Düsseldorf Das Leben ist ja ein Rummelplatz - ein Tag auf der Kirmes

Düsseldorf · Am Morgen gehört der Platz den Schaustellern, am Abend wird es bunt. Dazwischen sind Kinder, Eltern und Großeltern, und alle, die auf der Suche nach ein bisschen Spaß sind. Das kann lustig sein und manchmal auch traurig, aber immer schön.

 Blick über den Kirmesplatz Richtung Oberkasseler Brücke: Das Publikum wechselt im Laufe eines Tages. Am Morgen gehört der Platz noch den Schaustellern, dann kommen Eltern mit kleinen Kindern, die Kinder werden immer größer. Am Nachmittag schließlich beherrschen die Jugendlichen die Kirmes. Abends aber ist Platz für das Partyvolk. Rechts am Pink Monday.

Blick über den Kirmesplatz Richtung Oberkasseler Brücke: Das Publikum wechselt im Laufe eines Tages. Am Morgen gehört der Platz noch den Schaustellern, dann kommen Eltern mit kleinen Kindern, die Kinder werden immer größer. Am Nachmittag schließlich beherrschen die Jugendlichen die Kirmes. Abends aber ist Platz für das Partyvolk. Rechts am Pink Monday.

Foto: Andreas Bretz

Der Morgen gehört den Schaustellern. In Gruppen sieht man sie über den fast leeren Kirmesplatz gehen Richtung Luegallee, man trifft sie in Supermärkten und Bäckereien. Wer dort in Flip-Flops an der Verkaufstheke steht, 30 Brötchen oder mehr bestellt und das Geld lose aus der Jogginghose kramt, der gehört zu ihnen, da kann man sicher sein. Sie schieben keine 1500 Euro teuren Kinderwagen über den Bürgersteig, parken nicht in der zweiten Reihe.

Sie machen sich zu Fuß auf den Weg in ihre Wohnwagen, wo der Kaffee bereits durch die Maschinen läuft, beste Lage Düsseldorfs, bester Blick für zehn Tage, den sie am Morgen nur mit den Menschen teilen, die ihre Hunde ausführen, mit ein paar Joggern, und natürlich mit den Rentnern. Die tragen inzwischen keine Schiebermützen mehr, oder Hüte wie früher, sondern die Baseballkappen der Sportartikel-Hersteller wie jeder. Sie werden von der Nackenfalte gehalten. Kaffee ist fertig.

Auf dem Kirmesplatz verdichtet sich ja das Leben. Es ist so, wie eine Bratwurstverkäuferin sagt, "hier gibt es alles". Sie lädt Pakete aus einem Lieferwagen, Öl, Würste, Servietten, am Tag nach dem Finale in Rio, der aus Schausteller-Sicht ein verlorener Tag war. Das drückt auf die Stimmung, klar, doch eine Woche bleibt ja noch, um einen guten Schnitt zu machen, zumal wenigstens die Zelte, in denen das Spiel übertragen wurde, voll waren.

Im Schlösser-Zelt wird auch schon wieder aufgebaut, Bons von gestern sortiert bei Kaffee, ohne Hektik, weil man mit seinen Kräften haushalten muss. "Wir arbeiten in der Saison 20 Stunden täglich", sagt die Betreiberin des Zeltes. Sie macht auch Schützenfeste, Karneval, keine Weihnachtsmärkte. Sie hat das als Kind schon kennengelernt, demnächst steigen Tochter und Schwiegersohn voll mit ein. Man braucht ja jemanden, dem man vertrauen kann. 3500 Menschen trinken und feiern hier abends, zahlen mit Bargeld - irgendwer muss das Bargeld an sich nehmen, irgendwann, doch reden wir lieber nicht mehr davon, langsam kommen ja auch die ersten Besucher. Großeltern, die ihren Enkelkindern den Magen verderben, weil sie nicht mehr richtig "Nein" sagen können und Gruppen von jungen Müttern, die Buggys vor sich herschieben.

In denen sitzen hektische Ein- oder Zweijährige, denen man ansieht, dass sie sich diesmal nicht mit dem mundgerecht geschnittenen Apfelschnitzeln aus der Plastikdose zufrieden geben werden, diesmal nicht! Es duftet nach Mandeln, Lebkuchen, Eis, der Himmel hängt voller Zuckerstangen und Babyfläschchen, die das böse Pendant der Zahnfee mit bunten Liebesperlen bestückt hat.

 Am Nachmittag schließlich beherrschen die Jugendlichen die Kirmes. Abends aber ist Platz für das Partyvolk. Rechts am Pink Monday.

Am Nachmittag schließlich beherrschen die Jugendlichen die Kirmes. Abends aber ist Platz für das Partyvolk. Rechts am Pink Monday.

Foto: Andreas Bretz

"Wir kennen uns vom Babyschwimmen", sagt eine von drei Frauen, die diese seltsame Gemeinschaft bilden: Stetig lächelnde Waffenschwestern. Früher traf man sich abends mit Freunden, heute mit irgendwelchen Fremden, die zufällig in der gleichen Situation sind wie man selbst. Kinderkriegen ist wie zum Militär eingezogen zu werden. Nur mit Frauen. Ein Ausflug auf die Kirmes ist ein Manöver, wenn nicht gar eine Schlacht.

Mehr Kinder, mehr Frauen, die Kinder werden älter. Vereinzelt sind sogar Männer da, die sich am Rand des Kinderkarussells heiser schreien, "Sitzen bleiben! Bleib sitzen! Wir gehen sofort wieder, wenn du nicht sitzen bleibst!" Ängstliche Typen fahren gleich mit dem Kind mit. Ein Zwei-Meter- Mann sitzt im Schweinsteiger-Trikot auf einem Plastikelefanten und drückt permanent die Hupe. Ist der eigentlich auch Weltmeister?

Fotos, Filme mit Handykameras, Erinnerungen, die man früher in Alben einklebte. Immer schon lebte Kirmes von der Nostalgie-Sehnsucht der Menschen, was wahrscheinlich auch der Grund für die Musikauswahl der Fahrgeschäfte ist. Euro-Trash aus den Neunzigern, vermischt mit Schlager und dem vermeintlich Besten der Achtziger, ein bisschen Ballermann. Das Ganze präsentiert sich in diesem wohl bekanntem Dorfdisco-Sound - Nostalgie pur. Irgendwann wird ein amerikanischer Hip-Hop-Produzent wahrscheinlich schweinereich mit diesem Sound, Nostalgie ist ja das beste Verkaufsargument zurzeit. Große Ereignisse werden danach bewertet, wie gut man später davon seinen noch nicht vorhandenen Enkelkindern erzählen kann, insofern ist es eigentlich auch unverständlich, warum das Fotoschießen auf der Kirmes damit wirbt, Digitalbilder auszudrucken. Was ist mit den Polaroids? Mit Polaroids wäre die Bude eine Goldgrube..

Sowieso: Die Schießbude lockt niemanden mehr richtig, was auch an der antimilitaristischen Haltung des neuen Bürgertums liegen mag. Früher machte man sich einfach weniger Gedanken, wenn picklige 13-Jährige in Schwarz ihr Jahrestaschengeld sparten, um leise schimpfend an der Bude eine schier unendliche Anzahl kleiner Schraubendreher abzuknallen. Vielleicht ist die mangelnde Anziehungskraft der Schießbude aber auch ein Phänomen der Konsolenzockerzeit. Wer in GTA 5 mit vollautomatischen Sturmgewehren und dem Fuß auf dem Gas nächtelang halb Los Angeles auslöscht, der empfindet kein Prickeln mehr, wenn er mit dem Luftgewehr aus fünf Metern auf Tonröhrchen pustet. Belebt ist hingegen der Stand, an dem man Plastik-Frösche in Seerosen katapultieren kann. Das ist ja fast wie Angry Birds, nur in echt und mit Fröschen eben.

Vielleicht rührt die Faszination der kleinen Menschen fürs Entchenangeln ja auch daher. Auf jeden Fall ist dort die Hölle los. Ein Mädchen sagt, das Schöne am Entenangeln sei, dass man immer was gewinnt. Und vielleicht hat es ja recht. Eigentlich verlieren kleine Menschen ja immer, fast alle sind größer als sie, sie fallen hin, können nicht so weit werfen, Fußball spielen, müssen früh ins Bett. Ein Kind muss aber unendlich oft verlieren, um als Erwachsener nach Niederlagen wieder aufzustehen, weiterzumachen. Aufstehen ist ein geübter Automatismus, keine Entscheidung. Wenn Schweini am Montag nachgedacht hätte, wäre er nach dem Cut liegengeblieben. Pädagogisch gesehen ist Entenangeln ein Witz. Immerhin reißen es die Gewinne raus. Blonde Püppchen, Zauberstäbe und Feendiademe, die sich schon beim Aufreißen der Verpackung auf atomarer Ebene selbst spalten. Das Zeug ist eigentlich ein Fall für die Atomaufsichtsbehörde. Weinende Kinder, die noch einmal Entenangeln wollen im Umkreis von 50 Metern. So soll es sein. Sie kriegen ein Eis, einen Slusher, eine Wurst.

Eine alte Frau isst Backfisch, "immer", wenn sie auf die Kirmes geht, seit Jahrzehnten schon. Und ein Mann kauft sich "immer" ein Kirmes-Eis mit Schokoüberzug. Kirmesgänger lieben Rituale, jeder hat sein eigenes.

Der Mann mag das Eis eigentlich nicht so gern, aber sein Vater, der jetzt im Pflegeheim lebt, hat es immer so gemacht. Damals war er noch ein Kind, sagt er, der Vater noch kräftig, ein Eisenbahner, der viel unterwegs war, aber einmal im Jahr mit den Söhnen nach Oberkassel kam. Kettenkarussell fahren. Pfeile werfen, Auto-Scooter fahren und eben Eis essen. "Inzwischen kann er sich nicht mehr an den Namen seiner Frau erinnern", sagt der Sohn. "Beschissen ist das", fügt er hinzu. Das Sahneeis schmilzt schnell in der Sonne, es läuft über den Handrücken ins Hemd hinein. Der Mann leckt es ab, wie ein Junge. Wenn nur alles so einfach wäre.

Langsam wird es Abend, die Kinder gehen oder werden schlafend geschoben, Schützen wanken nach Hause, Jogger sind auch wieder da. Mit Einsetzen der Dämmerung gehen die Lichter am "Power Tower" an, der in ästhetischer Hinsicht den Charme einer griechischen Industriebrache allmählich ablegt und zur blinkenden Schönheit mutiert. Wild ist die Alpina-Bahn, die Tonga-Schaukel, die Raupe, in der A&F-Jugendliche zitternd Kontakt zu ihren Size-Zero-Mädchen suchen. Mit derGleichmäßigkeit eines Uhrwerks dreht sich das Riesenrad.

Die Zeit des Kollegen-Ausflugs beginnt, größere Gruppen, von denen die Hälfte immer auf dem Sprung zu sein scheint. Fünf Männer und eine Frau stehen an einem Tisch in der Alpenwelt, einer bestellt, ohne die anderen zu fragen, was sie wollen, und drückt der Bedienung das Geld in die Hand. Er redet, man hört zu, dann langes Schweigen, nippen, lächeln. Bis er die Stille am Tisch wirklich nicht mehr mit der Lautstärke der Musik erklären kann. Der Chef sucht das Einzelgespräch mit der Frau. Die nickt, die anderen sehen einer sehr betrunkenen Frau zu, die versucht auf die Bühne zu kommen, von den Ordnern aber freundlich abgewiesen wird. Nun drängt das Partyvolk, auch, im Füchschen-Zelt ist die Hölle los, Pink Monday, die Anzahl der Fußballtrikots sinkt mit jeder Minute. Die Schwarzwaldchristel wechselt auf deutlich bessere Musik. Ein letztes "So sehen Sieger aus" kommt aus dem Schumacher-Zelt, bevor die Kirmes in ihre bunteste, hellste Phase kommt: die Nacht.

(RP)
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