Düsseldorf Krahestraße-Täter untergetaucht

Düsseldorf · Heinz Nieder, der Mann, der mit einer Gasexplosion an der Krahestraße sechs Menschen getötet hat, wird per Haftbefehl gesucht. Gestern hätte er seine lebenslange Strafe antreten sollen. Vor dreieinhalb Jahren kam er auf freien Fuß. Kurz danach ist er unbekannt verzogen.

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Foto: RP, Andreas Probst

Eine knappe Dreiviertelstunde dauert der Besuch der beiden Polizeibeamten in dem schmucken Einfamilienhaus in Rommerskirchen. Dort war Heinz Nieder gemeldet, seit er aus der Haft entlassen wurde. Dann steht für die Fahnder zweifelsfrei fest: "Hier ist er schon lange nicht mehr gewesen."

Dreieinhalb Jahre hat die Hausbesitzerin, eine langjährige Bekannte Nieders, den Mann nicht mehr gesehen. Der hatte sich im Dezember 2005 hilfesuchend an sie gewandt. "Es war kurz vor Weihnachten, er brauchte innerhalb einer Stunde eine Unterkunft — da habe ich geholfen", sagt die Frau, die ohnehin nie hatte glauben können, dass Nieder schuld am Tod der sechs Menschen ist, die bei der nächtlichen Explosion des Mietshauses an der Krahestraße 1997 gestorben sind.

Ein paar Wochen blieb der gerade Entlassene. In Gesprächen beteuerte er immer wieder seine Unschuld und besorgte sich mit der Adresse der Bekannten Führerschein und andere Dokumente. "Dann zog er aus. Vermutlich zu seiner Mutter."

Als die Polizei mit dem frisch ausgestellten Haftbefehl gegen Nieder vor der Haustür steht, reagiert die Frau sauer: "Hätte sich früher mal jemand von der Justiz erkundigt, wäre uns das erspart geblieben."

Für Erkundigungen habe es keine Rechtsgrundlage gegeben, seit das Bundesverfassungsgericht im Dezember 2005 den Haftbefehl gegen Nieder aufgehoben hatte. "Er erschien pünktlich zu jedem Prozesstag, reagierte auf Post an diese Anschrift — und er war nach Aufhebung des Haftbefehls ein freier Mann", erklärt Staatsanwalt Christoph Kumpa.

"Handwerkliche Fehler"

Auch das Landgericht Duisburg, das Nieder im März 2008 zur Höchststrafe verurteilt hatte, sah keinen Grund zum Einschreiten. Für einen Haftbefehl habe es keinerlei Grundlage gegeben, da dieses Urteil ja nicht sofort rechtskräftig wurde, so ein Gerichtssprecher gestern. Erneut U-Haft gegen Nieder zu verhängen, sei aussichtslos gewesen — angesichts der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Nieder hätte sofort Beschwerde einlegen können und wäre vermutlich erneut auf freien Fuß gekommen. Und (Melde-)Auflagen hätte man ihm nur erteilen können, falls ein neuer U-Haft-Befehl ausgesetzt worden wäre. Den gab es aber gar nicht erst.

Dass die Justiz sich bei Knöllchen-Sündern gnadenlos zeige, sich bei einem Sechsfach-Mörder aber mit ihren Formalien im Kreise dreht — das ist auch für Rüdiger Spormann, Ex-Staatsanwalt und jetzt Lehrbeauftragter für Strafrecht an der Uni Düsseldorf, "nur schwer zu verstehen". Der renommierte Strafverteidiger gibt aber zu bedenken, dass ja "handwerkliche Fehler bei den Gerichten passiert sind, die diesen Jetzt-Zustand überhaupt erst geschaffen haben".

Heißt im Klartext: Hätten die Richter von zwei Düsseldorfer Schwurgerichtskammern im Vorfeld ihre Arbeit anstandslos getan, wäre es nicht zu so massiven Verzögerungen in dem gesamten Krahestraße-Verfahren gekommen — und die Frage der Freilassung eines sechsfach Mordverdächtigen hätte sich auch dem Bundesverfassungsgericht nie gestellt.

Konsequenzen wird Heinz Nieders Nichterscheinen in der JVA Hagen jetzt aber nicht haben. "Eine Strafe nicht anzutreten, ist in den Augen des Gesetzgebers keine Straftat", so Kumpa, der Nieder seit gestern Morgen per Haftbefehl suchen lässt. "Wir haben einige Ansatzpunkte für die Fahndung", sagt der Staatsanwalt vorsichtig — der Flüchtige soll nicht gewarnt werden. Mit Nieders Anwalt habe es gestern keine Kontakte gegeben. Auch auf Anfrage unserer Zeitung war der Nieder-Anwalt nicht zu erreichen.

(RP)
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