Düsseldorf Der Regisseur, der kein Polizist mehr sein wollte

Düsseldorf · Karsten Dahlem inszeniert am Jungen Schauspielhaus den Jugendroman "Es bringen". Die Bühnenfassung hat er selbst geschrieben.

Er wollte etwas verändern in der Gesellschaft, da sein, wo die Probleme real sind und das Leben auch mal nicht so glatt läuft. Nach der Schule dachte Karsten Dahlem, das ginge am besten als Polizist. Er kommt aus einem Dorf nahe Limburg, und so kam er gar nicht auf die Idee, dass man auch anders in die Gesellschaft wirken könnte. Als Künstler zum Beispiel.

Dahlem wurde also Teil einer Einsatzhundertschaft der Polizei, und eigentlich lief alles gut, wäre da nicht einer in seiner Einheit gewesen, der vom Rest gemobbt wurde. Dahlem erlebte Gruppenverhalten, das er für falsch hielt, unangenehm, kritikwürdig; und das maskuline Gehabe lag ihm ohnehin nicht. Doch die Polizei war sein Traum. Und so dauerte es lang, bis er sich eingestand, dass er etwas ändern sollte. Grundsätzlich. "Am Ende hat wenig genügt: An einem Wochenende kam ich von der Polizeischule nach Hause, mein Bruder sah mich an und sagte, warum hörst Du nicht einfach auf. Am nächsten Tag habe ich einfach gekündigt", sagt Dahlem und lächelt.

Die Welt wankt. Was sicher galt, stimmt nicht mehr - diese Erfahrung macht auch die Hauptfigur in dem erfolgreichen Jugendroman "Es bringen" von Verena Güntner. Bei dem 16-jährigen Luis bricht alles zusammen, als er erfährt, dass seine Mutter ein Verhältnis mit seinem besten Freund hat. Die Mutter, die sich bisher mit ihm allein durchgeschlagen hat und die er so vergöttert. Auch Luis kann hinter diese Wahrheit nicht zurück, ziemlich ruppig wird er erwachsen. Das Junge Schauspielhaus ist das erste Theater, das die Aufführungsrechte für diesen Roman bekommen hat. Karsten Dahlem hat das Buch für die Bühne adaptiert und inszeniert das Stück, am Freitag ist Premiere.

"Die Dramaturgin Judith Weißenborn und ich sind in unserer Fassung möglichst nah beim Buch geblieben", sagt Dahlem, "der Roman macht es einem nicht immer leicht, weil die Autorin so viele schöne Bilder erfunden hat, darum haben wir mit harten Schnitten gearbeitet, um den Stoff zu raffen."

Dahlem hat schon öfter Romane auf die Bühne gebracht, auch den Bestseller "Tschick" etwa, meist schreibt er dann die Bühnenfassungen selbst. Dabei ist er eigentlich Schauspieler. Nach dem Abbruch bei der Polizei studierte er zunächst Jura, arbeitete nebenher als Bühnentechniker, spürte aber bald, dass er nicht nur Kulissen schieben, sondern selbst auf der Bühne stehen wollte. Ohne die Theaterszene groß zu erkunden, bewarb er sich an Schauspielschulen, an der Folkwanghochschule in Essen wurde er genommen. "Da habe ich alles aufgesogen, ganz unvoreingenommen", sagt er und lächelt wieder. Man kann ihn sich vorstellen als Polizisten. Als einen von der lockeren Sorte, die es trotzdem ernst meint. Er hat den durchtrainierten Körper dafür und diese selbstbewusste Ausstrahlung. Doch wenn er dann über Kunst spricht, über seine Erfahrungen an den Stadttheatern, an denen es für seinen Geschmack auch oft zu hierarchisch zugeht, dann wird schnell klar, dass er doch eher der ist, der einen Polizisten spielen könnte.

Seine Erfahrungen im Staatsdienst hat Dahlem tatsächlich künstlerisch verarbeitet. Zusammen mit Stephan Lacant hat er ein Drehbuch geschrieben über das Coming-out eines schwulen Polizisten. Zunächst war die Geschichte als "Tatort" geplant, dann wurde sogar ein Kinofilm daraus, und "Freier Fall" wurde viel beachtet. "Für mich gehört das alles zusammen, spielen, schreiben, Regie führen", sagt Dahlem, "das befruchtet sich gegenseitig." Jedenfalls sei er ein Schauspieler-Regisseur, einer, der sich hineindenken kann in die Bedürfnisse von Darstellern. Trotzdem wusste er irgendwann, dass die Zeit auf der Bühne für ihn vorbei ist, dass er künftig nur noch als Regisseur arbeiten will. "Ich habe schon als Schauspieler am liebsten mit jungen Regisseuren gearbeitet, die ihre Darsteller mit eingebunden haben", erzählt er. Das habe seine eigenen Ambitionen geweckt. Einmal fuhr er dann zum Vorsprechen zu Armin Petras, damals noch Chef des Gorki-Theaters in Berlin. Er trat mit Ibsen an, spielte alle Figuren, inszenierte sich selbst in einer One-Man-Show. Das gefiel Petras so gut, dass er ihn engagierte - als Regisseur für die Studiobühne. So ging es los.

Inzwischen ist Dahlem verheiratet und Vater eines vierjährigen Sohnes, hat viele Jugendstücke inszeniert und dafür wichtige Preise bekommen. Auch seine Inszenierung am Schauspielhaus ist ehrgeizig, technische Herausforderungen wie Video, Livemusik und Erzählstimme kommen zum Einsatz. Und als Dahlem feststellte, dass seine Hauptdarsteller Dominik Paul Weber, Philip Schlomm und Bernhard Schmidt Hackenberg beatboxen können, band er auch das in die Inszenierung ein. "Ich arbeite am liebsten für junges Publikum", sagt Dahlem, "weil Jugendliche nicht glauben, dass sie schon alles gesehen haben, sie lassen sich auf Experimente ein und entschlüsseln Bilder ganz direkt, ganz unverstellt." So ist Dahlem nun gespannt, wie das Publikum auf "seinen Luis" reagieren wird, auf einen Jungen, dessen Kinderwelt zerbricht. Und der seinen Weg in eine neue Welt findet.

(dok)
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