INTERVIEW Christoph Meyer „Unser Publikum soll sich sicher fühlen“

Düsseldorf · Die Deutsche Oper am Rhein muss für zwei Häuser planen. Für den Generalintendanten ist das derzeit eine noch größere Aufgabe.

 Christoph Meyer leitet das Zwei-Städte-Institut seit elf Jahren.

Christoph Meyer leitet das Zwei-Städte-Institut seit elf Jahren.

Foto: Susanne Diesner/DOR

Die Rheinoper ist von der Corona-Krise hart getroffen. Sie wirkt sich auch auf die Planung für die kommende Saison aus. Wir sprachen mit dem Generalintendanten.

Lieber Herr Meyer, wie fühlen Sie sich gerade? Eher „Die lustige Witwe“ oder „Götterdämmerung“?

Meyer Ganz ehrlich? „Macht des Schicksals“.

Ist bei Ihnen Land unter?

Meyer Wie alle großen Opernhäuser Deutschlands haben auch wir schweren Herzens unser Programm in Düsseldorf und Duisburg bis zum Ende der Spielzeit absagen müssen. Natürlich hatten wir damit gerechnet, und es gibt uns und unserem Publikum nun Gewissheit, die besser ist als die Unausgesprochenheit des Unvermeidlichen.

Trotzdem schmerzt es, oder?

Meyer Ja, es tut verdammt weh, und ich vermisse den täglichen Kontakt mit meinen Teams, dem Ensemble und all unseren wunderbaren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die alle einen unglaublichen Durchhaltewillen zeigen.

Aber jammern hilft nichts.

Meyer So ist es. Wir arbeiten mit Hochdruck an der schrittweisen Rückkehr in den künstlerischen Arbeitsalltag und an alternativen Spielplänen. Das gilt besonders auch für unseren designierten Ballettdirektor Demis Volpi, der für die kommende Spielzeit mit unglaublicher Kreativität gleich zwei spannende Eröffnungsszenarien für den Tanz entwickelt, ohne zu wissen, welches realisiert wird.

Man fragt sich ja, wie manche Regeln in Oper und Ballett überhaupt umzusetzen sind.

Meyer Wohl wahr, aber eine unserer Aufgaben ist es gerade, mit Ruhe und Genauigkeit durch den Dschungel der Sicherheits- und Hygienevorschriften zu gehen. Wir müssen mit geprüften Sicherheitskonzepten für jeden Raum, jede Abteilung und auch jede Situation Möglichkeiten für die Wiederaufnahme des Probenbetriebes und dann auch eines Spielbetriebes in allen Abteilungen schaffen und gewährleisten. Das Haus hat sich ja wochenlang im Lockdown befunden.

Was passiert da?

Meyer In Abstimmung mit Arbeitssicherheit, Betriebsärztin, Betriebsrat und Behörden definieren wir für jede Abteilung die Standards neu, mit denen wir arbeiten können. Die Fragen sind ja vielfältig: Wie nah dürfen sich Sänger, insbesondere auch die Mitglieder unseres großen Chores einander in einer Proben- und Bühnensituation kommen? Wie viele Stimmen können sich dann überhaupt in welchem Raum versammeln? Und für wie lange? Welches Instrument erfordert welchen Abstand? Wie können Kollegen der Werkstätten gemeinsam an einer komplexen Konstruktion arbeiten, wie die Technik, wenn mehr als zwei Hände zugleich gebraucht werden?

Da gibt es ja widersprechende öffentliche Statements.

Meyer Leider ja. Als für Sänger anfangs ein pauschaler Sechs-Meter-Abstand im Raum stand, waren wir erst mal fassungslos, denn da fällt der Tenor beim rampenparallelen Terzett schon aus dem Bild. Für die Bühnenkünstler und Musiker gibt es inzwischen glücklicherweise immer mehr differenzierte wissenschaftliche Erkenntnisse. Die müssen wir bewerten und umsetzen, immer auf dem Laufenden bleiben.

Das Ballett hat ja bisher nur virtuell trainiert, oder?

Meyer Richtig, doch ab dieser Woche arbeitet es wieder in kleinen Gruppen über den Tag verteilt in den verschiedenen Studios des Balletthauses. Musikalische Proben für Sänger, Pianisten und Orchestermusiker werden folgen, sobald die Standards für die Sicherheitskonzepte endlich festliegen.

Und das alles in einem baulich komplizierten Opernhaus.

Meyer Nett gesagt. Der Zustand des Düsseldorfer Opernhauses macht es einem nicht leicht. In der Sommerpause müssen, das ist schon lange geplant, bühnentechnische Anlagen und Inspizientenpult erneuert werden. Weil die Firmen epidemiebedingt weniger Fachkräfte gleichzeitig einsetzen können, wird verhandelt, die Arbeiten nun schon im Mai beginnen zu lassen. Brandschutzmaßnahmen am Bühnenportal, erforderlich in Folge des Wasserschadens vom November 2019, kommen hinzu, sodass die Bühne im Rest der laufenden Saison an vielen Tagen gesperrt sein wird.

Wie wollen Sie dann überhaupt planen?

Meyer Mit einer alternativen Spielplanung, die den Unwägbarkeiten der pandemischen Entwicklung Rechnung tragen kann. Sollten wir unsere seit Langem vorbereiteten Spielpläne für die nächste Saison nicht umsetzen können, werden wir gewappnet sein. Wir haben entschieden, in diesem Fall keine abgespeckten vorhandenen Produktionen zu zeigen, also nicht etwa Verdis „Macbeth“ um Chor und Orchester zu berauben.

Sondern?

Meyer Wir werden einen autarken und abwechslungsreichen Alternativspielplan in allen Sparten entwickeln und machen uns natürlich Gedanken über veränderte Erzählweisen und Formate. Jetzt ist es Zeit für andere Formen der Intensität. Das ist rein zeitlich, organisatorisch und künstlerisch ein Ritt auf der Rasierklinge. Einen Spielplan samt aller Planungen in einigen Wochen zu kreieren – statt der sonst notwendigen Vorläufe von zwei bis drei Jahren –, ist eine durchaus sportliche Herausforderung. Natürlich denken wir auch noch in dieser Saison an Möglichkeiten des Live-Erlebnisses.

Sehen Sie die Krise auch als Chance?

Meyer Unbedingt. In vielen Opernhäusern weltweit haben sich derzeit bereits sehr viele neue Wege auch im Digitalen gezeigt. Auch wir streamen Produktionen und experimentieren mit zahlreichen neuen Formaten, um den Kontakt mit unserem Publikum zu halten, und werden auch noch einiges mehr ausprobieren in den nächsten Wochen. So entsteht in Zusammenarbeit mit dem Tanzarchiv Köln gerade eine digitale Ausstellung über das Werk unseres scheidenden Ballettchefs Martin Schläpfer. Überdies hat sich gezeigt, dass es eine zukunftsweisende Entscheidung war, dem Netzwerk operavision.eu beizutreten. Hier stellen wir im Verbund mit 29 Partnerinstitutionen aus 17 europäischen Ländern Opern-Streams zur Verfügung – für die Nutzer kostenlos.

Wie soll das Publikum geschützt werden, wenn es wieder in die Rheinoper darf?

Meyer Für die sorgfältige Organisation des Zuschauerbereichs nehmen wir uns Zeit. Oberste Prämisse ist und bleibt der Schutz der Gesundheit. Wir passen die Saalpläne an und entwickeln alternative Konzepte für die Platzauswahl, teilen die Foyers neu ein und organisieren die Garderoben neu. Wir fragen uns, ob wir kontaktlos Programmhefte verkaufen können und vielleicht sogar Snacks und Getränke. Unser Publikum soll sich sicher fühlen und möglichst unbelästigt. Das ist keine leichte Aufgabe, aber sie ist zu lösen. Wir lernen von anderen Institutionen wie dem Einzelhandel, der Gastronomie und von Museen. Gleichzeitig findet natürlich ein bundesweiter Austausch der Theater untereinander statt.

Wie reagieren denn Ihre Opernbesucher in der Krise?

Meyer Wunderbar. So viel Zuspruch, so viel Unterstützung! Dass so viele Menschen bereit sind, Ihr Eintrittsgeld zu spenden, um „ihr“ Opernhaus zu unterstützen, ist ein unglaublicher Akt der Solidarität, über den wir uns riesig freuen und der uns Mut macht.

Was bedrückt Sie persönlich?

Meyer Ich empfinde es als sehr schmerzhaft, dass wir in dieser Saison noch zwei große Künstler und großartige Kollegen würdigen wollten – was jetzt womöglich nur mit Sekt und Blumenstrauß im kleinen Kreis, mit Mundschutz und unter Einhaltung der Abstandregeln, stattfinden können wird. Wir wollten Martin Schläpfer und das Ballett am Rhein, das in seiner elfjährigen und herausragenden Schaffensperiode vier Mal zur Compagnie des Jahres gewählt wurde, mit einer Abschiedswoche unter dem Motto „b.ye“ glanzvoll ehren und an seine neue Wirkungsstätte, das Wiener Staatsballett, verabschieden.

Operndirektor Stephen Harrison geht ja auch.

Meyer Ja, leider. Er geht nach über drei verdienstvollen Jahrzehnten an der Deutschen Oper am Rhein in den Ruhestand. Wir wollten ihm eine halböffentliche Überraschungsgala zum Abschied schenken. Wir werden aber sicher auch hier eine Lösung finden.

Wollen Sie trotzdem für uns schon einmal auf die neue Spielzeit schauen?

Meyer Gern. Die nächste Saison eröffnen wir mit Verdi, in großer Besetzung, und einer ersten Begegnung mit Demis Volpi, unserem neuen Ballettdirektor und seiner Company. Vielleicht eröffnen wir aber auch ganz anders. Wie auch immer: Wir werden gewappnet sein, und wenn wir spielen dürfen, dann spielen wir, und ich kann kaum sagen, wie sehr ich mich darauf freue. Wir werden den Spielplan im Juni vorstellen.

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