DVD-Neuerscheinung Das Monster aus Düsseldorf

Düsseldorf · Vor 80 Jahren hatte Fritz Langs Meisterwerk "M – eine Stadt sucht einen Mörder" Premiere. Der Regisseur verarbeitet in dem düsteren Thriller die Geschichte des Massenmörders Peter Kürten, der 1930 in Düsseldorf gefasst wurde. Nun erscheint der Klassiker in restaurierter Fassung auf DVD.

 Der Jäger wird zum Gejagten: Peter Lorre wurde mit dem „M“ auf dem Rücken als Mörder gekennzeichnet.

Der Jäger wird zum Gejagten: Peter Lorre wurde mit dem „M“ auf dem Rücken als Mörder gekennzeichnet.

Foto: Universum Film

Vor 80 Jahren hatte Fritz Langs Meisterwerk "M — eine Stadt sucht einen Mörder" Premiere. Der Regisseur verarbeitet in dem düsteren Thriller die Geschichte des Massenmörders Peter Kürten, der 1930 in Düsseldorf gefasst wurde. Nun erscheint der Klassiker in restaurierter Fassung auf DVD.

Ein Kindermörder zieht durch die Stadt. Er begegnet der kleinen Elsie, die auf dem Heimweg von der Schule trödelt. Sie spielt mit ihrem Ball auf der Straße. Der Mann kauft ihr einen Luftballon. Man sieht den Täter nicht, nur seinen Schatten. Sie gehen zusammen fort. Dann folgen zwei abstrakte Bilder, und den Zuschauer erfasst das Grauen. Elsies Ball rollt aus dem Gebüsch und bleibt im Gras liegen. Ihr Luftballon verfängt sich in den Drähten eines Telegrafenmasts. Man begreift: Das Kind muss tot sein.

Vor 80 Jahren brachte Fritz Lang sein Meisterwerk "M — eine Stadt sucht einen Mörder" ins Kino. Der erste Tonfilm des Schöpfers von "Dr. Mabuse" (1922) und "Metropolis" (1927) traf auf ein Publikum, das enorm sensibilisiert war für das Thema des Films. Denn drei Wochen vor der Premiere 1931 wurde der Serienmörder Peter Kürten, den man auf dem Boulevard den "Vampir von Düsseldorf" nannte, zum Tode verurteilt. Kürten hatte neun Menschen umgebracht, darunter auch Kinder. Er tötete aus Lust, gab er zu Protokoll, von einigen Opfern soll er das Blut getrunken haben. Fritz Lang hatte die Fahndung nach dem Mann beobachtet und genau registriert, wie sich Angst, Denunziation und Panik in der untergehenden Weimarer Republik ausbreiteten, als die Polizei monatelang erfolglos suchte.

Sein innerhalb von nur sechs Wochen abgedrehter Film "M", der zum Jubiläum in einer digital restaurierten und kommentierten Fassung auf zwei DVDs herausgebracht wird, übersetzt diese Stimmung in Bilder. Der damals 40-jährige Lang recherchierte in Gefängnissen, psychiatrischen Kliniken, er sah Polizeiakten ein, ließ sich von Ermittlern beraten. Er verlegte die Handlung nach Berlin, was ausländische Verleiher nicht davon abhielt, den Film unter dem Titel "Das Monster aus Düsseldorf" zu vertreiben. Berlin war indes besser geeignet, die Abläufe und Gesetzmäßigkeiten zu beschreiben, die schließlich in einer rechtsphilosophischen Frage münden: Wann ist ein Mensch ein Mensch?

Lang gelingt es, mit reduziertem Einsatz technischer Mittel Spannung zu erzeugen. Legendär ist, wie er Elsies wartende Mutter und die Begegnung der Tochter mit ihrem Mörder abwechselnd gegeneinander schnitt. In einer anderen langen Szene telefoniert der Polizeichef mit einem Politiker. Während des Gesprächs sieht man wie in einer Dokumentation, was auf den Revieren zur Ermittlung des Täters getan wird. Und als erster verwendete Lang ein Leitmotiv: Bevor der Mörder auftritt, erklingen stets einige Takte aus Griegs "Peer Gynt". Der Film ist so progressiv und streng komponiert, dass er Alfred Hitchcock als Vorbild diente und Orson Welles zur Ästhetik des "Citizen Kane" inspirierte. Lang belässt es bei Andeutungen, tippt die Fantasie des Zuschauers lediglich an.

Was den Film noch heute packend macht, ist neben der bedrohlichen Atmosphäre die schauspielerische Leistung. Die Rolle des Mörders wurde vom damals 27-jährigen Peter Lorre übernommen. Er hatte unter Brecht Theater gespielt, und mit der Darstellung des zum Töten Getriebenen begann seine internationale Filmkarriere. Nach der Emigration in die USA 1933 wirkte er in Hitchcocks "Mann, der zu viel wusste" mit, in "Die Spur des Falken", "Casablanca" und "Arsen und Spitzenhäubchen". Lorres Gegenspieler in "M" ist Gustaf Gründgens. Er ist der Chef der Unterwelt, der die Kriminellen Berlins zur Jagd auf den Mörder vergattert, weil die vielen Razzien der verzweifelt in Etablissements und Spielhöllen fahndenden Polizei das Geschäft verderben.

Lorre sieht der Zuschauer erst in der zweiten Hälfte des Films, zuvor taucht er lediglich als Schemen auf. Und Lorres Engagement sorgt dafür, dass der Thriller "M" schließlich zu einem philosophischen Essay wird. Die Unterwelt fasst den Mörder und stellt ihn vor ein Tribunal. "Hier kommst du nicht mehr raus", droht Gründgens, "unschädlich bist du nur, wenn du tot bist." In einem aufsehenerregenden, dem Kino-Publikum vor die Füße geschleuderten Monolog beschreibt sich der Täter selbst als Opfer seiner psychischen Erkrankung. "Ich will davon, vor mir davonlaufen, aber ich kann nicht!", ruft er. "Ihr wisst nicht, wie es ist, ich zu sein." Kurz bevor der Mob ihn lyncht, stürmt die Polizei den Ort der Versammlung und bringt den Mörder vor ein rechtsstaatliches Gericht. Nach der Urteilsverkündung schwenkt Fritz Lang auf die Mutter der kleinen Elsie. "Man muss eben noch besser auf die Kinder achtgeben. Ihr!", sagt sie, und wieder fasst es einen an — zumal in Kenntnis der deutschen Geschichte in den darauf folgenden Jahren.

Fritz Lang flüchtete vor den Nazis. Er ging 1934 in die USA, arbeitete dort mit Spencer Tracy, Henry Fonda und Edward G. Robinson. In Deutschland drehte er Ende der 50er Jahre auf Vermittlung des Produzenten Artur Brauner "Der Tiger von Eschnapur" und "Die 1000 Augen des Dr. Mabuse". Vor allem seine letzten Filme waren Erfolge an den Kinokassen, künstlerisch jedoch blieb "M" unübertroffen. Lang starb 1976 in Beverly Hills. Die Deutsche Kinemathek führt "M" nach einer Umfrage unter Historikern, Kritikern und Medienwissenschaftlern als wichtigsten Beitrag Deutschlands zum Weltkino.

(RP)
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