Düsseldorf Darf Kunst alles, was sie kann?

Düsseldorf · Gregor Schneider, Tony Cragg, Jürgen Klauke und Peter Lynen diskutierten über Grenzen der bildenden Kunst.

 Dieter Häussinger und Peter Lynen - beide Vizepräsidenten der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste - mit Tony Cragg, Gregor Schneider und Jürgen Klauke (v.l.). Im Hintergrund ist eine Skulptur von Cragg zu sehen, die auf dem Gelände der Akademie steht.

Dieter Häussinger und Peter Lynen - beide Vizepräsidenten der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste - mit Tony Cragg, Gregor Schneider und Jürgen Klauke (v.l.). Im Hintergrund ist eine Skulptur von Cragg zu sehen, die auf dem Gelände der Akademie steht.

Foto: Hans-Jürgen Bauer

Künstler verstehen sich als Überwinder von Grenzen. Sie brechen gern Tabus und sehen ihre Rolle in der Gesellschaft darin, der Alltagswelt neue, ungeahnte Welten entgegenzustellen. Künstler sind Spezialisten für sinnliche Utopien. Doch wehe, es stellt sich ihnen jemand in den Weg! "Zensur", heißt es dann meist, und die ist laut Grundgesetz verboten.

Über "Horizonte und Grenzen der Kunst" diskutierten jetzt vor Publikum in der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste in Düsseldorf drei weithin bekannte Künstler und ein Jurist: Tony Cragg, Jürgen Klauke, Gregor Schneider sowie Peter Lynen, Sekretar der Klasse für Künste an der NRW-Akademie. Der Jurist Lynen wies gleich in seiner Einführung auf den guten Stand der Kunstfreiheit in Deutschland hin. "In dubio pro arte" sei der Leitgedanke im Gesetz: im Zweifelsfall für die Kunst.

Doch wenn Auseinandersetzungen zwischen Freiheit der Kunst und zum Beispiel Sicherheitsbedenken aufkommen, geht die Kunst daraus nicht immer als Siegerin hervor. Gregor Schneider, Professor an der Düsseldorfer Kunstakademie, hat da so seine Erfahrungen gemacht. Er erzählte, wie er offiziell eingeladen worden sei, zur venezianischen Kunst-Biennale 2005 auf dem Markusplatz eine von der Kaaba in Mekka inspirierte Großskulptur zu errichten. Kurz vor der Eröffnung verbot die italienische Regierung diese Aktion wegen deren nicht näher erläuterter "politischer Natur".

Dabei hatte Schneider sich abgesichert: Ein Nachbau der Kaaba verstoße nicht gegen Vorschriften des Islam. Auch auf dem Tempelberg in Jerusalem und am Museum Hamburger Bahnhof in Berlin durfte der Kubus nicht gebaut werden.

Als weiteres Beispiel einer Absage führte Schneider sein Projekt "Totlast" für das Duisburger Wilhelm-Lehmbruck-Museum an. Der Oberbürgermeister sagte es kurzfristig ab mit einem vagen Hinweis auf die Love-Parade-Katastrophe 2010. Dabei habe es für "Totlast" keinerlei Sicherheitsbedenken gegeben, so erläuterte Schneider. Offenbar habe man der Bevölkerung eine Auseinandersetzung mit einer ungewöhnlichen Tunnel-Großskulptur nicht zumuten wollen. Darüber hätte sich in Düsseldorf nun eine Diskussion entspinnen können, doch zunächst waren die anderen Podiumsgäste gefordert, ihre Ansichten zum Thema des Abends auszubreiten. Tony Cragg betonte, dass jeder Künstler mit seiner Vorstellungskraft Grenzen überwinden wolle, darunter die Grenze zwischen Wissen und Glauben. Jürgen Klauke dagegen erklärte, dass sein Thema gerade die Unüberwindlichkeit einer Grenze sei: des Todes. "Die Forderung nach stetiger Innovation in der Kunst ist uneinlösbar", hielt Klauke seinem Mitdiskutanten Cragg entgegen - und teilte als der große Ironiker, als der er bekannt ist, gleich noch ein wenig aus: "Viele Kunstwerke benötigen heutzutage einen Beipackzettel."

Klauke zog auch über den Kunstmarkt her: "Der Markt genießt die Oberfläche." Künstler zu sein sei wegen der Verdienstaussichten mittlerweile zum Beruf geworden; früher sei es eine Berufung gewesen.

Als sich die Diskussion am Ende dem Publikum öffnete, meldete sich Gregor Schneider noch einmal zu Wort: Er habe bei seinem Kaaba-Projekt für Venedig vor allem Diskussionskultur vermisst. Schade, dass man die Diskussion an diesem Abend nicht nachgeholt hat. Denn zwischen dem Kaaba-Nachbau und dem "Totlast"-Projekt bestehen ja Unterschiede. Muss jede Ausstellung des Lehmbruck-Museums künftig darauf abgeklopft werden, ob sich eine gedankliche Verbindung zur Love Parade aufdrängt? Und muss man andererseits nicht Verständnis für eine Politik haben, die in Zeiten eines oft irrationalen Terrorismus eine Kaaba mitten in Venedig lieber verhindert?

(B.M.)
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