Guy Joosten "Diese Oper stinkt vor Misstrauen"

Düsseldorf · Der flämische Regisseur inszeniert an der Deutschen Oper am Rhein Giuseppe Verdis "Don Carlo". Die Premiere ist am Samstag.

 Laimonas Pautienius (Rodrigo di Posa, l.), Ramona Zaharia (Eboli) und Gianluca Terranova (Don Carlo) bei der Probe zu "Don Carlo".

Laimonas Pautienius (Rodrigo di Posa, l.), Ramona Zaharia (Eboli) und Gianluca Terranova (Don Carlo) bei der Probe zu "Don Carlo".

Foto: Hans Jörg Michel

In der Rheinoper ist gerade eine Bühnenorchesterprobe zu "Don Carlo" zu Ende gegangen. Der flämische Regisseur Guy Joosten wirkt aufgeräumt und zeigt keine Spur der üblichen Endproben-Nervosität. Joosten hat an der Rheinoper bereits Strauss' "Frau ohne Schatten" und Poulencs "Dialogues des Carmélites" inszeniert. Er spricht ausgezeichnet Deutsch, er formuliert druckreif.

Ist der "Don Carlo" ein Wunschstück von Ihnen? Oder war das eine Idee der Rheinopern-Leitung?

Joosten Beides ist richtig. Das ist ein Stück, das jeder ganz oben auf der Liste hat. Und dass ich es hier an diesem Haus machen kann, ist umso besser. Denn man braucht vor allem gute junge Sänger! Selbst der König Filippo ist ja erst Anfang dreißig.

Wird aber meist mit Sängern weit jenseits der 50 besetzt!

Joosten Genau, und das ist die Chance, das hier einmal ganz anders zu akzentuieren. Denn ein zentrales Thema des Stücks ist, dass die Protagonisten alle noch sehr wenig Lebenserfahrung haben. Elisabetta von Valois kommt in das streng katholische Spanien, ihr Gatte König Filippo hat unvorbereitet die Verantwortung von seinem Vater übernommen. Und Carlo steht zwischen den Pflichten als Infant und seiner Liebe zu Elisabetta, die aus gründen der Staatsräson seine Stiefmutter wird.

Das heißt, der Liebeskonflikt ist für Sie die zentrale Achse der Oper? Er betrifft ja auch den Marquis Posa, dessen Beziehung zu Don Carlo sehr emotionale Züge hat.

Joosten Es ist mehr als das, es ist eindeutig eine Liebesbeziehung. Das Stück ist voller Duette und Terzette, aber nur beim Duett zwischen Carlo und Posa findet Verdi zur reinen Duett-Form zurück.

Während Elisabeth und Carlo meistens jeder für sich singen.

Joosten So ist es, und durch die ganze Oper zieht sich, dass dauernd von Abwesenden gesungen wird. Ein weiteres wichtiges Thema! Es gibt einen abwesenden Karl V. und natürlich den abwesenden Gott, den Übervater schlechthin, der omnipräsent ist durch den Großinquisitor.

Wie sehen Sie den Großinquisitor?

Joosten Er ist am wenigsten vielschichtig. Er spaziert aus dem Stück so heraus, wie er hereinspaziert ist. Er hat einen Plan, den er gnadenlos verfolgt. Das kann man von den anderen nicht sagen. Auch nicht von Marquis Posa. Ist er wirklich ein revolutionärer Charakter? Oder nur ein Typ neuer Mensch in den Zeiten der Gegenreformation?

Verdi gilt aber doch als sehr politischer Komponist.

Joosten Ich glaube, dass es hauptsächlich eine private Geschichte ist. Das ist bei Verdi eigentlich immer so. Es ist allerdings sehr populär, sich auf die Seite der Schwachen zu stellen. Das sind auch die interessanteren Charaktere, ebenso wie die Bösewichte!

Was ist mit den großen Chorszenen?

Joosten Die sind Reminiszenzen an die Grand Opéra und platzen so herein. Man kann sie aber verwerten für meinen Grundgedanken der "brennenden Leute". Sie brennen alle, denn diese Oper stinkt vor Misstrauen. Keiner traut dem anderen. Da ist ständige Unruhe, sie beobachten sich gegenseitig, und die Inquisition beobachtet alle. Das ist das Hauptthema des Stücks. Vor dem Hintergrund des Konflikts zwischen dem alten Spanien und der neuen Welt.

Was werden wir in Ihrer neuen Produktion sehen?

Joosten Diese Inszenierung ist voller historischer Andeutungen. Sowohl im Bild als auch in den Kostümen, aber natürlich gebrochen. Was die Personenführung betrifft, habe ich mich intensiv mit den historischen Figuren beschäftigt. Der historische Don Carlo war als Spross der Habsburger-Inzucht körperlich und geistig behindert.

Verdi hat ihn als extrem aufbrausend gezeichnet.

Joosten Allerdings. In die Gefühle der anderen für Carlo spielt auch Mitleid mit hinein.

REGINE MÜLLER STELLTE DIE FRAGEN

(RP)
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