Düsseldorf/Duisburg Das Ballett am Rhein soll die Welt erobern

Düsseldorf/Duisburg · Die Premiere b.16 am Freitag widmet das Ballett am Rhein dem 725. Geburtstag der Stadt. Im RP-Gespräch mit OB Dirk Elbers berichtet Ballettdirektor Martin Schläpfer über Gastspiel-Anfragen aus Tel Aviv, Oman und Köln – und ein mögliches Ballettfestival.

 Oberbürgermeister Dirk Elbers (links) und Ballett-Chef Martin Schläpfer in der Oper.

Oberbürgermeister Dirk Elbers (links) und Ballett-Chef Martin Schläpfer in der Oper.

Foto: Hans-Juergen Bauer

Die Premiere b.16 am Freitag widmet das Ballett am Rhein dem 725. Geburtstag der Stadt. Im RP-Gespräch mit OB Dirk Elbers berichtet Ballettdirektor Martin Schläpfer über Gastspiel-Anfragen aus Tel Aviv, Oman und Köln — und ein mögliches Ballettfestival.

Herr Schläpfer, Sie sind ein Freund der Schwarzen Romantik. Die heutige Premiere bietet mit dem Titel "Nacht umstellt" entsprechende Assoziationen - und wäre vielleicht Ihr Abschied von Düsseldorf geworden. Wie froh sind Sie, dass es anders gekommen ist?

Schläpfer: Ich hätte meinen Vertrag, der noch ein Jahr läuft, selbstverständlich erfüllt. Dass ich andere Überlegungen hatte, war nicht der Diskussion um die Opernehe Düsseldorf-Duisburg geschuldet, sondern meiner Situation als Künstler. Dass ich meinen Vertrag verlängert habe, hat maßgeblich mit Herrn Oberbürgermeister Elbers und seinem Engagement für das Balletthaus zu tun. Das war eine Entscheidung für das Ballett und mich, aber auch für die Oper und Düsseldorf als Kulturstandort.

Elbers: Wir sind froh, dass die Opernehe unter den schwierigsten Bedingungen erhalten werden konnte. Und natürlich freue ich mich persönlich, dass Martin Schläpfer in Düsseldorf bleibt.

Herr Schläpfer, Sie betonen auffällig oft das Lebensalter, in dem Sie stehen. Warum?

Schläpfer: Ich bin jetzt fast 54 Jahre alt und habe hoffentlich die kreativ wohl stärksten Jahre noch vor mir. Da überlege ich mir genau, wie und wo verbringe ich diese Zeit — denn sie dauert ja nicht ewig.

Spüren Sie die Zeit?

Schläpfer: Ja. Nicht wenn ich arbeite und im Fluss bin, aber ich spüre die Intensität dann plötzlich doch — das geht Herrn Elbers wohl noch eher so. Man reflektiert in einer Entspannungspause und wird sich bewusst, wie die Zeit davonrast. Das ist allerdings auch eine Qualität.

Die Stadt plant rund 20 Millionen Euro für den Bau und Betrieb des Balletthauses ein. Wie wird diese Entscheidung in der Tanzszene aufgenommen?

Schläpfer: Wenn sich die Hauptstadt Nordrhein-Westfalens zu solch einem Schritt entschließt in einer Zeit, wo Theater schließen oder Orchester zusammengelegt werden, nicht nur in Deutschland, sondern auch in England oder den USA, dann ist das ein sehr deutliches und gutes Zeichen. Das kann und wird europaweit ausstrahlen. Natürlich ist es am Ende nur ein begrenzter Kreis, der ins Theater geht, aber umso wichtiger ist dieses Votum für ein klares Bekenntnis zur Erhaltung der Errungenschaften unseres Abendlandes. Dass der Tanz davon profitiert, ist außergewöhnlich.

Herr Elbers, Sie sind bei der Premiere am Freitag mit nahezu allen Beigeordneten der Stadt vertreten. Die Stadtspitze demonstriert, wie wichtig ihr das Ballett geworden ist.

Elbers: Das ist so. Seit 2009 ist Martin Schläpfer in Düsseldorf, seine Arbeit strahlt stark aus und ist ein internationales Aushängeschild geworden. Ich schätze dieses moderne Ballett sehr, so wie viele andere Menschen auch. Es freut mich als Oberbürgermeister, dass viele Besucher in die Stadt strömen, auch von weiter her, um dieses Angebot zu nutzen. Das Ballett ist für die Region und für NRW wichtig, denn Wuppertal ohne Pina Bausch und Köln nun ganz ohne eigene Tanzsparte haben sicher gelitten. Da haben wir eine Verantwortung, aber das Ballett passt ohnehin gut zu Düsseldorf als einer kreativen Stadt unter anderem mit Kunstakademie, einer starken Kunstszene und Mode.

Schläpfer: Mit dem Balletthaus muss sich noch vieles nach oben steigern und erfüllen. Das ist jetzt eine wunderbares Nach-oben-Stoßen, das wir erleben, und ich gebe mein Bestes, dass sich einstellt, was von uns erwartet wird. Wir haben in Düsseldorf das Tanzhaus, verschiedene tätige Stiftungen, nun dieses Ballett, alles Stützfunktionen, die Düsseldorf in Europa zu einer kreativen Stätte des Tanzes machen können.

Hat der Erfolg auch damit zu tun, Herr Schläpfer, dass Sie statt des Handlungsballetts nicht nur schöne Bilder, sondern auch den modernen, den kämpfenden, gebrochenen Menschen zeigen und insofern politisch sind?

Schläpfer: Der Tanz kreiert eine Masse an Bewegung und kann mit intensiver Körperlichkeit und Tempo zeigen, wie es dem Menschen heute geht. Ich lese viel Zeitung und verfolge genau, was in der Welt geschieht. Man kann das Unsichere, Unbehütete zeigen. Zum Handlungsballett möchte ich sagen, dass Schauspiel und Oper besser erzählen, weil dort das Wort dabei ist. Ich mache kein Tanztheater, sondern Ballett. Mich interessiert das Dazwischen, das Archetypische. Wir gehen über ein Seil und links und rechts sind Abgründe, wir Menschen heute haben nicht nur die eine Wahrheit oder Lösung, sondern müssen alles zusammenstückeln. Wenn ich dies zeige, ist dies das Zeitgenössische oder Politische an meiner Arbeit. Das muss man jedoch nicht nur dunkel verstehen.

Elbers: Ich bin über die Parallelen zwischen Ihrer und meiner Wahrnehmung erstaunt. So ist es auch in der Politik, es gibt keine Patentrezepte, alles muss jeden Tag neu erkämpft, erstritten werden. Die Kunst ist eine Interpretation der Realität, durch die Kunst verstehen wir die Welt besser.

Schläpfer: Ich empfinde das Fundamentale in unserer Gesellschaft als grundlegend falsch. Wir bekommen ja nicht einmal mehr eine vernünftige Ökumene hin. Und alles nur, weil wir nicht aushalten, dass wir keine Rezepte haben — aber der Tanz kann dieses Fragile abbilden. Ein Tag Probe im Ballett ist reine Politik, zu der wir in der Demokratie übrigens keine Alternative haben. Die klassische Technik ist für mich bei der Entwicklung dieser Bilder unglaublich wichtig. Harmonie ist eine Illusion, es gibt sie momenteweise in jedem Leben, aber man muss das Andere aushalten - das alles ist schwierig, aber nicht freudlos.

Sie haben das Ziel ausgegeben, mit der Compagnie in die Weltspitze zu wollen. Wie manifestiert sich ein solcher Weg?

Schläpfer: In der nächsten Etappe gehören die Gastspiele dazu. Das ist kein einfacher Prozess, weil wir groß sind, das heißt teuer. Heute gehen meist 20- bis 25-köpfige Compagnien auf Tourneen, wir sind doppelt so groß. Wir müssen schauen, welche Zeitnische in Frage kommt und welches Stück passt. Das Interesse zieht sehr an.

Wer ist interessiert?

Schläpfer: Gastspiele an der Staatsoper in München und in St. Pölten (Österreich) sind bereits vereinbart. Wir sind im Gespräch mit Moskau, das ist mir persönlich wichtig. Wir wollen wieder nach Paris, es gibt Anfragen aus Tel Aviv, aus dem Oman, Dresden, der Schweiz. Es spricht sich herum, es kommen sehr viele Leute nach Düsseldorf und schauen uns an. Wir wollen auch in Köln spielen.

Köln?

Schläpfer: Köln war in den sechziger und siebziger Jahren mit der internationalen Sommerakademie ein Zentrum des Tanzes, die ganze Welt kam dorthin. Es gibt kein Tanzforum mehr, ein kleiner Versuch mit Amanda Miller ist gescheitert. Alles wurde weggespart, es gibt nur noch das Tanzarchiv.

Elbers: Wir haben ja auch Gespräche über eine große Kooperation im Bereich Tanz mit Köln geführt, die aber unter anderem an fehlenden Mitteln in Köln gescheitert sind. Es ist wichtig für Künstler, dass sie reisen, deshalb unterstütze ich die Philosophie der Gastspiele insgesamt. Wir waren etwa gemeinsam in unserer Partnerstadt in Moskau, der Besuch des Bolschoi-Theaters war ein Erlebnis. Herr Schläpfer und ich arbeiten daran, dass unser Ballett in Moskau gastiert. Es geht aber auch um andere Städte in der Welt, wo wir Wirtschafts- und Kulturkontakte pflegen. Das können wir Hand in Hand machen — Düsseldorf aus wirtschaftlicher und kultureller Sicht vertreten.

Und wie geht der Weg weiter?

Elbers: Was halten Sie von einem Tanzfestival in Düsseldorf?

Schläpfer: Eine sehr schöne Idee! Es muss aber ein besonderes Konzept sein. Es muss wegzeigen von den vielen Festivals, die nur alles einsammeln. Ich verstehe mich als Bauer, der an einem Ort an einem Projekt arbeitet und es immer besser machen möchte. Diesen Anspruch hätte ich auch an ein Festival. Es kommt auf die Qualität an, die Ambition, die Zufriedenheit in der Compagnie. Wenn du nur rennst, verpuffst du.

Elbers: Es wäre eine schöne Aufgabe für zwei 54-jährige Männer, ein solches Festival zu kreieren und Düsseldorf zum Zentrum des modernen Tanzes zu entwickeln.

Schläpfer: Natürlich wäre das toll, gerade mit dem neuen Balletthaus. Ich würde gerne Schritt für Schritt gehen. Die Arbeit im Balletthaus strukturieren, die internationale Verankerung, dann ein Festival.

Wie wird das Balletthaus aussehen, welche Rolle spielt die Architektur?

Elbers: Das ehemalige Rheinbahn-Depot am Steinberg soll ein kreatives Zentrum werden. Jacques Tilly mit seinen Wagenbauern bleibt dort, es soll Ateliers für Absolventen der Kunstakademie geben, kulturaffines Wohnen, und eben das Balletthaus. Es muss Funktionen erfüllen, die Martin Schläpfer benötigt, mir ist es aber wichtig, dass es architektonisch ansprechend ist. Es soll ein Ort der Kunst werden. Es gab bislang unterschiedliche Aussagen dazu, ob es dort auch Zuschauerplätze gibt.

Schläpfer: Eine dritte Spielstätte ist für uns nicht zu leisten, aber sicher sollte es möglich sein, beispielsweise zu Veranstaltungen der Ballettfreunde und unserer Ballettschule Zuschauer einzuladen. Elbers:. Ja, wir wollen keine dritte Bühne, aber etwa 100 Plätze wären gut.

Herr Schläpfer, am Freitagabend hat b.16 seine erste Aufführung. Wie viele Premieren denken Sie im Voraus?

Schläpfer: Ich bin schon bei b.24, immer mindestens zwei Jahre müssen Sie vordenken. Einen Mats Ek muss man drei Jahre vorher an sich binden.

Wie entspannen Sie?

Schläpfer: Im Garten sein und nichts tun, vor allem nichts hören, keine Musik.

Elbers: Das ist bei mir anders. Ich höre abends gern Musik und lese Bücher, nur keine Zeitungen!

Schläpfer: Ich habe mir ein Aquarium gekauft, das ich in den Sommerferien bestücken möchte. Ich mag Salmler, Schwarmfische. Früher hatte ich drei Aquarien. Wenn man es richtig macht, ist das eine wunderschöne Sache.

Uwe-Jens Ruhnau führte das Interview.

(ujr)
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