Sascha Lobo in Düsseldorf Der digitale Blick in die Köpfe der anderen

Düsseldorf · Sascha Lobo sprach im Rahmen der "Düsseldorfer Reden" im "Central" über liberale Demokratie im 21. Jahrhundert.

 Sascha Lobo am Rednerpult in Düsseldorf.

Sascha Lobo am Rednerpult in Düsseldorf.

Foto: Andreas Bretz

Sascha Lobo ist der prominenteste Netz-Vordenker der Republik und prägt wie kein Zweiter den Diskurs über die Digitalisierung. Sein Markenzeichen, der rote Irokesenschweif, hat ihn zur Medienfigur gemacht. Dass er darüber hinaus ein sehr politisch denkender und vor allem brillanter Redner ist, davon konnte man sich am Sonntag im großen Saal des "Central" überzeugen. Im Rahmen der "Düsseldorfer Reden" war Lobo zu Gast mit dem Titel: "Vorschlag zur Aufrechterhaltung der liberalen Demokratie im 21. Jahrhundert".

Die Begriffskaskade war sein Rahmen für eine raffiniert austarierte Positionierung in aktuellen Fragen der Gesellschaftspolitik. "Ich bin ein digitaler Citoyen", hieß es gleich zu Beginn, und dann präziser: "Ein linksliberaldemokratischer Verfassungspatriot". Seine politische Heimat sieht der 42-Jährige bedroht, in der realen Welt durch Figuren vom Schlage Trump oder Erdogan und digital durch die Sozialen Medien.

In einem Interview hat Sascha Lobo gesagt, dass er "Punchlines" liebt, also kurze aussagekräftige Sätze, die sich gut zitieren lassen. "Ich versuche verzweifelt, Optimist zu bleiben", das ist einer von diesen Sätzen. So beschreibt er seine Haltung in einer Gesellschaft, die sich durch das Internet wandelt, gleichzeitig aber den Wandel als Bedrohung empfindet. Wenn er allerdings feststellen muss, dass nicht die etablierten Parteien, sondern die AfD die meisten Facebook-Fans verzeichnet, dann fällt Lobos Punchline auch mal länger aus: "Ich befinde mich in einem noch nicht abgeschlossenen Erkundungsprozess."

Hilfe in dieser Erkundung findet Lobo bei den Klassikern der Philosophie und des Dramas. Etwa bei Heinrich von Kleist und dessen Schrift "Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden". Angesichts von 30 Millionen Facebook-Nutzern, bei denen die digitale Kommunikation häufig den Stammtisch oder das Bierzelt ersetzt, wandelt er das Kleist-Zitat um: "Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Kommentieren im Internet". An dieser Stelle tauchen in der Rede zum ersten Mal die Wörter "liken" und "teilen" auf, und man stellt überrascht fest, wie wenig man sie bis dahin vermisst hat.

Natürlich muss auch über die "Lügenpresse" gesprochen werden, jene Medienskepsis, die sich aus einem Misstrauen gegenüber allen Eliten speist. Lobos prägnante These hierzu lautet: "Es gibt eine Krise des Wir". Wenn die Eliten des vergangenen Jahrhunderts das Wort "wir" benutzten, hätten sie ausschließlich sich selbst gemeint. Den übrigen Menschen hätte in vor-digitaler Zeit die Gnade der Unwissenheit ihr Wir-Gefühl beschert. Jetzt aber ermögliche die Teilnahme an den Sozialen Medien jedem einen Blick in die Köpfe der anderen. Zum Beweis führt Lobo die Flüchtlingsdebatte an, bei der sich unter den rechten Facebook-Fans ein unguter Abschottungsstolz breitmache: "Wir, das sind nicht die."

Eine weitere These Sascha Lobos ist die von der "Explosion des Ungleichzeitigen". Gemeint sind die äußerst knappen Wahlergebnisse bei den Präsidentenwahlen in den USA und Österreich oder beim Brexit-Votum in Großbritannien: "51 zu 49 Prozent, das heißt größtmögliche Polarisierung". Wo der Pluralismus zu verschwinden drohe, da setze sich der besonders üble Begriff "Alternativlosigkeit" frech ins Rampenlicht. In einer dritten These spricht Lobo von den "kognitiven Verwerfungen" im Internet. Eine davon ist der "Bestätigungsfehler", also dass man ausschließlich nach Bestätigung der eigenen Meinung suche.

Mein Handy, meine Welt
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Foto: Zörner

Für seine eigene Haltung in dieser Zeit beruft sich der digitale Citoyen Sascha Lobo auf den Philosophen Hans-Georg Gadamer: "Wir müssen endlich wieder lernen, wie man ein richtiges Gespräch führt. Dies schließt die Möglichkeit ein, dass der Andere Recht hat."

(RP)
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