Choreograph Raimund Hoghe wird 70 Den Körper in den Kampf werfen

Der Düsseldorfer Choreograf und Tänzer wird 70 Jahre alt. Angefangen hat er als Dramaturg an der Seite von Pina Bausch.

 Raimund Hoghe während einer früheren Aufführung im Tanzhaus NRW an der Erkra­ther Straße. Am Samstag ist er dort erneut zu Gast.   Foto: Rosa Frank

Raimund Hoghe während einer früheren Aufführung im Tanzhaus NRW an der Erkra­ther Straße. Am Samstag ist er dort erneut zu Gast. Foto: Rosa Frank

Foto: Luca Giacomo-Schulte

Als der Düsseldorfer Choreograf Raimund Hoghe 1999 in Brüssel sein Stück „Letter amorose“ über tragische Briefe probte, sah er zufällig in der Zeitung einen im Original abgedruckten Brief, der ihn bis heute beschäftigt. In ihm fordern die zwei Jugendlichen Yaguine Koita und Fodé Tounkara aus Guinea Europa auf, sich stärker für Afrika einzusetzen, mehr für die Bildung der dortigen Jugend zu tun und gegen die Armut auf ihrem Kontinent zu kämpfen. Auf ihrem Weg in eine bessere Zukunft waren die beiden als blinde Passagiere im Fahrwerk eines Flugzeugs von Guinea nach Brüssel erfroren. Neben dem Brief hatten sie noch Zeugnisse, Geburtsurkunden und Familienfotos bei sich.

Auch 20 Jahre später hat der Brief nichts an Aktualität eingebüßt, noch viel mehr Menschen als damals riskieren in der Hoffnung auf eine bessere und gerechtere Zukunft ihr Leben. So ist auch die verkürzte und konzentrierte Neuauflage seines Stückes, das diesen Samstag im Tanzhaus gezeigt wird, hochaktuell. Denn Raimund Hoghe, der in diesem Jahr 70 Jahre alt wird, will sich nicht abschotten oder die Augen vor der Realität verschließen. Schon als junger Journalist hat er persönliche Biografien in Verbindung mit der kollektiven Biografie gebracht.

So zeigt er in „Lettre amorose, 1999 – 2019“ den Lebens- und Leidensweg von Flucht und Heimatverlust beispielhaft anhand von sehr persönlichen und anrührenden Briefen. Wie zum Beispiel einen Brief der deutsch-jüdischen Dichterin Else Lasker-Schüler, die nach dem Ersten Weltkrieg einen Freund in der Schweiz um Asyl bittet. 

Trotz eines bewegten Lebens will sich Hoghe viel lieber um relevante Themen kümmern, als seine eigene Biografie in den Mittelpunkt seiner Arbeit zu stellen. Denn das Theater sei nicht das Leben und erst Recht keine Therapie, sagt er.

Geboren wird Raimund Hoghe 1949 in Wuppertal. Schon in frühester Kindheit entwickelt sich bei ihm eine Rückgratverkrümmung. Er ist nicht sehr groß, sein Rücken ist schief – nicht gerade eine perfekter Tanzkörper. Im immer noch vom nationalsozialistischen Körperkult geprägten Nachkriegsdeutschland, hatte er es schwer.

Als Kind musste er in einem Gipsbett schlafen oder Korsage tragen. Als seiner alleinerziehenden Mutter geraten wird, ihren Sohn in ein Heim zu geben, geht sie auf die Barrikaden. „Es ist unglaublich, was Eltern ihren Kindern alles mitgeben“, sagt Hoghe. „Meine Mutter hat immer an mich geglaubt und mir zu verstehen gegeben, dass ich meinen Weg gehen werde.“ Und wie er das tut, trotz aller Widrigkeiten. Seine Mutter stirbt an Krebs, als er 17 Jahre alt ist, sein Großvater – eine wichtige Bezugsperson – ist da bereits tot. Kurze Zeit später erfüllt sich Hoghe seinen Kindheitstraum und wird Zeitungsjournalist. Seine Porträts über Außenseiter, aber auch Prominente werden mit Preisen ausgezeichnet. Unter anderem bekommt er 25-jährig 1974 den renommierten Theodor-Wolff-Preis für eine Reportagereihe über die von Bodelschwinghschen Anstalten Bethel in Bielefeld.

Mit einem Porträt über Pina Bausch ändert sich 1979 sein Leben. Sofort liegen die beiden Wuppertaler aus kleinbürgerlichen Verhältnissen auf einer Wellenlänge. „Wir waren wie Bruder und Schwester“, sagt Hoghe zu seinem Verhältnis zur großen Choreografin. Sie engagiert ihn als Dramaturg, zehn Jahre bleibt Hoghe an Bauschs Tanztheater. Bis er eigene Ambitionen entwickelt und als Tänzer und Choreograf selbst Karriere macht. Dafür wird er von Bausch mit Missachtung gestraft.

Seit 1990 kommt fast jährlich ein neues Stück von ihm auf die Bühne, er tritt darin auch selber auf. Seit dieser Zeit arbeitet er mit dem bildenden Künstler Luca Giacomo Schulte – „meinem besten Freund“, wie er sagt – an den Aufführungen. Auch mit 70 ist er noch viel unterwegs, vor allem in Frankreich ist er ein gefragter Choreograf.

Mit seinem ersten Solostück „Meinwärts“ erregt er 1994 Aufsehen. Nackt und mit dem Rücken zum Publikum hängt er an einer Stange, für jeden sichtbar. Ein Novum im Tanz ist das, wo sonst nur durch jahrelanges Tanztraining gestärkte Körper zu sehen sind. Mit der Abweichung von der Norm können damals vor allem Kritiker nicht umgehen. Mit dem Zitat von Pier Paolo Pasolini „Den Körper in den Kampf werfen“ habe er sich Mut gemacht, selber als Perfomer auf die Bühne zu gehen, sagt er. Und auch heute noch wirft der bald 70-Jährige mit voller Energie seinen Körper in den Kampf um Normalität, Gerechtigkeit und Fairness.

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