Premiere im Jungen Schauspiel Arschbomben-Wettbewerb im Theater

Im Jungen Schauspiel feierte „Auf Klassenfahrt oder Der große Sprung“ Premiere – mit Livemusik und temporeichem Spiel.

 Gut aufgelegt zeigte sich das Ensemble des Jungen Schauspiels bei der Premiere an der Münsterstraße.   Foto: David Baltzer

Gut aufgelegt zeigte sich das Ensemble des Jungen Schauspiels bei der Premiere an der Münsterstraße. Foto: David Baltzer

Foto: David Baltzer

Wer kennt es nicht, das lustige Gruppenspiel „Ich packe meinen Koffer“? Jeder fügt einen Gegenstand hinzu, alle müssen sich merken, was schon im Koffer ist, und es der Reihe nach aufzählen. So beginnt auch das Stück „Auf Klassenfahrt oder Der große Sprung“. Nacheinander wandern in den Koffer: Badeschuhe für den Arschbomben-Wettbewerb, eine Tüte Chips in XXL, ein leerer Schuhkarton für Einkäufe, ein Laserschwert, zwei Bücher und „mein zweitliebster Schlafanzug, mein liebster ist ein bisschen peinlich“. Lehrerin Jana Heller fügt „Zuversicht“ hinzu. Die wird sie brauchen, so viel ist klar. Es ist nicht ihre erste Tour mit Grundschülern. Sie weiß, da werden Streiche ausgeheckt, deren Opfer sie selbst sein kann. Es dauert dann tatsächlich nicht lang, bis sie aufkreischt. Arglos hat sie Seife aus dem Spender verwendet. Jetzt sind ihre Hände und Arme grün verfärbt: Jemand hatte Tinte reingekippt.

Autor Thilo Reffert beschreibt die Klassenfahrt als „Karneval des Schullebens, als Hochzeit von Ferien und Schule“. Das setzt Regisseur Frank Panhans so schwungvoll um, dass die Stimmung bei der Premiere im Jungen Schauspiel vom ersten Moment an bestens ist. Mit Pause dauert das Stück zwei Stunden, was für Zuschauer ab sechs Jahren viel bedeutet. Aber keine Minute ist langweilig, die Konzentration reicht bis zum begeisterten Applaus. Das liegt neben dem temporeichen Spiel an den kindgerecht aufbereiteten Themen. Entweder haben die anwesenden Schüler schon einmal eine Klassenfahrt gemacht und fühlen sich angesprochen. Oder sie bereiten eine vor und sind in gespannter Erwartung. Dazu halten die schmissigen Kompositionen von Wolfgang Böhmer alle bei Laune. Sie werden live gesungen und stimmungsvoll begleitet von den Musikern Alexander Pankov (Akkordeon) und Mathias Haus (Marimbaphon).

Weil nur sechs Schauspieler auf der Bühne stehen, müssen einige gleich mehrere Rollen spielen. Kurz mag es irritieren, die Figuren auseinanderzuhalten. Aber schnell hat man begriffen: Mit blonden Wuschelhaaren ist Maria Perlick die forsche Lehrerin, mit pinker Mütze Schülerin Meggy. Bernhard Schmidt-Hackenberg spielt Wedat und Norman, Selin Dörtkades Natti und Hayat. Paul Jumin Hoffmann ist entweder Schüler Jules oder der mitgereiste, immer etwas übermotivierte Vater Ecki Schumacher, der die meisten Lacher abräumt. Durchgehend in ihrer Rolle bleiben nur Eduard Lind als Karl und Marie Jensen als Tami. Die Neue in der Klasse ist ein seltsames Mädchen, verschlossen, trotzig, rätselhaft. Eine Außenseiterin. Weil sie es so will, nicht weil die anderen sie dazu machen. Manchmal verschwindet Tami einfach, und alle müssen sie suchen. Sie weigert sich, ihr Bett zu beziehen, packt auch den Koffer nicht aus. Warum nur? Das enthüllt sie erst gegen Ende in einem anrührenden Song.

Vorher passiert viel: die Aufteilung der Zimmer, das Essen, an dem rumgemäkelt wird, energisch wird der betuliche Tanzworkshop für Walzer, Foxtrott und Samba ausgehebelt und durch fetzigen Rock ersetzt. Die Schüler spielen Federball, klettern aufs Gerüst oder schaukeln auf der Wippe. Sie ist ohnehin ein geschickt genutztes Requisit. Einfach zwei Koffer als Stütze darunter geschoben, schon wird sie zur langen Tafel.

Und was ist mit den beliebten Streichen? Es herrschen ja strenge Klassenfahrtregeln: Bei drei Verstößen droht die Heimfahrt. Trotzdem befindet sich plötzlich Juckpulver in den Schuhen. Wer war’s? Karl ausnahmsweise nicht, der verhält sich vorbildlich, wo er doch im Vorjahr wegen ungebührlichen Benehmens abgeholt werden musste. Weshalb sein Vater diesmal vorsorglich mitfahren wollte. Aber nicht nur aus diesem Grund, ihm gefällt außerdem die Lehrerin sehr gut. Auch sie bekommt im Stück ihren eigenen Song: „Habt ihr es schon mit Grundschülern probiert?“ Das klingt ein bisschen verzweifelt. Aber eigentlich hat sie ihre Kleinen ziemlich lieb, auch wenn sie an ihren Nerven zerren.

Karl lässt sich von Tamis Bockigkeit nicht abschrecken. Er bleibt geduldig und gewinnt allmählich ihr Vertrauen. Bis sie beim spaßigen Arschbomben-Wettbewerb erneut aus der Reihe tanzt und bewusst provoziert. Nach einer witzigen Schlafanzug-Szene sind dann schließlich alle zu Freunden geworden. Das Premieren-Publikum wird auch vom „Schlaflied“ der Klasse nicht eingelullt. Es ist hellwach und feiert das Ensemble schließlich unter lautem Jubel.

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