Düsseldorf Die Pubertät ist kein Ponyhof

Düsseldorf · In der Romanadaption "Es bringen" am Jungen Schauspielhaus sprechen Jungs wie Jungs. Das hat Kraft - und klingt oft ziemlich einsam.

Hartes Leben, das Männer mit 16 führen: Luis ist ein Bringer. Ein guter Kumpel, Mathe-Nullblicker, Saufspiel-Gewinner, immer gut drauf. Die Mädchen mögen ihn, und er verschwendet keine Gefühle. Vor den Freunden geht es schließlich nur ums Rumkriegen. Und um die Wetten mit jüngeren Schülern, die das Bier fürs Wochenende finanzieren. Mädchen, Saufen, Posen - ständig muss einer wie Luis sich beweisen. Dabei wirkt er so lässig, wie er da mit Frottee-Stirnband, Parker, Röhrenjeans auf der Bühne steht, lächelt, als sei das Leben ein Spiel. Als sei es einfach, ein Teenager zu sein.

Wie ticken Jungs, die gerade Männer werden? Davon erzählt Verena Güntner in ihrem Debütroman "Es bringen" in direkter, ehrlicher Sprache. Bei ihr reden Jungs über Sex mit der Verächtlichkeit, die ihre Unsicherheit verrät. Sie witzeln, prahlen, prügeln sich. Und sie schweigen vor den Freunden von dem, was sie wirklich berührt. Soll ja keiner wissen, dass Luis' Mutter manchmal gewalttätige Typen anschleppt. Und dass er vor denen zum alten Jablonski flüchtet, weil der ein süßes Pony hat. Soll auch keiner wissen, dass Luis sich einen Trainer ausgedacht hat, einen persönlichen Abhärter in seinem Kopf, der ihm hilft, seine Ängst zu bezwingen.

Auf der Bühne im Jungen Schauspielhaus kann Luis seine Gefühle bekennen. Regisseur Karsten Dahlem hat ein kleines Podest an die Rampe schieben lassen, da springen die Jungs drauf, wenn sie Klartext sprechen, wenn sie erzählen, wie es eigentlich aussieht da drinnen. Und Dominik Paul Weber trifft als Luis den Ton, wenn er sich verschwörerisch ans Publikum wendet und zugibt, dass er sich im Dunkeln fürchtet und Höhenangst hat und noch an der Mutter hängt. Sehr sogar.

Dahlem und seine Dramaturgin Judith Weissenborn haben den Roman geschickt gerafft und seine derb-aufrichtige Sprache bewahrt. Das wirkt hart auf der Bühne, wo sonst doch ein höherer Stil gepflegt wird, aber auch wahrhaftig. Dazu hat die Inszenierung Tempo und setzt auf Körperlichkeit, etwa, wenn die Darsteller zum Beatbox-Wettstreit antreten, sich im Spiel comicartig verdreschen und ihnen das Blut, akustisch simuliert, aus der Brust quillt. Obwohl in dieser Bühnenfassung viel erzählt wird, wirkt die Inszenierung dicht und actionreich. Das liegt auch an ein paar eindrucksvollen Bildern. Wenn Luis sich etwa zum wochenendlichen Saufen mit seinen Freunden trifft, dann fließt das Bier schäumend von der Büchse in den Mund und direkt weiter in den Eimer, werden schöner Rausch und üble Ernüchterung eins.

Luis' heimliche Liebe, das Pony Nutella, ist nur auf einem Bildschirm zu sehen, als Projektion im Flimmerkasten. Den hält Harald Peters auf dem Arm, der Mann, der sich sonst im Jungen Schauspielhaus um die Bewirtung der Zuschauer in der Pause kümmert. Ein glücklicher Einfall, ihn zum Jablonski, dem unerschütterlichen Vertrauten der Jungs zu machen - er ist auch die gute Seele dieses Stücks.

Außerdem stimmt die Spannung zwischen Luis und seinen Freunden. In der Bühnenfassung sind das nur zwei: der schon 20 Jahre alte Milan, ein kluger Kopf, aber schulischer Totalverweigerer, den Philip Schlomm hübsch introvertiert als Grufti spielt. Und Marco, der pummelige Prügelknabe der Gang. Bernhard Schmidt-Hackenberg macht aus dieser Nebenfigur mit viel tragikomischem Talent einen warmherzigen Pol der Inszenierung. Die drei Freunde sind ein gutes Trio - bis Luis' Mutter alles ins Wanken bringt und ihr Sohn erwachsen wird, unsanft, doch immerhin ist er den inneren Trainer erstmal los.

Die Innenwelt von Jugendlichen ist für die meisten Erwachsenen ein finsterer Kosmos. Allerdings wird er derzeit erforscht: Im Kino versucht das Animationsstudio Pixar gerade mit "Alles steht Kopf" in das Gefühlserleben eines pubertierenden Mädchens vorzudringen. "Es bringen" erzählt aus der noch verschlosseneren Jungenwelt.

Das bleibt nicht ohne Klischees. Natürlich ist Luis' Mutter alleinerziehend und ziemlich überfordert. Julia Dillmann spielt das überzeugend, als wäre sie selbst noch Teenager, mehr Freundin ihres Sohnes denn Erzieherin. Doch wirkt die Darstellung von sozialer Wirklichkeit etwas bemüht. "Es bringen" erzählt nichts Neues über junge Männer aus prekärem Umfeld. Die Stärke von Roman wie Theaterstück liegt in der Direktheit der Darstellung. Es wird nicht über Jugendliche verhandelt, sie erzählen selbst. Dem Ensemble des Jungen Schauspielhauses gelingt das, abgesehen von einer nicht ganz geglückten Musikeinlage, ohne Anbiederung und Peinlichkeit. Das ist entscheidend, denn eins ist bei Teenagern gewiss: Sie sind unerbittlich.

(dok)
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