Düsseldorf Die neue Neue Deutsche Welle

Düsseldorf · Timon Karl Kaleyta ist Sänger der Electro-Pop-Band "Susanne Blech" und Gründer des Instituts für Zeitgenossenschaft. Für das Projekt "Die 100 wichtigsten Dinge" hat er nach den Grundlagen der modernen Gesellschaft gesucht.

Den Satz "Ich liebe Dich" kann Timon Karl Kaleyta nicht sagen.

Den Satz "Ich liebe Dich" kann Timon Karl Kaleyta nicht sagen.

Foto: Andreas Endermann

Drei Linien muss man ziehen, um die aktuellen Projekte von Timon Karl Kaleyta in Großkapitel zu unterteilen, beim Mitschreiben des Gesprächs dann immer wieder Unterkategorien umkreisen, Kästchen mit Gedankeneinschüben malen, am Ende hilflose Pfeile ziehen.

Die "Ästhetisierung des Empfindens" lautet das Lebensthema des Düsseldorfer Sängers, Schreibers und Wissenschaftlers Kaleyta, der sich daran in sehr verschiedenen Projekten abarbeitet.

Mit der Musik, als Sänger der Electro-Pop-Band Susanne Blech, tut er dies am erfolgreichsten. Erst kürzlich unterzeichnete die Gruppe, die seit 2002 existiert, einen Vertrag bei der Künstleragentur "Four Artists", im Sommer geht sie auf große Festivaltour und spielt als Vorband für Nena, die Toten Hosen und die Fantastischen Vier.

Ende Mai erscheint die Single "Helmut Kohl", für die Scooter-Frontmann H.P. Baxxter und die Berliner Electro-Band Egotronic Remixe beisteuern. Das neue Album von Susanne Blech ist für den Herbst geplant, aktuell laufen erste Aufnahmen und Kooperationen, unter anderem mit dem Schriftsteller und Journalisten Benjamin von Stuckrad-Barre, der mit der Band den Song "Wir werden alle nicht Ernst Jünger" geschrieben hat.

Die übrigen Texte der Band schreibt Kaleyta allein. Es sind Aneinanderreihungen von Behauptungen, die immer nach letztgültiger Feststellung klingen. Für Romantik ist da bewusst kein Platz. "Alle Texte, die ich schreibe, sind ein Abgesang auf die romantische Liebe. Mir geht es darum, das gelungene Leben zu beschreiben und mich nicht mit den Problemen des misslungenen zu beschäftigen." Liebe gelingt bekanntermaßen häufig nicht.

In dem Song "Neue Neue Deutsche Welle" des kommenden Albums heißt es: "Weil es jetzt zu Ende geht / Frag nicht, ob man noch tanzen kann / Jedes große Missverständnis / Fängt mit der Romantik an." Das sitzt. Auch deshalb, weil es ernst gemeint ist.

"Mein großes Ziel ist es, gegen den Kitsch anzuschreiben. Daraufhin scanne ich jede Idee. Ich glaube langsam, dass alles, was der Mensch als Empfindung begreift, vollkommen falsch ist. Er denkt, Gefühle seien authentisch, weil sie ja aus ihm kommen. Dabei gibt es so etwas gar nicht, Authentizität. Empfindungen sind immer eine Mischung aus Wahrnehmung und Emotionalität, sie sind immer etwas Gemachtes." Und was gemacht ist, kann kontrolliert werden. "Zwischen dem Ich und dem Empfinden will ich schon die erste Schleuse einbauen."

Dieser Hiatus, die Leerstelle zwischen Gefühl und Empfindung, bedingt nicht nur die Arbeit des 32-Jährigen. "Wenn man das radikal zu Ende denkt und jedes Gefühl durch diesen Filter laufen lässt, bedeutet das eben auch: Der Satz ,Ich liebe Dich' ist für mich nicht mehr aufsagbar."

Dann lieber: Thesen und Formeln finden, die unwiderlegbar sind. Für das von ihm mitbegründete Institut für Zeitgenossenschaft (IFZ) hat Kaleyta das Projekt "Die 100 wichtigsten Dinge" gestartet, für das er aufspürt, was die moderne Gesellschaft ausmacht. Journalisten wie Claudius Seidl und Volker Panzer beteiligen sich an der Installation. Nach einer Ausstellung im Museum Kunstpalast wird das Werk nun als Buch herausgegeben.

(RP/ila/jco)
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