Interview mit Autor Dennis Gastmann "Viele Reiche haben ein Trauma"
Düsseldorf · Für sein Buch "Geschlossene Gesellschaft" hat sich Autor Dennis Gastmann unter die oberen Zehntausend gemischt. Im Interview erzählt er, was die meisten Millionäre verbindet und warum man guten Geschmack nicht kaufen kann.
Wenn Sie auf einen Schlag 500 Millionen Euro auf dem Konto hätten, was wäre Ihr erster Gedanke?
Gastmann Wie erkläre ich das dem Finanzamt?
Sie sagen, Sie haben die Reichen beneidet, wollten aber nicht mit Ihnen tauschen. Wie meinen Sie das?
Gastmann Niemand ist immun gegen Statussymbole. Eine Privatinsel in der Südsee, eine viktorianische Villa, ein Wagen mit Flügeltüren — das alles wäre schon nett. Rolf Sachs zum Beispiel, der älteste Sohn von Gunter Sachs, empfing mich im alten Olympiazentrum von St. Moritz. Ein ultraflaches Gebäude mit Turm und Panoramafenstern, die auf die Berge und ein verschneites Tal blicken. Beneidenswert. Tauschen wollte ich nicht mit ihm, weil er mit heftigen Schicksalsschlägen leben muss.
Gibt es eine charakterliche Eigenschaft, die alle Menschen mit viel Geld verbindet?
Gastmann Etliche Vermögende, die ich getroffen habe, litten unter einem Trauma. Der frühe Tod des Vaters, der Autounfall der Mutter, die leidvolle Zeit im Internat, der Steuerskandal, die Beinahe-Insolvenz. Ein Stachel saß ihnen im Fleisch, der sie quälte, aber auch zu besonderen Leistungen antrieb.
Wer ist anstrengender: reiche Männer oder reiche Frauen?
Gastmann Formulieren wir es so: Diese Leute sind brillante Geschichtenerzähler. Roland Paxino, ein Immobilienmogul, saß angeblich monatelang mit einem Menschenfresser im Knast, weil irgendwo in Dubai ein Hundert-Millionen-Dollar-Scheck geplatzt war. Marianne Baronin von Brandstetter behauptet, sie habe Julio Iglesias entdeckt — auf der Gartenparty einer Freundin. Und Rolf Sachs soll die legendäre Bobbahn von St. Moritz schon einmal im Smoking bezwungen haben. Auf einem Silbertablett.
Wie oft dachten Sie während Ihrer Begegnungen: Geschmack kann man nicht kaufen?
Gastmann Geld schützt tatsächlich nicht vor schlechtem Geschmack. Ich habe drei Tage in einem bizarren Oligarchenpalast vor den Toren Kiews verbracht: Der Hausherr hatte sich in Jahrmarktsmalereien an den Wänden verewigen lassen — gemeinsam mit seiner Gattin, seinen Hunden und seinen Kaninchen. Alles glitzerte in Gold, sogar die Mikrowelle, ein Falke hockte im Atrium und machte auf den Marmorboden. Und hinterm Haus ankerte eine Superyacht im Dnjepr. "Fahren Sie damit in den Urlaub?", fragte ich. "Nein", antwortete er, "damit fährt meine Frau zum Shoppen."
Haben Sie den Impuls gespürt, den Superreichen zu sagen, dass sie keine Ahnung mehr vom normalen Leben haben?
Gastmann Manchmal habe ich es ihnen gesagt und bekam — zu meiner Überraschung — Recht. Eine Luxusmaklerin aus Monaco gab zu, dass nichts mehr normal sei in ihrem Leben. Wenn sie sich nach Normalität sehne, erzählte sie mir, schaue sie "Die Camper" auf RTL. Weil sie sich gar nicht mehr vorstellen könne, dass Menschen in solchen Büchsen auf der Wiese hausen, Bratwürste grillen und, Zitat: "So banale Gespräche führen."
Wie eng hängen Reichtum und Langeweile zusammen?
Gastmann Vielleicht sind unvermögende Menschen tatsächlich glücklicher, weil sie noch Träume haben. Sie reisen in ihrer Fantasie und bauen Paläste in ihren Herzen. Man könnte auch sagen: Sie erleben noch Wunder.
Empfinden Sie es als arrogant, dass sich Nichtreiche automatisch für die besseren Menschen halten?
Gastmann Das ist Teil unserer Kultur. Während der Recherche habe ich gerne Märchen gelesen. Darin geht es meistens um sozialen Aufstieg. Die Helden werden mit Prinzessinnen verheiratet und mit halben Königreichen belohnt. Die Kehrseite davon ist die Missgunst. Der Neidische wünscht sich, dass es den Reichen schlecht geht und möchte glauben, dass nur Unmenschen in den Palästen wohnen. Das erklärt auch die diebische Freude über die Steuerskandale von Uli Hoeneß und Alice Schwarzer.
Wieso streben wir alle einen Zustand an, nämlich reich zu sein, wenn er uns nicht zu glücklicheren Menschen macht?
Gastmann Geld kann glücklich machen. Sehr sogar. Die Luxusmaklerin wirkte so happy, dass ich die Luft um sie herum in Flaschen abfüllen und als Elixier verkaufen wollte. Es scheint aber eine Glücksgrenze zu geben. Jochen Schweizer, der Erlebnispapst, erklärte mir, dass das Glück bei fünfzigtausend Euro Vermögen anfange und bei fünf Millionen ende. Dahinter beginne die Gier. Schweizer musste allerdings einräumen, dass er über der Fünf-Millionen-Grenze liegt.
Sie treten bald wieder in Düsseldorf auf. Schon Witze übers Schickimicki-Image zurechtgelegt?
Gastmann Oh, solche Scherze kommen bestimmt super an. Genau wie beim letzten Mal, als ich Düsseldorf dummerweise mit Köln verwechselt habe, weil ich mir fest vorgenommen hatte, keine Köln-Witze zu machen.
Gesa Evers führte das Gespräch.