht anständig zukriegt. Das ist ganz wesentlich.“ Der Künstler garantiert volle Anonymität. „Man kann den Raum nutzen, auch mich ein Stück weit, sozusagen als eine neutrale Projektionsfläche in einem geschützten Raum“, fasst der Analytiker zusammen. Er macht seine Sache gut, ich kann mir gut vorstellen, dass sich viele Besucher in den Sitzungen öffnen. Nach ein paar längeren Pausen sprechen wir also doch über meine Familie. Aber auch über die von Krauss.

Eigentlich sei es „total unanalytisch“, etwas Persönliches von sich zu erzählen. „Das macht man niemals“, sagt Krauss. Und dann tut er es doch. „Ich sitze hier acht Stunden am Tag und mache Theater.“ Von allen am Projekt Beteiligten verbringt er am meisten Zeit in dem schlichten Raum. „Das macht auch mit mir sehr viel.“ Gegenwärtige Psychoanalyse gehe von einer zweidirektionalen Beziehung bei der Therapie aus, erklärt Krauss am Tag nach unserem Gespräch: „Nicht nur der Therapeut behandelt den Patienten, sondern auch andersherum.“

An der Wand hängt eine Uhr, die ich nicht sehe. Irgendwann sagt Krauss, dass wir schon über die vorgesehene Zeit seien. Wie, das waren jetzt schon mehr als 50 Minuten? Kam mir wesentlich kürzer vor. Noch ein Anzeichen dafür, dass Krauss seine Sache als Therapeut gut macht. Und als Künstler? Das werden zunächst einmal nur diejenigen beurteilen können, die an dem Projekt teilgenommen haben. Für alle anderen will Krauss in den kommenden Monaten aus seinen Eindrücken eine Video-Arbeit entwickeln. Und damit das „kollektive Unbewusste“ der Düsseldorfer wiedergeben, selbstverständlich anonym. Das Video wird so lang wie eine Sitzung, 50 Minuten, aus seiner subjektiven Perspektive. Als suchend habe er die Düsseldorfer erlebt, oft als erschöpft. Sein Projekt könne Halt geben. „Wann haben zwei Menschen schon Zeit, miteinander eine Stunde in Ruhe zu sprechen? Das ist auch schon viel wert.“

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