Versteigerung gestoppt Düsseldorfer Auktionshaus übergibt Raubkunst an Gemeinde in Zypern

Düsseldorf · In letzter Minute wurde im April in Düsseldorf die Versteigerung eines Reliquienkästchens gestoppt. Sehr wahrscheinlich handelt es sich um Raubkunst. Nun haben die Besitzer des Auktionshauses Hergesheimer das Kunstwerk der zypriotischen Kirche übergeben.

 Auktionshaus-Chefin Susanne Hargesheimer überreicht das Reliquienkästchen einem Vertreter der zypriotischen Kirche.

Auktionshaus-Chefin Susanne Hargesheimer überreicht das Reliquienkästchen einem Vertreter der zypriotischen Kirche.

Foto: Auktionshaus Hargesheimer/Sebastian Maaß

Die Geschichte klingt wie eine Szene aus einem Hollywood-Krimi. Düsseldorf, Germany. Eine Kunstauktion. Eine schlanke, brünette Enddreißigerin steht am Pult. Gebote fliegen durch die Luft. Schnitt. Ein Close-up einer ausgedruckten E-Mail. Rücksprung. Eine Mitarbeiterin des Auktionshauses eilt mit der E-Mail durch den Saal, reicht sie der Frau am Pult, kurzes Getuschel. Close-up auf das Gesicht der Auktionatorin. Ein entschlossener Blick. Sie muss handeln.

Die Auktionatorin heißt Susanne Hargesheimer. „Wir haben wirklich fünf Minuten, bevor das Stück zum Aufruf kam, gesagt: ’Wir ziehen es zurück’, erinnert sie sich.

Zusammen mit ihrem Mann Frank betreibt sie ein Auktionshaus in der Friedrich-Ebert-Straße. Ein Schwerpunkt: russische und griechische Ikonen. So kam das Paar in Kontakt mit einer Frau, die die Ikonen-Sammlung ihres Bruders geerbt hatte. Und an den Auftrag, ein etwa dreißig Zentimeter breites Holzkästchen aus dem Jahr 1835 zu versteigern. Geschlossen sieht es aus wie ein Buch. Geöffnet sieht man die im Deckel aufgemalten Ikonen: Bildnisse der frühchristlichen Märtyrer Pantaleon, Charalampos, Tryphon, Michael von Synnada – und in der Mitte St. Mammas, auf einem Löwen reitend. Er wird in Zypern besonders verehrt und gilt als Heiler von Bauch- und Ohrerkrankungen. Darunter liegen – in Metall eingefasst – die Knochen verschiedener Heiliger. Nachdem die Hargesheimers das Kästchen in ihren Auktionskatalog aufgenommen hatten, zeigte ein knappes Dutzend Sammler aus aller Welt Interesse.

 Das Kästchen mit der Ikone des heiligen Mammas (Mitte).

Das Kästchen mit der Ikone des heiligen Mammas (Mitte).

Foto: Hargesheimer

Auch ein zypriotischer Klostervorsteher namens Symeon, ein passionierter Ikonenmaler, wurde aufmerksam. Er kontaktierte den Metropoliten von Morfou in Nordzypern. Gleichzeitig entdeckte der Archäologe Riginos Aristotelous das Angebot und informierte seinerseits Christodoulos Hatzichristodoulou, einen Experten für byzantinische Kultur. Er verfasste einen ausführlichen Bericht. „Aufgrund meiner Expertise bin ich vollkommen überzeugt“, schrieb Hatzichristodoulou, „ dass die beschriebene Reliquie die ist, die in der Kathedrale von St. Mammas im Dorf Morfou aufbewahrt und verloren wurde, als türkische Truppen Morfou im August 1974 besetzten.“ Den Bericht schickte er an Interpol, die sich ans Bundeskanzleramt wandte. Und dann geschah – nichts.

„Weil es keinen visuellen Beweis gibt – keine Fotografien des Kästchens, nur Beschreibungen von Augenzeugen –, lehnte das Bundeskanzleramt es ab, die Auktion zu stoppen“, erklärt Maria Paphiti, eine zypriotische Kunstberaterin. Es war ihre E-Mail, die Susanne Hargesheimer schließlich in letzter Minute davon abhielt, das Stück zu veräußern. „Die Reliquie wurde illegal aus Morfou entwendet“, hatte Paphiti ihr geschrieben. „Ich bin sicher, dass Ihnen das nicht bewusst war. Vielleicht hat Ihnen der Verkäufer falsche Informationen über die Reliquie gegeben. Jetzt aber wissen Sie, wer der rechtmäßige Besitzer ist: die Metropolie von Morfou.“

 Mit zwei Mitarbeitern (vorne links und rechts) begutachtet Archimandrit Fotios Ioakeim aus Zypern das Reliquienkästchen. Hinten rechts Susanne Hargesheimer, Inhaberin des Auktionshauses.  Fotos (2): Sebastian Maaß/Auktionshaus Hargesheimer

Mit zwei Mitarbeitern (vorne links und rechts) begutachtet Archimandrit Fotios Ioakeim aus Zypern das Reliquienkästchen. Hinten rechts Susanne Hargesheimer, Inhaberin des Auktionshauses. Fotos (2): Sebastian Maaß/Auktionshaus Hargesheimer

Foto: Auktionshaus Hargesheimer/Sebastian Maaß

Tatsächlich wissen die Hargesheimers nicht, wie das Reliquienkästchen in den Besitz des norddeutschen Sammlers kam. „Im Rahmen des Kulturgutschutzgesetzes müssen wir nachweisen, dass das Stück vor 1996 in Deutschland war“, sagt Hargesheimer. Laut aktueller Besitzerin waren die Ikonen seit den 70er oder 80er Jahren in der Sammlung ihres Bruders. Dokumente darüber gibt es aber nicht.

Die Hargesheimers entschlossen sich, das Unkonventionelle, aber einzig Richtige zu tun. Sie erwarben das Kästchen kurzentschlossen selbst – und stifteten es der Stadt Morfou. „Wir wollen damit deutlich machen, dass wir nicht mit unrechtmäßig beschafften Objekten handeln“, sagt Susanne Hargesheimer. „Wir wollen sauber arbeiten.“ Bereits 2018 gab das Ehepaar ein Gemälde des Malers Johannes Hermanus Koekkoek zurück, weil es aus dem Besitz des vor den Nationalsozialisten geflüchteten jüdischen Galeristen Max Stern stammte. „Wir möchten in diesem Bereich einen neuen Weg gehen, nicht nur nach dem Buchstaben des Gesetzes“, sagt Frank Hargesheimer. Solange man es finanzieren könnte, wolle man Stücke, die identitätsstiftend für eine andere Kultur seien, zurückgeben. Wäre das Kästchen versteigert worden, hätte es vermutlich einen mittleren vierstelligen Betrag eingebracht.

Und so übergab am Dienstag in der Friedrich-Ebert-Straße eine strahlende Susanne Hargesheimer einem noch strahlenderen Gesandten des Metropoliten von Morfou das Kästchen. „Seine Begeisterung zu sehen – das ist die Genugtuung“, sagte Hargesheimer anschließend. Archimandrit Fotios Ioakeim überreichte dem Ehepaar zum Dank eine Silbermedaille mit Segenswünschen des Heiligen Mammas – und lud sie nach Zypern ein. Dort soll die Ikone nun restauriert und dann wieder zu hohen Feiertagen den Gläubigen gezeigt werden. Wie schon vor hundert Jahren.

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