Junges Schauspiel Im Handumdrehen ein Menschenfreund

Düsseldorf · Das Junge Schauspiel streamt „A Christmas Carol“ von Charles Dickens. Eine wärmende Erinnerung an das Glück, nicht allein zu sein.

 Das bekannte, sonst eher düstere Bühnenstück kommt ungewohnt fröhlich daher. Foto: Schauspielhaus/David Baltzer

Das bekannte, sonst eher düstere Bühnenstück kommt ungewohnt fröhlich daher. Foto: Schauspielhaus/David Baltzer

Foto: Schauspielhaus/David Baltzer

Die Spukgestalten in Charles Dickens‘ Geschichte „A Christmas Carol“ haben eine harte Nuss zu knacken. Sie sollen den übellaunigen Geizhals Ebenezer Scrooge in einen angenehmen Zeitgenossen verwandeln und müssen deswegen ein wenig gruselig daherkommen. Die Menschenfeindlichkeit des Geldverleihers ist über Jahre gediehen. Bis so einer seine Einstellung überdenkt, kann es dauern, und es braucht manchmal schwere Geschütze. Notfalls eben Geister.

Die Erzählung ist herrlich unheimlich, sozialkritisch, ein bisschen schwermütig und hat ein Happy End. Sie ist die perfekte Weihnachtsgeschichte. Das Junge Schauspiel hat sie jetzt auf die Bühne gebracht und liefert die Inszenierung als Stream in Kinder- und Wohnzimmer, wo wegen der Pandemie-Einschränkungen in diesen Tagen deutlich mehr los sein dürfte als sonst und das Bedürfnis nach wohltuendem Zeitvertreib stetig wächst.

Regie hat Mina Salehpour geführt, die ihre Version von Dickens‘ Klassiker etwas weniger schaurig, dafür aber fröhlicher und mit Sprenkeln aus der Gegenwart angelegt hat. In nur 70 Minuten ist alles erzählt, weswegen auch die Metamorphose von Scrooge im Eiltempo vonstatten geht, sodass man sich fragt, ob er je ein wahrer Bösewicht gewesen sein kann. Auch vermag Schauspieler Günther Harder seine sympathische Ausstrahlung nicht vollends mit Ruppigkeit zu übertünchen.

Dickens‘ Scrooge jedenfalls ist nichts heilig. Er schnauzt seine Mitarbeiter an, zahlt schlecht, jagt karitativ Tätige zum Teufel und kriegt sich nicht mehr ein, als sein Schreiber Robert Cratchit darum bittet, ihm den Weihnachtsabend freizugeben. In Scrooges Büro ist es so kalt wie im Herzen des Bankers, und schon der erste Satz der Geschichte treibt die Stimmung in den Keller: „Marley war tot. Daran bestand nicht der geringste Zweifel.“ Jacob Marley war Scrooges Geschäftspartner und wie der kein bisschen freundlich. Die Männer einte ihr skrupelloses Streben nach Gewinnmaximierung. Scrooge kann daran nichts Verwerfliches finden und scheffelt in bester Dagobert-Duck-Manier unaufhörlich weiter. Als sein Neffe Fred ihn an Weihnachten einlädt, kontert der Onkel „Humbug“ und weist Fred ab wie jedes Jahr. Mit dem Fest der Liebe muss man ihm nicht kommen, davon weiß er nichts und will er auch nichts wissen. In der Folge wird er dann allerdings von mehreren Geistern heimgesucht, unter ihnen der im Jenseits geläuterte Marley. Das wirkt Wunder, und auf zauberhafte Weise vollzieht sich die Wandlung des Ebenezer Scrooge.

In taubenblauen Anzügen stehen die Schauspieler auf der Bühne, die zunächst in ein fahles Licht getaucht ist. Noch ist Geschäftsmann Scrooge der frostige Misanthrop, dem es gleich ist, dass es um drei Uhr am Nachmittag dunkel wird. Er braucht die Kerzen bloß zum Arbeiten, für ihr behagliches Licht ist er nicht empfänglich: „Welchen Grund hast Du, froh zu sein, da Du doch arm bist?“ Sein Angestellter Bob Cratchit kann die Familie kaum durchbringen, und auch an Weihnachten stellen sich Eltern und Kinder die Köstlichkeiten nur vor, die bei den reichen Leuten auf dem Tisch stehen. Trotzdem kann es der Schreiber kaum erwarten, vor allem seinen schwerkranken Sohn Tiny Tim in die Arme zu schließen.

Weil Weihnachten ist, sind die wenigen sentimentalen Momente auf der Bühne gar nicht so schwer auszuhalten. Auch, weil Salehpour nicht zu dick aufträgt und die Schauspieler munter dazwischenfunken. Etwa wenn Paul Jumin Hoffmann aus dem Song „Ice Ice Baby“ des US-Rappers Vanilla Ice zitiert und damit eine ziemlich diesseitige Botschaft vom Stapel lässt: Freunde, das wird ein hartes Stück Arbeit mit Bruder Ebenezer, aber das kriegen wir hin.

So ist es auch. Schlüsselszene für den Wandel ist in der Inszenierung ein Ereignis aus Scrooges Vergangenheit. Als junger Mann wusste er durchaus die Gesellschaft anderer zu genießen, vermochte Liebe und Großzügigkeit wertzuschätzen. Und so erlebt er noch einmal als Lehrling im Kaufhaus von Mr. Fezziwig, wie dieser aus purer Freude am Teilen an Weihnachten die Menschen in sein Warenhaus einlädt und sie bewirtet wie Könige. Nur wenige Handgriffe und ein paar Silbergirlanden braucht es, um die Bühne in einen Festsaal zu verwandeln. Die Schauspieler verbreiten eine wunderbare Stimmung, die von nun an auch das Gemüt des Bankers veredelt. Für ihn gibt es kein Halten mehr, er beschenkt und hilft, dass man kaum hinterherkommt, und am Ende hält das Schicksal auch für ihn ein schönes Weihnachtsfest bereit.

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