Düsseldorf Als Otto Dix für seine Tochter malte

Düsseldorf · Der Künstler fertigte Mitte der 1920er Jahre 14 großformatige Aquarelle an. Jahrzehntelang waren die Arbeiten versteckt, nun ist das "Bilderbuch für Hana" in der Düsseldorf Galerie Remmert und Barth zum ersten Mal zu sehen.

 Herbert Remmert mit einem der Aquarelle aus dem "Bilderbuch für Hana". Rund 20 Jahre hatte sich der Galerist mit seinem Kollegen Peter Barth um die Aquarelle bemüht. Nun werden sie erstmals ausgestellt.

Herbert Remmert mit einem der Aquarelle aus dem "Bilderbuch für Hana". Rund 20 Jahre hatte sich der Galerist mit seinem Kollegen Peter Barth um die Aquarelle bemüht. Nun werden sie erstmals ausgestellt.

Foto: Federico Gambarini

Jahrzehntelang war das Bilderbuch für das Mädchen Hana in einem Altaraufsatz versteckt. Gemalt hatte die bunten Aquarelle mit biblischen Szenen und Heiligenlegenden ausgerechnet Otto Dix, der Maler mit dem "bösen Blick". Über 20 Jahre warteten die Galeristen Herbert Remmert und Peter Barth geduldig, bis sie den als verschollen geltenden Kunstschatz heben durften. Nun haben sie es geschafft.

Dix wurde berühmt als kritischer Maler der Neuen Sachlichkeit mit beißend-zynischen Gesellschaftsporträts der Weimarer Zeit und apokalyptischen Szenen des Ersten Weltkriegs. Doch Otto Dix (1891-1969) hatte auch eine andere künstlerische Seite. Der meisterhafte Zeichner liebte Kinder, zeichnete für sie skurrile Tierbilder und schuf insgesamt sechs Bilderbücher.

Die Mappen waren Geschenke für seine drei eigenen Kinder und die ebenso geliebten Stiefkinder Hana und Martin, die seine Ehefrau Martha mit ihrem ersten Mann Hans Koch hatte. Das um 1925 entstandene "Bilderbuch für Hana" mit 14 farbprächtigen großformatigen Aquarellen ist nun nach rund 90 Jahren in Oberbayern wieder aufgetaucht. Während die Blätter der anderen fünf Dix-Bilderbücher schon längst einzeln verkauft wurden, ist das "Bilderbuch für Hana" als einziges noch komplett erhalten.

"Vor etwa 20 Jahren haben wir erstmals Kontakt zu Hana Koch bekommen", sagt Remmert. Doch schon davor hatten die beiden Galeristen, die auf den Expressionismus des jungen Rheinlands und die Künstler um die legendäre Galeristin Mutter Ey spezialisiert sind, versucht, Hana zu finden. In Murnau am Staffelsee spürten sie die Stieftochter von Dix Ende der 80er Jahre auf. Und das Warten begann.

Für eine Ausstellung über Hanas leiblichen Vater, den Düsseldorfer Urologen und Kunstsammler Hans Koch, der Dix einst von Dresden nach Düsseldorf gelockt hatte, hofften sie 1994 auf Hilfe. "Da brachte Hana Koch eines der Blätter aus dem Bilderbuch mit", sagt Remmert. Doch die Galeristen durften nur das eine Aquarell kurz ansehen, den Rest der Mappe verbarg die scheue und misstrauische Frau vor ihnen. Erst als Hana Koch 2006 starb, ließ ihre Tochter Olga sich erweichen.

Zunächst aber erregten zwei andere spektakuläre Funde aus Hana Kochs Sammlung Aufmerksamkeit: vier unbekannte frühe Aquarelle von Dix sowie eine Vorstudie zu dem verschollenen Hauptwerk von George Grosz, "Wintermärchen", bekamen die Galeristen ausgehändigt. Erst vor einem halben Jahr hielten sie schließlich das legendäre Bilderbuch in den Händen. Hana Koch habe die Mappe in einem geerbten Altaraufsatz aufbewahrt, sagt Remmert. Den Aufsatz habe sie als Nachtschränkchen für ihre Tochter Olga benutzt.

Überraschend ist, dass Otto Dix die bunten, fantasievollen Szenen um 1925 malte - kurze Zeit nach seinem bedrückend realistischen Radierzyklus "Der Krieg". "Dix ist nicht nur der brutale Maler, der die Schrecken des Krieges darstellt", sagt Remmert. "Ihn hat alles interessiert."

Etwa fünf Jahre alt war Hana, als Otto Dix, ein leidenschaftlicher Bibelleser, ihr das Bilderbuch schenkte. Kindlich-naiv sind die Aquarelle allerdings nur manchmal - etwa die lustigen rosa Putten, die den Titel des Bilderbuches aus ihrem Füllhorn schütten, oder Hana und Martin mit ihrem Vater und dessen neuer Ehefrau Maria als Ritterfamilie hoch zu Ross vor einem Schloss. Papa Koch hat das Helmvisier geöffnet und trägt Brille.

Dix mutete Hana aber auch angsteinflößende Motive zu: Die "Bremer Stadtmusikanten" stieren mit glühenden Augen in eine warme Stube. David massakriert Goliath mit dem Schwert. Der heilige Antonius ist umringt von hässlichen Fabelwesen mit breiten Mäulern und großen Klauen. Jonas im knallroten Pulli verschwindet im Maul des Wals in stürmisch-grauer See.

Das eindrucksvollste Bild aber sind die "Sieben Todsünden" als rosa-, gelb und orangefarbene monsterhafte Kopffüßler mit doch irgendwie liebenswerten Blicken. 1933 wird Dix das Thema wieder aufgreifen. Sein altmeisterliches Gemälde "Die sieben Todsünden" - der "Neid" trägt darauf einen Hitler-Bart - blieb auf der Staffelei zurück, als der von den Nazis verfemte Dix sich in die innere Emigration zurückzog.

Insgesamt dürfte der Wert des Bilderbuches um 1,5 Millionen Euro liegen, sagt Remmert. Erste Kaufinteressenten gebe es schon. Aber er will, dass alle 14 Bilder zusammenbleiben. Auch die Kunstsammlung NRW ist auf die meisterhaften Aquarelle aufmerksam geworden. Ab Februar 2017 wird sie das "Bilderbuch für Hana" in der großen Otto-Dix-Ausstellung "Der böse Blick" präsentieren.

(dpa)
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