Asphalt-Festival in Düsseldorf „Wir versuchen, über die Kunst zu verführen“

Interview | Düsseldorf · Zehn Jahre sommerliches Asphalt-Festival in Düsseldorf: Ein Gespräch mit den künstlerischen Leitern Bojan Vuletić und Christof Seeger-Zurmühlen über Verführung, eine neue Realität und Konzerte an Land und auf See.

 Christof Seeger-Zurmühlen (l.) und Bojan Vuletić sind für die künstlerische Leitung des Aspahlt-Festivals verantwortlich.

Christof Seeger-Zurmühlen (l.) und Bojan Vuletić sind für die künstlerische Leitung des Aspahlt-Festivals verantwortlich.

Foto: Asphalt Festival/Ralf Puder

In Ihrer Programmankündigung ist von einem „neuen Ton der Gegenwart“ die Rede. Wie klingt der?

Bojan Vuletić Im Ton der Gegenwart steckt zweierlei: der Zustand der Gesellschaft von heute und morgen einerseits und die Kunst innerhalb einer gesellschaftlichen Entwicklung andererseits.

Christof Seeger-Zurmühlen Der Ton ist grundsätzlich auch geprägt von Krisen, aktuell vom Krieg in der Ukraine. Im Kontext dieser großen Herausforderungen müssen wir uns darüber klar werden, was unser Auftrag ist als Raumöffner für Kultur, Dialog und Begegnung. Worüber wollen wir sprechen und worüber nicht.

Ist die Stimmung pessimistisch oder optimistisch?

Vuletić Ein Kunsterlebnis gibt einem Kraft. Wir müssen uns innerhalb der Gesellschaft bewegen und Kunst hervorbringen, die ein Echo hervorruft.

Ist das die Grundidee des Festivals, an der seit zehn Jahren nicht gerüttelt wird?

Vuletić Wir erfinden das Festival jedes Jahr neu, das ist ganz klar. Aber die Kernantriebspunkte sind geblieben: Wir glauben, dass Kunst und Kultur zentrale Bestandteile unseres Miteinanders sind.

Seeger-Zurmühlen Es geht immer um aktuelle Fragen und um aktuelle Ästhetiken. Dadurch entstehen die Leitlinien innerhalb des Programms. Hinzu kommt, dass uns die Spannung des Nicht-Fertigen interessiert. Unübliche Orte, in die man nicht nur eintritt, um zu rezipieren, sondern um sich so auseinanderzusetzen.

Welche Orte sind es dieses Mal?

Seeger-Zurmühlen Nachdem wir im vergangenen Jahr viel indoor im Theater gespielt haben, kehren wir in diesem Jahr zu unserem Grundgedanken zurück und gehen rein in die Stadt, raus aus dem Theater. Wir bauen eine Open-Air-Bühne auf dem Gelände der Alten Farbwerke, spielen im Weltkunstzimmer, in der Sammlung Philara, im K 21, dem Rheinbahn-Depot am Steinberg und auf der Seebühne.

Die Seebühne entstand während der Pandemie. Die Künstler stehen auf der schwimmenden Bühne im Schwanenspiegel, das Publikum sitzt an Land und trägt Kopfhörer. Idyllisch. Die Seebühne hat sich zu einem beliebten Place-to-be entwickelt.

Seeger-Zurmühlen Ja, und sie war keine Notlösung. Wir haben uns 2020 die Frage gestellt, wie wir in der Pandemie nah beieinander sein können. Das haben wir auf allen Ebenen durchdekliniert, auf der visuellen Ebene, der akustischen Ebene, auf der Begegnungs- und der Dialogebene.

Vuletić Wir haben uns in der Verantwortung gesehen, in dieser neuen Realität eine konstruktive Lösung zu finden. Es ist nie leicht, im öffentlichen Raum Räume für Kunst zu eröffnen. Aber es ist nun einmal der Raum, in dem wir alle leben. Wir haben 2020 und 2021 Tag und Nacht für ein spannendes Festival in der Pandemie gearbeitet. Denn wir spüren wirklich eine Verantwortung für die Künstler und für unser demokratisches Miteinander. Kunst und Kultur sind nicht einfach nur ein Nice-to-have.

Das Festival ist ein Sommerfestival. Wie wichtig ist der Sommer?

Vuletić Der Sommer spielt seit dem ersten Asphalt-Festival eine zentrale Rolle. Wenn die Stadt am schönsten ist und alle Theater und Konzerthäuser schließen, machen wir auf. Die spannende Frage ist, wie können wir die Menschen bewegen? Mental und physisch. In dem Augenblick, in dem man es schafft, dass die Menschen ihre Sesselposition aufgeben und Lust haben, aufzustehen, hat man gewonnen. Der Sommer hilft dabei.

Bilder des Tages aus Düsseldorf
87 Bilder

Bilder des Tages aus Düsseldorf

87 Bilder
Foto: dpa/Christoph Reichwein

Seeger-Zurmühlen Wir versuchen, einerseits über den Spielort und andererseits über die Kunst zu verführen. Der Lustgewinn ist uns sehr wichtig. Das ist an einer Seebühne besonders schön.

Es gibt zwei Veranstaltungen zur Ukraine. Ein Theaterstück und eine Lesung. Sie haben beide geplant, bevor Putin die Lage eskaliert hat. Das ist beinahe unheimlich.

Vuletić Das stimmt. Der erste Satz des neuen Stücks von Pièrre.Vers „Endstation fern von hier“ beginnt mit „Es war Krieg in der Ukraine“. Er bezieht sich natürlich auf 1942, der Satz erhält jedoch im aktuellen Kontext eine andere Bedeutung.

Ist das Festival je ausgefallen?

Seeger-Zurmühlen Es hat 2015 nicht stattgefunden, weil wir nicht gewusst haben, wie es weitergehen kann. Weil nicht klar war, ob Stadt und Land sich zu uns bekennen und uns mitfinanzieren. Das ist dann geschehen.

Wie viel Laborhaftes steckt im Asphalt-Festival?

Seeger-Zurmühlen Unsere Formate sind teilweise Experimente. Es gibt ganz viele Uraufführungen und Co-Produktionen, deren Ergebnis wir im Vorfeld nicht kennen. Das passt zu unserer Annahme, dass eine stetige Entwicklung innerhalb des Publikums existiert. Wir denken sehr stark darüber nach, mit welchen Formaten wir experimentieren können, sodass ein breites Publikum daran teilnehmen kann.

Vuletić Wir möchten das Denken in Zielgruppen aufbrechen. Wenn wir einen Förderantrag ausfüllen, sollen wir immer ein Zielpublikum definieren. Wir streichen das jedes Mal durch und schreiben „alle“ hin. Wir möchten ja, dass alle zu uns kommen.

Sie vermitteln explizit drastische Themen, und die Menschen kommen trotzdem. Gibt es wieder ein stärkeres Bedürfnis, existenzielle Bedeutsamkeit zu erfahren?

Vuletić Wir nehmen die Zuschauer ernst, und die Begegnung auf Augenhöhe führt im Umkehrschluss dazu, dass die Menschen an künstlerischen Arbeiten zu brennenden Themen interessiert sind. Wir merken das am Kaufverhalten: Die Zuschauer buchen oft nicht nur eine Veranstaltung, sondern gleich mehrere. Das sind Inszenierungen oder Konzerte, von denen sie oft noch nie gehört haben, die sie aber inhaltlich spannend finden. Das ist faszinierend.

Gefällt Ihnen persönlich alles, was Sie koproduzieren?

Seeger-Zurmühlen Wir stehen für neue künstlerische Impulse. Dass wir Räume eröffnen. Es kann ein tolles Konzept sein, muss aber nicht unseren Geschmack treffen. Was zählt, ist eine Zusammenführung von Impulsen, ohne dass die Zuschauer pädagogisch mit der Nase draufgestoßen werden.

Seit ein paar Jahren arbeiten Künstler verstärkt wie investigative Journalisten. Helge Schmidt und das Kollektiv Pièrre.Vers zum Beispiel, die beim Festival dabei sind. Woran liegt das?

Seeger-Zurmühlen Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Helge Schmidt oder Pièrre.Vers recherchieren teilweise zwei Jahre zu einem Thema. Dafür müssen Mittel bereitgestellt werden, damit die Künstler leben können. Das ist ja Arbeitszeit. Es ist wie beim Journalismus: Man sitzt vor einem weißen Blatt und hört erst einmal sehr lange Experten zu. Dann muss das in ein künstlerisches Format übersetzt werden. Das Ergebnis, das dann hervortritt, muss man nicht mögen. Aber man kann immer erkennen, dass sich da jemand konsequent in ein Thema hineinbegeben hat.

Zehn Jahre Asphalt-Festival , das ist ein kleines Jubiläum. Was gibt es Besonderes?

Seeger-Zurmühlen Wir werden in diesem Jahr eine Open-Air-Bühne auf dem Gelände der Alten Farbwerke an der Ronsdorfer Straße aufbauen. Vier Tage lang werden dort vor einem größeren Publikum Konzerte gespielt. Das haben wir noch nie gemacht. Wir möchten uns damit auch bei Stadt, Land und unseren Trägern bedanken.

Für die Zuschüsse…

Seeger-Zurmühlen Unsere Kommunikation läuft nicht nur übers Geld. Wir sind regelmäßig im Austausch über Inhalte. Deswegen haben wir auch nur ein paar ausgewählte Sponsoren. Wenn es inhaltlich nicht passt, lehnen wir Angebote ab. Das ist vorgekommen.

Das klassische Theater, wie wir es jahrelang erlebt haben, steht auf dem Prüfstand. Was heißt das und wie sieht das Theater der Zukunft aus?

Seeger-Zurmühlen Das Stadttheater ist in einer Zeit entstanden, als es noch Bildungsbürger gab und es zum guten Ton gehörte, ins Theater zu gehen. Jetzt stellt man fest: Wir haben lange Zeit Theater gemacht, das für viele Menschen offenbar gar keine Relevanz hat. Daher werden die großen Fragen gewälzt: Wer ist auf der Bühne, wer schreibt die Stücke, wer inszeniert für wen? Was sind die Themen und Sprachen? Wenn man das angeht, führt das zu Schmerz, weil es wehtut, gewachsene Strukturen aufzugeben. So wie beim Berliner Theatertreffen. Dort wurde eine Frauenquote eingeführt. Finde ich super. Man muss es so machen, denn es bringt eine Range an Perspektiven.

Vuletić Die freie Szene agiert mit einer anderen Agilität und Selbstverständlichkeit als ein Stadttheater. Das Problem ist jedoch, dass die Produktionen der Freien Szene meist nur bis zur Premiere gefördert werden. Es gibt viele großartige Arbeiten, die deswegen nicht weiter gezeigt werden können. Das kann doch nicht sein, wenn man bedenkt, dass wir alle mit unseren Steuergeldern die Kultur mitfinanzieren und diese nach Fertigstellung nicht gezeigt werden kann. Kultur muss für alle zugänglich sein. Das ist Teil unseres demokratischen Grundvertrages.

Was machen Sie anders?

Seeger-Zurmühlen Wir verstehen Theater bzw. Performing Arts als Übung in Demokratie. Das heißt auch, sich Kooperationspartner zu suchen, die sich mitten in der Gesellschaft bewegen. Mit unserem Theaterkollektiv Pierre.Vers arbeiten wir eng mit der Landeszentrale für politische Bildung zusammen und mit der Mahn- und Gedenkstätte. Wir spielen für Studierende, Polizisten und Schüler. Die Nachfrage ist extrem hoch.

Warum gelangen Schülerinnen und Studierende nicht von selbst ins Theater?

Seeger-Zurmühlen Es gibt Erhebungen, die sagen: Die größten Hürden, etwas nicht zu tun, sind etwas nicht zu verstehen oder sich zu langweilen.

Vuletić Bis in die 1990er-Jahre waren in unserer Demokratie Kultur und Bildung untrennbar miteinander verbunden. Jedes Kind musste mindestens ein oder zwei Mal im Jahr ins Theater. Das wurde irgendwann auseinanderdividiert. Kultur wurde zu Konsum reduziert. Wir haben vor ein paar Jahren für unser Stadtklavier-Projekt Klaviere gesucht. Ich hätte 50 Klaviere in einem Umkreis von 30 Kilometern einsammeln können, für 100 Euro das Stück. Instrumente waren einst zentraler Bestandteil eines bürgerlichen Haushalts. Jetzt brauchten die Leute die Klaviere nicht mehr und diese Symbole des Bildungsbürgertums landen in den Kleinanzeigen.

Seeger-Zurmühlen Vielleicht muss man Aufbruch radikaler denken.

Wie kann das gehen?

Impressionen vom "Asphalt"-Festival 2013
5 Bilder

Impressionen vom "Asphalt"-Festival 2013

5 Bilder
Foto: Claudia Sander

Seeger-Zurmühlen Wir versuchen durch die Parameter Raum, Inhalt und Thema klassische Setzungen vom Kulturbetrieb aufzubrechen. Ein gutes Beispiel ist „Dark Noon“ von Fix und Foxy, das es in diesem Jahr zu sehen gibt. Anfangs ist der Raum leer und das Publikum sitzt geordnet um die Bühne herum. Am Ende gibt es nur noch einen Haufen angedeuteter Räume und mittendrin die Zuschauer. Das Publikum nimmt sukzessive teil an der sogenannten Eroberung Amerikas durch den weißen Mann. Gleichzeitig ist es eine große Allegorie auf den Kolonialismus in Südafrika und den südafrikanischen Raum. Das Westerngenre wird stark persifliert. Es ist ein Spektakel, aber nicht um des Spektakels willen, sondern weil die Geschichte spektakulär war mit all ihren schmerzhaften Facetten, was durch eine satirische Brechung aufs Korn genommen wird.

Sie komponieren das Asphalt-Festival nach Handlungssträngen. Welche sind das in diesem Jahr?

Seeger-Zurmühlen In die Stadt hineinzuhören, bringt Konzepte hervor wie jetzt das Thema „Stadt der Freude“, bei dem wir uns mit Stadt und Verdrängung auseinandersetzen. Im Musikbereich haben wir „Resolution“ mit Konfliktparteien auf der Bühne, dann „Historification“, also die Beschäftigung mit der NS-Zeit in Düsseldorf.

2021 wurde in „Tanz“ von Florentina Holzinger einer Frau ein Metallhaken in die bloße Haut gejagt, an dem sie in die Luft gezogen wird. In diesem Jahr beschäftigt sich Doris Uhlig mit Schleim. Muss immer etwas Ekliges dabei sein?

Seeger-Zurmühlen Ja! Was ist denn Ekel? Positiv oder negativ? Was für Sie eklig war, war für viele andere tief spürbar. Doris Uhlig folgt einer zeitgenössischen Logik. Sie arbeitet mit Körpern, die nicht ins Raster passen, auch mit körperbehinderten Menschen. Sie stellt den Körper in seiner Natürlichkeit dar. Es geht nicht um Provokation oder Ekel. Hat es vielleicht als Begleiterscheinung. Aber wenn man den Künstlerinnen zuhört, erkennt man, dass es Ihnen um Empathie geht. Meine Schwiegermutter, die jetzt 80 Jahre alt ist, hat gesagt, nachdem sie „Tanz“ gesehen hat: „Das ist ja genial. Für diese Befreiung des Körpers haben wir schon in den 60er-Jahren gekämpft.“

Haben Sie schon mal überlegt, in eine andere Stadt zu expandieren?

Vuletić Es gab Anfragen und der Gedanke interessiert uns.

Seeger-Zurmühlen Jede Stadt hat ihre eigenen Gesetze. Du kannst in Essen oder Oberhausen nicht das Gleiche machen wie in München. Wenn man wirklich das Ohr an die Stadt legt, dann heißt es auch, sich darauf zu konzentrieren. Uns interessiert aber auch das Umland. Wir führen erste Gespräche dazu, wie man Kunst und Kultur in der Peripherie stärken kann.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Alles Theater
Was es am Düsseldorfer Schauspielhaus zu sehen gibt Alles Theater
Zum Thema
Aus dem Ressort