Düsseldorf Boreykos GMD-Nachfolger kommt erst 2016
Düsseldorf · Intendant Michel Becker rechnet damit, dass zwei Spielzeiten vergehen, bis ein neuer Generalmusikdirektor inthronisiert sein wird.
Während die Düsseldorfer Symphoniker mit ihrem Konzert-GMD Andrey Boreyko das letzte gemeinsame Symphoniekonzert vorbereiten, könnte in der Verwaltungsetage des Orchesters eigentlich leichte Panik ausbrechen. Der Chef geht, doch ein neuer ist nicht in Sicht. Für Intendant Michael Becker ist das jedoch kein Problem. Er kann warten und will alle möglichen Kandidaten mit dem Orchester erst in Ruhe sichten. Gestern sagte er: "Wir werden unseren neuen GMD vermutlich zu Beginn der Konzertsaison 2016/17 bekommen."
Das klingt vorderhand ungut. Zwei Spielzeiten verwaist - wie sollte das funktionieren? Eine solche Vakanz als cheffreie Zeit gab es schon einmal, und zwar in der Saison 2007/2008, bevor John Fiore als Nachfolger von Salvador Mas Conde kam. Aber auch damals war es für die Symphoniker kein Weltuntergang, dass sie für jedes ihrer zwölf Symphoniekonzerte einen neuen Gastdirigenten bekamen. Solche ästhetischen Wechsel am Pult können auch die Aufmerksamkeit fördern, sie kitzeln die positiven Kräfte der Routine, und in der Tat können Chefs ja auch überschätzt werden. Bei Boreyko selbst sah man es schnell, dass der Enthusiasmus des Anfangs in eine gewisse Starre und Lustlosigkeit mündete - und zwar allseits. Becker fasst die Lage diplomatisch zusammen: "Wir versinken hier gewiss nicht im Chaos."
Der Intendant gab neulich die beinahe frivol klingende Lesart aus, dass eigentlich jeder der zwölf Gastdirigenten der kommenden Spielzeit ein Kandidat fürs Amt sei, aber ruderte dann doch zurück: "Diese Saison wird sicher kein Schaulaufen sein, das möchten wir vermeiden. Andererseits wissen alle Gäste, in welcher Situation wir uns hier befinden." Und so, räumt Becker ein, könne es eben doch zu einem ungeplanten Funkenflug kommen - und dann sei es nicht unrealistisch, dass ein so weltläufiger Dirigent wie der Finne Okko Kamu während der Proben und Konzerte in tiefe Liebe zu Düsseldorfs Orchester fällt - und diese Liebe sogar erwidert findet.
In jedem Fall ist die Düsseldorfer Stelle überaus speziell. Denn der Chefdirigent im Konzertbereich hat noch einen GMD im Opernfach fast an seiner Seite - mit dem Unterschied, dass die Musiker weitaus häufiger in der Oper als in der Tonhalle spielen. Becker beklagt diesen Zustand gelegentlich etwas weinerlich. Nun, zwölf Programme mit jeweils fünf bis sechs Proben und drei Konzertabenden sind keine Lappalie, sondern eine feste Bank. Der GMD der Tonhalle absolviert davon in der Regel sechs, und wer dieses Amt in Aussicht nimmt, muss es in seine Lebensplanung integrieren. Was macht er in der restlichen Zeit? Der neue Chefdirigent benötigt also mindestens ein zweites Standbein; andererseits bietet die Düsseldorfer Stelle beste Möglichkeiten, dirigierend auch in der nahen und weiten Welt zu gastieren.
Der Knackpunkt der Opernbindung der Symphoniker ist: Ein Konzert-GMD möchte gerne mit seinem Orchester auf Tournee gehen, aber das ist wegen der Opern-Obliegenheiten nur sehr eingeschränkt möglich. In der Vergangenheit hat sich mehrfach gezeigt, dass die Symphoniker durchaus über einen nicht unbedeutenden Marktwert verfügen (jüngst gab es im Wiener Musikverein sogar eine direkte Wiedereinladung, was dort nicht die Regel ist). Und es ist auch so, dass Gastspiele nicht nur den Marktwert eines Orchesters definieren, sondern auch dessen künstlerisches Ego. Notabene: Ende August reist das Orchester ins Amsterdamer Concertgebouw, noch eine Nobeladresse. Aber wenn sie nicht aus dem Betrieb rauskommen, geht Gastieren nicht.
Stets betont Becker, dass die Findung eines geeigneten GMD eine delikate Angelegenheit sei, die viel mit Chemie zu tun habe. Gewiss gibt es Intendanten, die einen Chef auch ohne das Votum ihres Orchesters aussuchen - und manchmal sind Mitarbeiter nicht die besten Headhunter für ihren eigenen Chef. Aber gerade weil die Symphoniker nun endlich einmal einen wirklich guten GMD im Konzertbereich verdienen, sollten Herzensaspekte nicht ausgeklammert sein.
Gelegentlich wird die Frage angeschnitten, ob nicht Opern-GMD Axel Kober den Konzertbereich der Symphoniker zusätzlich übernehmen könne. Wenn Kober klug beraten ist, wird er diesem Gedanken, der vor allem gern im Oberbürgermeister-Büro gestellt wird, nicht nachhängen: Es wäre ein Mörderjob in Düsseldorf und Duisburg gleichzeitig, der dem Musiker, der ihn ausübt, fast keine Möglichkeit bietet, selbst anderswo aufzutreten. Unter John Fiore konnte man diese Ämterfusion erleben; und es war gewiss keine vertane Zeit, denn Fiore hatte das Arbeitsethos eines Berserkers. Aber als seine Zeit herum war, hatte er Probleme mit seinem Renommee und konnte später von Glück reden, dass er bei der Norske Oper in Oslo unterkam.
Wir sollten also die kommende Spielzeit mit offenen Ohren in der Tonhalle verbringen. Sicher ist: Einer der zwölf Dirigenten wird es werden. Wenn die Chemie stimmt. Und wenn nicht? Nun, man kann sich auch zu Tode suchen.
