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Düsseldorf Diesem Gretchen graut's vor gar nichts

Düsseldorf · Cennet Rüya Voß ist neu am Düsseldorfer Schauspielhaus. Die Bremerin mit türkischen Wurzeln hat in "Faust to go" eine Paraderolle.

 Cennet Rüya Voß lebt mit Kollegen in einer gut funktionierenden Dreier-WG.

Cennet Rüya Voß lebt mit Kollegen in einer gut funktionierenden Dreier-WG.

Foto: Thomas Rabsch / Schauspielhaus

Der Name gibt schon etwas preis von Cennet Rüya Voß, die derzeit als fulminantes Gretchen im Düsseldorfer Schauspielhaus zu erleben ist. Vorne ist er türkisch, hinten deutsch. Obwohl Cennet kein Türkisch kann, gibt sie Hinweise, wie man ihren Vornamen aussprechen soll, "so ähnlich wie das amerikanische Janet", sagt sie, "nur schärfer". Natürlich fragt man als Erstes nach einem möglichen Migrationshintergrund. In Alanya ist die Schauspielerin geboren, vor 24 Jahren. Doch schon im ersten Lebensjahr ist sie mit ihrer Mutter ohne den leiblichen Vater nach Bremen gezogen. Heute verbindet sie mit der Türkei nichts mehr, außer dass Haar und Teint dunkel sind, ihre Augen hingegen hell-grau-blau-leuchtend.

Eigentlich ist es ein untypisches Gretchen, das derzeit in Goethes Klassiker dem Heinrich Faust verfällt und durch diese Liebe in ihr Unglück schlittert, den Tod findet. Nicht blond, äußerlich nicht zerbrechlich und nicht besonders groß ist die Schauspielerin mit ihren 1,56 Meter. Doch sie verspürt eine bärengleiche Kraft. Intuition und Empathie hat sie auch. Das verleiht dem Spiel von Cennet Voß Wucht und Präzision, Glaubwürdigkeit und Tiefgang. Dieses Gretchen zieht alle in den Bann.

Die 24-Jährige hat viel im Leben miterlebt, ihr graut's vor nichts. Den seltsamsten und komischsten Verhaltensmustern war sie ausgesetzt. Nichts ist ihr fremd, sagt sie, kein Tiefpunkt und keine Verrücktheit. Darin sieht sie neben der "riesengroßen Lust" am Spiel einen Schlüssel für ihren Berufswunsch. Als Schauspielerin könne man all das ungehemmt ausleben, was einen umtreibt, im geschützten Raum des Theaters Ängste überwinden, über die Grenzen gehen. "Ich musste immer die Wogen glätten", erzählt Voß, von klein an habe sie erreichen wollen, dass alle zufrieden waren. Keine leichte Aufgabe angesichts der Patchwork-Großfamilie, in der sie aufwuchs. "Diese Erfahrungen sind der Nährboden für verschiedenste Meinungen und Gefühle."

Mehrere Stiefbrüder und eine Halbschwester hat sie, ihren Stiefvater, bei dem sie aufwuchs, nennt sie Papa. Ihre Mutter arbeitet als Krankenschwester, familiär hat sie die Disposition zum Schauspielern nicht geerbt. Alles sprudle einfach so aus ihr heraus, sagt sie, "weil es raus muss". Am Ende sei es die richtige Konsequenz gewesen, diesen Beruf zu ergreifen.

Sie hatte nach dem Abitur kurz Biologie studiert, immer schon Leistungssport getrieben und E-Bass gespielt. Rockstar werden - das wäre noch infrage gekommen. Bald schon spürte sie, dass ihr nichts so viel Spaß bereiten würde wie das Schauspiel. An der Schauspielschule Frankfurt hat sie den Beruf erlernt. Jetzt ist sie als Debütantin im festen Engagement.

Ihr Gretchen ist eines von heute. Wie auch die anderen Figuren im "Faust to go". Regisseur Robert Lehniger hat ein Road Movie für mobile Bühnen konstruiert, Videosequenzen mit realem Spiel kombiniert, Tempo und Drastik hineingebracht. Den Text hat er gestrafft, aber wortwörtlich erhalten. Er platziert das Stück in der Schneller-Weiter-Wettbewerbsgesellschaft, in der wir leben. Und Gretchen ist eine Figur, die vor ihrem Tod möglichst viel erleben will. Auch sie scheitert, weil sie dem Augenblick nicht traut.

Hochaktuell empfindet Cennet Voß diese Sicht auf Goethes Werk. Gerade hat das D'haus in einem Berufskolleg gastiert, zu 80 Prozent bestand das Publikum aus Männern. "Wir haben sie alle gepackt", sagt Voß. Und dass sie es freue, wenn Theater die Menschen berührt. "Dafür macht man das!"

Ihre Idee von Theater deckt sich mit der des Intendanten. Theater sei ein wichtiger Ort, an dem Themen verhandelt werden, die alle angehen, ein Ort zum Austausch und zum Streiten, ohne dass man sich die Köpfe einschlägt. Die politische Weltlage empfindet sie als beängstigend, insbesondere den Rechtspopulismus. Das Theater müsse dagegenhalten, seinen politischen Auftrag erfüllen, Themen setzen und durchleuchten.

In Düsseldorf hatte sie noch nicht viel Zeit, sich umzuschauen. Den Kollegen, mit denen sie in einer gut funktionierenden Dreier-WG lebt, geht es nicht anders. Seit Beginn der Spielzeit gab es viele Produktionen und Premieren, Texte mussten gelernt werden. Voß ist im "Revisor", in Brechts "Puntila" und im "Faust to go" eingesetzt.

Bald hofft sie, mit dem Fahrrad die schönen Seiten der Stadt erkunden zu können. Und vielleicht steht bald Anouilhs "Antigone" auf dem Spielplan. Darin würde sie gerne die Titelrolle übernehmen. "Ihr Kampf für ihr eigenes Dasein, gegen Regeln und vielleicht Verstand."

Das gefällt ihr.

(RP)
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