Kirmes in Düsseldorf Wahrsage-Test: „Danke, Medusa! Sie haben mir sehr geholfen!“

Düsseldorf · Unser Reporter hat sich von Madame Medusa auf der Kirmes aus der Hand lesen lassen. Über seine Zukunft weiß er nicht unbedingt besser Bescheid. Doch dafür gewann er viele andere Erkenntnisse.

Wir sitzen in ihrem Wohnwagen, in dem es angenehm kühl ist. Keine Hexerei, eine Klimaanlage sei der Grund, sagt Bianka Lemoine, die wir von nun an besser Medusa nennen. Nur so, nicht aus Aberglauben, es schadet ja nicht.

Medusa ist natürlich ein seltsamer Name für eine Wahrsagerin. Nicht gerade vertrauenserweckend, war Medusa doch ein Monster, eine von drei Gorgonen der griechischen Mythologie, deren Anblick Männer zu Stein erstarren ließ, und die selbst nach ihrer Enthauptung durch Perseus noch Titanen in Gebirge verwandelte. Madame hat den Namen von ihrer Mutter übernommen. "Schlechtes, sag ich nicht", sagt Medusa.

Es gibt Bilder ihrer Mutter in dem Wohnwagen. Mal sind sie eingeschweißt in Plastik, als Teil vergilbter Zeitungsartikel, eins allerdings ist auf den Wohnwagen gemalt. Eine eher kindlich-naive Malerei aus den Siebzigern, eine Frau mit Rasta-Locken liest einem Mädchen aus der Hand. Medusa I. gab der Lokalpresse Interviews, in denen sie von ihrer Großmutter erzählte, die Voodoo-Priesterin gewesen sei. Sie ist mit Völkerschauen durch Deutschland gereist, sagt Medusa II.

Paillettenkleid und Zeigestab

Die Erb-Theorie ist Medusa sehr wichtig. Ihre Urgroßmutter hatte die Gabe, ihre Mutter, sie selbst, ihre Tochter hingegen hat sie nicht, doch hofft sie sehr auf ihre Enkelin. Da sei schon was, sagt Medusa. Sie trägt ein goldenes Paillettenkleid, schwarzen Samtrock und Ohrschmuck mit Federn, nimmt einen Zeigestab, mit dem ihre Großmutter wahrscheinlich schon die Handlinien ihrer Kunden gedeutet hat. Kristallkugeln bündeln übrigens nur Energie, man sieht nichts in ihnen.

"Du hast gute Linien. Gesundheitlich musst du ein bisschen mit Stress aufpassen, aber du bist gut drauf. Du bist ein robuster Kerl", sagt Medusa und fügt hinzu: "Ich sehe da nichts Schwerwiegendes." Mich verwundert das letztgenannte angesichts meiner — euphemistisch gesagt — stattlichen Statur nun doch sehr. Ich nicke stumm. Medusa lächelt zufrieden.

Warum Menschen sich aus der Hand lesen lassen, weiß Medusa natürlich nicht. Allerdings weiß sie, was die Leute wann interessiert. Die jungen Mädchen wollen wissen, ob sie ihr Freund liebt, ob und wie viele Kinder sie bekommen, ob sie glücklich werden. Die mittelalten Frauen wollen wissen, wie es den Kindern ergeht, ob das Geld reicht, ob sie einen Kredit aufnehmen sollen, sich noch einmal verlieben. Die alten Frauen hingegen wollen über Krankheiten reden, den Tod. Medusa sagt, sie könne Antworten geben, dass sie einem Paar, das gerne ein Kind wollte, sagte, dass es eins bekommen werde, und im nächsten Jahr sei das Paar dann samt Baby wieder zu ihr gekommen, um ihr zu danken. Medusa macht eine bedeutungsschwangere Pause. Für mich hört sich das nicht sonderlich gruselig an, aber gut.

"Du wirst deinen Weg machen im Beruf. Du wirst noch aufsteigen und mehr Geld verdienen. Ich sehe noch einen Ortswechsel oder eine Veränderung. Das wird aber positiv sein. Finanziell sehe ich gute Ablagen bei Dir", sagt Medusa. "Ich kann aber überhaupt nicht mit Geld umgehen, und mir fehlt jeglicher Ehrgeiz, Karriere zu machen", sage ich, was nicht ganz wahr ist, aber gut. Medusa sagt, das könnte auch auf eine Erbschaft oder einen Gewinn hindeuten, ich habe beruflich und finanziell jedenfalls beste Aussichten, freuen solle ich mich. Ich freue mich.

Viele Stammkunden kommen

Medusa stammt aus einer Schausteller-Familie und aus einer Künstler-Familie, der Familie Traber, eine der bekanntesten Artisten-Familien Europas. Bevor ihre Mutter sie lehrte, die Gabe zu gebrauchen, war sie Seiltänzerin. Als Kind schon fuhr sie durch Deutschland, Italien, Spanien, ging hier und dort zur Schule, verbrachte eine "schöne Kindheit", die nicht von Reichtum, aber durchaus von Wohlstand geprägt war. Auch ihre Kinder sind Künstler geworden. Vier Söhne, eine Tochter.

Die Söhne sind alle bei der "Bigfoot-Show", die im Moment in Norwegen Stunts mit Monster-Trucks vorführt, von Ort zu Ort fährt. Die Tochter ist Artistin, verheiratet mit dem Jongleur im Phantasialand, Patrick Lemoine. Zurzeit komme sie zurecht, wie viele Kunden sie hat, sagt sie nicht. Stammkunden machen einen Großteil des Geschäfts aus. Prominente kämen auch, ach, wer hier schon in ihrem Wohnwagen gesessen und sich beraten hat lassen — sie nennt keine Namen. Sie wolle daraus keinen Profit schlagen, sagt sie. Und außerdem seien vor ihr alle Menschen gleich. Wenn Medusa ihren Wohnwagen mal verlässt, dann hängt sie ein Schild mit ihrer Handynummer an die Tür. Man muss nicht lange warten, dann kommt sie.

"Ich sehe mehr als ein Kind für dich, hast du Kinder?"

"Ja, zwei", antworte ich.

"Na siehst du! Wenn du ein drittes willst, das könnte klappen. Du musst mehr auf deine Frau zugehen, sei aufmerksamer, aber eigentlich machst du das ja. Sie liebt dich sehr. Bist du verheiratet?", fragt sie. Ich deute auf meinen Ehering, "Ach, den hab ich gar nicht gesehen."

Die Leute erwarten Beratung, wenn sie zu ihr kommen. Es geht oft um konkrete Probleme. Sie hilft auch, indem sie die Karten interpretiert, die ihr Kunde selbst legen muss. Die Menschen erzählen ihr auch sehr private Dinge. Der Wohnwagen wird dann zur Therapeuten-Praxis. Im Sommer ist sie immer unterwegs, im Winter kommt die ganze Familie in der Nähe von Aachen zusammen. Einsam sei sie nicht in ihrem Wohnwagen. Ob ich noch was wissen will? Eigentlich nicht.

Ich darf mir aus einem Korb einen Glücksstein aussuchen. Ich bin ein wenig unsicher, Medusa lacht. Sie möge mich, weil ich einem ihrer Söhne ähnele, sagt sie zum Abschied. Sie ist über 70 Jahre alt nun.

Zwei Mädchen stehen vor dem Wohnwagen. Sie warten, bis wir fertig sind, "zwei Kinder will ich", sagt die eine, "einen Jungen und ein Mädchen". An Medusa wird das nicht scheitern.

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