Düsseldorfer Literaturpreis Der Dichter als Zeitgenosse

Düsseldorf · Am Montag bekam der Dichter und Erzähler Marcel Beyer den mit 20.000 Euro dotierten Düsseldorfer Literaturpreis, den die Stadtsparkasse vergibt. Der Laudator Rudolf Müller befand rigoros: "Es gibt einfach keinen Besseren."

Am Nachmittag hat es sich der Laudator noch ziemlich einfach gemacht: "Es gibt einfach keinen Besseren", so Rudolf Müller, von der Buchhandlung Müller und Böhm. Das ist schon mehr ein Bekenntnis als ein Urteil und verrät etwas über die einmütige Meinung der Jury. Kurzum: Der Lyriker, Erzähler und Essayist Marcel Beyer ist der unumstrittene 15. Träger des Düsseldorfer Literaturpreises. Der wird von Beginn an von der Kunst- und Kulturstiftung der hiesigen Stadtsparkasse vergeben und ist mit sehenswerten 20.000 Euro ausgestattet.

Natürlich hat es sich die Jury nicht ganz so leicht gemacht. Gelobt wurde darum sein politisches und historisches Interesse, sein hohes Reflexionsvermögen sowie seine Sprache, die scharfsinnig und akribisch genannt wird.

Marcel Beyer selbst versteht sich als ein "historisches Wesen" mit einer dementsprechend zeitgebundenen Perspektive. "Ich bewege mich entlang der Zeitgenossenschaft", sagt er, wobei er sich mit und in der Bewegung fortwährend auch selbst verändert. Die Perspektive wird somit zu einer Form von Erkenntnis, sei es im Roman - etwa in "Kaltenburg", in dem Beyer die Bombardierung Dresdens beschreibt -, oder in der persönlichen Wahrnehmung - zum Beispiel von Pegida und der rechtspopulistischen Bewegung. Die erlebt Beyer vor der Haustür. Denn seit 20 Jahren lebt der heute 50-Jährige in Dresden, was sowohl für einen vormals Rheinländer als auch für einen Dichter eher ungewöhnlich ist, schließlich ist seit langem Berlin die Hauptstadt der jungen Literatur.

Geboren ist Marcel Beyer im baden-württembergischen Tailfingen, was den aus Ellwangen stammenden Oberbürgermeister Thomas Geisel gestern schon auf eine Landsmannschaft hoffen ließ. Dazu langt es aber doch nicht: Beyer wuchs in Kiel und in Neuss auf, wusste aber zu berichten, dass er in der NRW-Landeshauptstadt das Schwimmen wie auch das Autofahren erlernte. Im Grunde zwei Tätigkeiten, um bloß wegzukommen.

Nein, nein, so bitter ist ihm die frühere Heimat dann doch nicht gewesen. Und in seinem jüngsten Lyrikband, "Graphit", kehrt er dichtend gewissermaßen zu seinen Wurzeln zurück. Einer dieser Ankerplätze seiner Erinnerung ist die Raketenstation Hombroich in Neuss und dort die Begegnung mit dem im Alter von 47 Jahren verstorbenen Dichter Thomas Kling. Immer wieder taucht Neuss also auf, manchmal klein, so ein bisschen zwischen den Zeilen. Da ist von künstlichen Schneehängen die lyrische Rede, während draußen "ganzjährig Runkelrübenäckerweiten" das Bild bestimmen. Und der Schneemeister - mit Strickmütze und Daunenjacke - ist "eine Flachlandgestalt", ein "Mann mit Zungenschlag". Die Neusser Skihalle erscheint wie ein dankbares Opfer in den Augen des kritischen Geistes. Doch Marcel Beyer lacht und sagt: "Ich habe die Skihalle gern." Und weil man immer noch ungläubig schaut, ergänzt er: "Manchmal packt mich eine Begeisterung für bescheuerte Dinge."

Am Abend dann bei der Preisverleihung hat Rudolf Müller wieder das Wort. Und sein Gang durch das Werk des Preisträgers - dem der Durchbruch 1995 mit dem Roman "Flughunde" gelang - ist jetzt eine Großerkundung der Perspektive. In seinen Worten ist Marcel Beyer ein "Egologe, falls es das denn gibt, ein Wissenschaftler auf dem Gebiet des ,Ich'". Doch auch am Abend bleibt es dabei: "Lesen Sie Marcel Beyer, es gibt nichts Besseres." Mehr Lob bedarf es wirklich nicht.

(los)
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