Düsseldorf Dominik Graf zu Gast im Filmmuseum

Düsseldorf · Viele halten ihn für Deutschlands besten Filmemacher: Dominik Graf kam zur Retrospektive seiner Filme nach Düsseldorf. Der 60-Jährige gab Auskunft über seine Arbeit und zeigte den Krimi-Klassiker "Die Katze".

 Dominik Graf: Wenige Filmemacher inszenieren Wirklichkeit so echt wie er.

Dominik Graf: Wenige Filmemacher inszenieren Wirklichkeit so echt wie er.

Foto: dpa

Das ist einer der großen Sätze der deutschen Filmgeschichte, gesprochen wird er in "Die Katze", Dominik Grafs Produktion aus dem Jahr 1987. Götz George steht am Fenster auf der achten Etage des Nikko Hotels in Düsseldorf. Er ist Bankräuber, zu allem entschlossen, das Gewehr muss noch zusammengebaut werden, gleich geht es los.

Der Morgen graut, George lässt Gudrun Landgrebe im Bett liegen, er zieht die Gardine beiseite, sieht in den Hof, atmet ein und sagt: "In zwei Stunden ist da unten Krieg." Der Zuschauer ahnt es zunächst nur, aber wenig später weiß er es: George hat verdammt recht. Dominik Graf sitzt an diesem Nachmittag im Hotel Orangerie in der Düsseldorfer Innenstadt. Er kam aus München, denn im Filmmuseum zeigen sie eine Retrospektive seiner Werke.

In den 25 Jahren seit "Die Katze" ist der heute 60-Jährige zu einem der wichtigsten Filmemacher im Land gereift, viele sagen: zum besten. Er drehte die großartige Serie "Im Angesichts des Verbrechens", von ihm stammen die Höhepunkte der Krimireihe "Polizeiruf 110" mit Edgar Selge und Matthias Brandt, die Milieustudie "Hotte im Paradies", der Thriller "Das unsichtbare Mädchen" sowie die bewegende Dokumentation "Lawinen der Erinnerung" über den Fernsehregisseur und Autor Oliver Storz. Graf ist ein lässiger Epiker, der Amerikaner unter den deutschen Regisseuren. Er interessiert sich für das Körperliche, das Unberechenbare, seine Filme sind für Männer und Frauen und nicht für kleine Jungs und Mädchen.

Die Figuren reden, wie sie im echten Leben sprechen würden, die Kamera streift die Dinge, sie verharrt nirgendwo. Grafs Blick ist flüchtig und erfasst doch alles mit großer Präzision. Graf soll gleich im Filmmuseum Auskunft über seine Arbeit geben, ein Buch über sein Werk wird vorgestellt, danach läuft "Die Katze". Er trägt ein Hemd, an dessen Knopfleisten sind drei Kugelschreiber befestigt - vielleicht, damit jeder Einfall sofort notiert werden kann, jede Idee fixiert.

Graf spricht klar, vor jeder Antwort schaut er kurz ins Nichts, sammelt sich, hinter den Brillengläsern blitzen schlaue Augen. Er spricht mit derselben Begeisterung über die Arztserie "Praxis Bülowbogen", Filme seines Hausheiligen Nicolas Roeg ("Wenn die Gondeln Trauer tragen") und US-Serien. Er sagt: "Mad Men ist wahnsinnig cool. Die Serie hat diese kühle Atmosphäre, aber darunter herrscht eine irrsinnige Verzweiflung. Das entspricht unseren modernen kapitalistischen Gesellschaften." Und: "Die Amerikaner knallen in ihren TV-Serien mit der Plot-Peitsche wie die Zirkusdirektoren. Das ist manchmal nicht gut für das Zeit- und Raumgefühl. Aber trotzdem ist das eine beeindruckende Form des hochintelligenten, fast akademischen Storytellings - sozusagen Autoren-Fernsehen." Wenn Graf über Film spricht, spürt man Zärtlichkeit, ein grundsätzliches Zugeneigtsein auch dem vermeintlich Minderwertigen gegenüber.

Wie Quentin Tarantino liebt er den Trash, das italienische Genrekino der 60er und 70er Jahre etwa. Anders als sein amerikanischer Kollege stellt er diese Leidenschaft in seinen Arbeiten jedoch nicht aus, sondern macht sich einen Reim darauf, entwickelt weiter. Grafs Vater Robert war ein berühmter Schauspieler in der Bundesrepublik der 50er und 60er Jahre, seine Mutter stand ebenfalls auf der Bühne, sein Ur-Ur-Großvater ist der frührealistische Erzähler Karl Gutzkow ("Wally, die Zweiflerin", "Die Ritter vom Geiste"). "Ein Regisseur sollte seine Reflexionen formulieren können", sagt Graf, man werde sich dann leichter bewusst über das Geschaffene. Er selbst ist ein hervorragender Autor, man kann das überprüfen an dem Band "Schläft ein Lied in allen Dingen", der Texte versammelt, die er in der "FAZ" und der "Süddeutschen" veröffentlichte.

Die Regisseure der Nouvelle Vague begannen ja fast alle als Filmkritiker, sagt Graf, Godard und Truffaut, und auch die Großen in Deutschland begleiteten die Arbeit am Set mit Texten: Fassbinder, Thome, Wenders. Graf nennt Frieda Grafe als Vorbild, die legendäre Münchner Kritikerin, die 2002 starb. Er brachte soeben eine Monografie über die US-Serie "Homicide" heraus, und was darin steht, liest sich wie eine Analyse des eigenen Schaffens: "Die Welt in einer Nuss-Schale, eingefangen an unserem verdammt harten Arbeitsplatz." / "Jeder Dialog wirkt wie eine grundsätzliche Lebensäußerung." / "Perlenketten von grandiosen alltäglichen Situationen."

Vielleicht kann man es so sagen: Es geht Graf darum, Gegenwart in die Filme zu holen und Wahrheit. "Die Zuschauer sollen das Gefühl haben, dass meine Filme jetzt spielen", sagt Graf. Er wolle die Landschaft jedes Mal neu umgraben, sie nach Knochen absuchen, weil alles, was man zu wissen meine, vielleicht falsch sei. Das ist Filmkunst, die Verdichtung von Zeitgenossenschaft anstrebt. Man sollte sich noch einmal "Das unsichtbare Mädchen" (2011) ansehen, den Krimi mit Ronald Zehrfeld.

Wie da Leben inszeniert wird, spürt man schon in den Sounds, am Krach des vorbeifahrenden Zuges, der den Sprechenden ins Wort fällt, an den Geräuschen der Straße, die das Denken überlagern. Das ist unerhört, wenige inszenieren Wirklichkeit so echt. Graf ist Quersteller, Spötter und Widerspenst, ein Andersmacher und Virtuose, der das Recht auf Scheitern für sich einfordert, und in "Die Katze" ist das alles bereits angelegt.

Graf erzählt, wie er damals nach Düsseldorf kam, vom Bahnhof zur Immermannstraße ging, plötzlich vor dem Nikko Hotel stand und wusste: "Das ist die Kulisse für meinen Film." Graf drehte auch "Die Sieger" (1994) in Düsseldorf, im Filmmuseum zeigt er an diesem Abend einen Ausschnitt daraus, darin fahren Polizeiautos über den Tausendfüßler. "Düsseldorf hätte eine große Filmstadt werden können", sagt er, "es hat diese Flächigkeit, beinahe eine Cinemascope-Struktur. Aber wer den Tausendfüßler abreißt, will nichts mit Film zu tun haben." Sicher ist: Düsseldorf sieht in diesem Filmen verflixt gut aus. Wie eine Metropole. Schon dafür muss man Graf dankbar sein.

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