Düsseldorfer Künstler Klaus Klinger Freiheit ohne Kompromiss

Düsseldorf · Der Künstler Klaus Klinger will mit seinen Kunstwerken den öffentlichen Raum zurückerobern.

 Klaus Klinger in seinem Atelier am Fürstenwall. Das Atelier allein würde ihm aber nie als Arbeitsplatz reichen .

Klaus Klinger in seinem Atelier am Fürstenwall. Das Atelier allein würde ihm aber nie als Arbeitsplatz reichen .

Foto: Andreas Bretz

Zur Begrüßung gibt Klaus Klinger nicht die Hand. Sie ist noch voller nasser blauer Farbe. Dass er bis gerade eben gemalt hat, riecht man schon beim ersten Schritt in sein Atelier in einem schattigen Hinterhof am Fürstenwall. Hier wächst Efeu aus der Decke, Farbeimer und Malutensilien bedecken den Boden, ein Klavier dient als Abstellplatz für ein Gemälde und wachsüberzogene Kerzenleuchter.

Doch dieser lichtdurchflutete, kühle Raum ist nicht Klingers bevorzugter Arbeitsplatz. „Ich könnte nie nur im Atelier sitzen und vor mich hinmalen“, sagt der 65-Jährige ruhig. Wenn er erzählt, sei es vom Kiffen im Internat, vom Wohnen im besetzten Haus oder vom Sinn des Lebens, wählt er seine Worte mit Bedacht. Und zu erzählen hat Klaus Klinger Einiges.

Aufgewachsen in einem 500-Seelen-Dorf im Oberbergischen Land, prägten starre Hierarchien und prügelnde Lehrer seine Kindheit. Als „Kontrolle total“ beschreibt er das Leben dort. Nur zu Hause regierte die Freiheit. „Mein Vater war immer unterwegs und meine Mutter arbeitete viel“, erzählt der Sohn eines Handelsvertreters und einer Krankenschwester. „Meine vier Geschwister und ich waren den ganzen Tag unterwegs, hatten eine freie, unabhängige Kindheit.“ Die Schule brach Klinger zwei Jahre vor dem Abitur ab. „Mir war früh klar, dass mein Leben zu wertvoll ist, um an Blödsinn verschwendet zu werden“, stellt er fest. Statt Dinge zu lernen, die er schon bald wieder vergessen würde, probierte Klinger herum und erkannte schnell, dass er nur als Künstler selbstbestimmt und kreativ arbeiten kann. So begann er 1973 sein Studium an der Düsseldorfer Kunstakademie. Mehr als von den Professoren lernte er von seinen Kommilitonen, mit denen er gemeinsam malte, diskutierte, feierte und wohnte, in einem besetzten Haus an der Grafenberg Allee. Dort wo heute – Ironie des Schicksals – das Arbeitsamt steht. „Das war eine lustige Zeit“, erinnert sich Klinger, „geheizt wurde mit Kachelöfen. Manche Wohnungen waren gut ausgestattet, in anderen stand die Toilette noch auf dem Flur.“

Der politische Diskurs fand schnell den Weg auf die Hauswände. Ein Freund Klingers drückte seinen Ärger über den Handschlag von Franz-Josef Strauß mit einem chilenischen Diktator in einem sechs Meter hohen Wandbild aus. Doch kurze Zeit später wurde das Werk überpinselt. „Das war der Urknall der Wandmal-Bewegung“, stellt Klinger rückblickend fest. Innerhalb von einem Jahr bemalten sie ihre gesamte Häuserreihe. 1977 gründeten die Künstler die Wandmalgruppe Düsseldorf, aus der zehn Jahre später der gemeinnützige Verein Farbfieber hervorging.

Bis heute haben die Künstler allein in Düsseldorf 65 Wände bemalt, von denen noch 45 erhalten sind. „Die Wandmalereien sollen zum Nachdenken anregen“, erklärt Klinger, „es geht um die Demokratisierung des öffentlichen Raumes, darum, die Städte und Plätze denen zurückzugeben, denen sie gehören.“ Eine lebenslange Mission. Bis heute bemalt er Häuser, wenn auch in Absprache mit den Hausbesitzern und gegen Bezahlung. Gleichzeitig organisiert Klinger Workshops mit Kindern und Jugendlichen, Street-Art-Festivals und Wandmal-Projekte mit Künstlern aus aller Welt. „Ich habe das Privileg, von meiner Leidenschaft leben zu können – doch im Luxus schwimme ich nicht“, sagt er. Seine Wohnung liegt direkt über dem Atelier. Bei der Frage, ob er dort allein lebe, zögert er lang. Eine langjährige Freundin, seine zwei erwachsenen Töchter und deren Kinder leisteten ihm regelmäßig Gesellschaft.

Trotz der überschaubaren Künstler-Rente ist er sicher, den richtigen Weg gegangen zu sein. „Mir in einem Büro sagen zu lassen, was ich zu tun habe – daran wäre entweder ich oder mein Vorgesetzter kaputt gegangen“, sagt Klinger und lacht schallend. Von Sinnfragen ist er deshalb aber nicht befreit. „Als Selbstständiger frage ich mich permanent: Was mache ich aus meinen Fähigkeiten? Was bringt es, noch ein Wandbild malen?“, sagt er und blickt nachdenklich auf seine Hände, auf denen die Farbe mittlerweile getrocknet ist. „Aber das macht Leben aus. Ich könnte mich auch zurücklehnen – aber das würde doch heißen, aufzuhören zu leben.“

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