Fassbinder-Premiere in Düsseldorf Die geplatzten Träume der Petra von Kant

Düsseldorf · Rainer Werner Fassbinders filmisches Meisterwerk „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ wird im Kleinen Haus in Düsseldorf für die Bühne adaptiert. Ein unterhaltsamer Abend, in dem der Stoff einige Kürzungen zu verkraften hat.

 Sonja Beißwenger (l.) und Blanka Winkler in der Inszenierung von David Bösch.

Sonja Beißwenger (l.) und Blanka Winkler in der Inszenierung von David Bösch.

Foto: Sandra Then

Es geht alles ganz schnell. Das Verlieben auf den ersten Blick, die Enttäuschung, die Raserei, die Verzweiflung. Nach nur 70 Minuten ist Schluss mit dem Melodram „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“, das Regisseur David Bösch fürs Kleine Haus inszenierte. Mit der überragenden Sonja Beißwenger in der Titelrolle und fünf weiteren Frauen, die wie Satelliten um sie kreisen.

Aus seinem hastig geschriebenen Theaterstück von 1971, ein Langstreckenflug soll ihm dafür gereicht haben, machte Rainer Werner Fassbinder ein Jahr später einen seiner besten Filme. Eine so virtuose wie verstörende Studie über Abhängigkeit, Unterdrückung und Dekadenz, vielfach preisgekrönt. Die womöglich noch allzu präsenten Bilder des Films sollte man vor dem Besuch besser ausblenden, sie stünden nur im Wege.

Zwar wird der Inhalt getreulich erzählt: Die gefeierte Modeschöpferin Petra von Kant, eine zutiefst einsame Frau mit neurotischen Zügen, verguckt sich in die junge Karin Thimm (Fassbinder stellte mit diesem echten Namen eine Münchner Journalistin bloß, die ihm anfangs nicht wohlgesonnen war). In ihr erkennt die gelangweilte Modekönigin die Chance einer neuen Inspiration. Ein Supermodel will sie aus dem Mädel formen, das selbst so gar keinen Plan hat. Auch keine ausgeprägten Interessen, höchstens noch Filme, „Filme mit Liebe und Leid.“ Und die vage Vorstellung: „Ich möchte einen Platz im Leben haben.“

Petra von Kant, eben noch voller Frust, ist in ihrer atemlosen Euphorie kaum zu bremsen: „Du ziehst zu mir, wir machen es uns schön, ich liebe dich, wir werden die Welt erobern.“ Auf das Objekt der Begierde, gespielt von Anna-Sophie Friedmann, prasselt das alles unversehens ein.

Freudig überrascht lässt sich Karin mitreißen. Klar, eine Karriere wäre verlockend. Nur passiert gerade zu viel auf einmal. „Petra, du musst mir Zeit lassen“, wehrt sie ab, scheint plötzlich aber ihrerseits verliebt zu sein. Die Bühne färbt sich rosa, es tanzen Sternchen, die beiden Frauen nähern sich an.

Ein Bild später ist der Bruch schon da. Passiv liegt Karin im schneeweiß glänzenden Bett von Petra, deren Träume sich zerschlagen haben. Das Supermodel, der Weltruhm – eine bloße Illusion, die nur in den fabelhaften Videoprojektionen von Damjan Stojkovski fortbesteht. Sie tauchen mehrfach als fein platziertes Stilmittel auf. Auch am federleichten, hollywoodmäßigen Schluss. Amüsant, aber entfernt von Fassbinders Vorlage.

Dazwischen liegen Abgründe. Die vor Eifersucht kranke Petra sieht das Drama auf sich zukommen. „In eine Liebe gehört Schmerz. Wie viel Schmerz verträgt das Glück?“, fragt sie. Sie wütet und windet sich, geht auf die Knie, bettelt um Zuwendung. Bis sie erkennt, dass sie die flatterhafte Karin weder binden noch besitzen kann.

Und schließlich kaltherzig und mit fliegenden Fahnen von ihr verlassen wird, stumm und triumphierend beäugt von Petras Faktotum Marlene (Blanka Winkler), die für ihre Herrin brennt, aber wie eine Sklavin behandelt wird. In einem furiosen Höllenritt legt Sonja Beißwenger ihre Pein und ihre Verzweiflung bloß. Sie rennt gegen Wände, fügt sich Schmerzen zu, damit der schlimmere Schmerz sich mildert. Sie hechtet zum klingelnden Telefon, nein, keine Erlösung.

Stattdessen taucht Freundin Sidonie von Grasenabb auf, eine falsche Schlange, die ihr Gift wohldosiert in Petras Wunden träufelt – die heuchlerischen Dialoge mit Hanna Werth sind brillant gespielt. Danach kommen Tochter Gabriele (Gesa Schermuly) aus dem Internat und Mutter Valerie (Friederike Wagner), die in ihrer Naivität nichts begreift. Petra hat Geburtstag, alles ist kaputt, da kann auch der erzwungen muntere Kanon „Viel Glück und viel Segen“ nichts mehr retten. Keine Eintracht, nur Entfremdung. Man redet aneinander vorbei. „Mein armes, armes Kind“, seufzt die Mutter. Erschöpft und ausgeblutet beteuert Petra von Kant: „Ich hab’ mich beruhigt. Ich bin wieder friedlich. Du kannst jetzt gehen.“

Fraglos ein unterhaltsamer Abend mit starken Auftritten. Doch als die bitteren Tränen geweint sind, bleibt die Erkenntnis: In dieser Verknappung ist weder der Handlung noch den Hauptfiguren eine wirklich nachvollziehbare Entwicklung vergönnt. Das Premieren-Publikum scheint das zu spüren. Der herzliche Beifall gilt zu Recht den großartigen Schauspielerinnen.

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