Düsseldorf Der Sound der Kirmes

Düsseldorf · Autoscooter-Techno, Losbuden-Lockrufe und Achterbahn-Schreie bestimmen das Klangbild.

Größte Kirmes am Rhein: Der Sound der Kirmes
Foto: Hans-Jürgen Bauer

Wer an diesen letzten Kirmestagen für ein paar Stündchen die Wirklichkeit vergessen machen möchte, sollte zu Fuß über die Rheinkniebrücke kommen. Der Rummel liegt von der anderen Flussseite betrachtet noch stumm da, das Riesenrad auf der einen und die Wasserbahn auf der anderen Seite begrenzen den Trubel.

Mit jedem Schritt steigert sich die Vorfreude, bald zeichnet sich das Kettenkarussell ab, irgendwann sind dann zunächst die Klänge aus dem Schützenfestzelt zu hören, man tritt aus dem Alltag über eine Schwelle. Auf der anderen Seite steht die Welt im Fünffach-Looping auf dem Kopf. Das Rattern der Achterbahn-Waggons und die lustvollen Schreie sind der Soundtrack zur Grenzüberschreitung.

Die Kirmes ist bunter als der Alltag, und vor allem ist sie lauter, das Leben dort ist wie ein Rausch. Der Lärm ist ohrenbetäubend. Da sind die kurzen Sätze, mit denen sich die Besucher verständigen, weil ein Gespräch kaum zustande kommt. Es gibt die Lockrufe der Rekommandeure, die die nächste Fahrt anpreisen oder "tolle Gewinne" versprechen. Da sind die Songs, bei jeder Attraktion sind es andere, sie klingen alle gleich. Es gibt drei Arten: die Pophits, die jeder kennt und die das Herz klopfen lassen. Die Schlager, die beschwören, dass alles noch besser wird. Und den Techno, der den Rummel mit 140 Schlägen pro Minute beschleunigt. In der Enge sind die Songs zum Brei verrührt. Es ist so, als würde man aus allem, was dick macht, aber gut schmeckt, das beste Gericht kochen: einen Pommes-Pizza-Döner, ohne Salat.

Am "Diamond"-Autoscooter, dessen Fahrbahn einer Tanzfläche ähnelt, spielen sie alles. Mittags, wenn die Großeltern mit den Enkeln kommen, gibt es Helene Fischer und Marianne Rosenberg, erzählt Chefin Dagmar Osselmann. Früh am Abend ziehen sie das Tempo mit dem "Cola Song" von der rumänischen Sängerin Inna an. Und in der Nacht spielen sie den neuesten Techno-Remix, sie haben einen "DJ Tom", der ihnen die Songs zusammenstellt und alle paar Monate neue vorbeibringt.

Darum zieht es die Besucher auf die Rheinkirmes
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Darum zieht es die Besucher auf die Rheinkirmes

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Die Musikordner auf dem Computer im Kassenhäuschen heißen "Affenstark", "Wolfgang Petry Alles" und "Daggy Privat". Letzteren spielt Dagmar Osselmann aus, wenn Sarah und Nina nicht am Platz sind. Das sind ihre Töchter, die der Mutter die Musik abspielbereit vorbereiten. "Manchmal ist mir das zu viel Bumbum", sagt Osselmann, die gerne Udo Jürgens hört. Aber es komme gut an. "Wichtig ist, dass die Leute stehenbleiben", sagt Sarah Osselmann. Die Musik entscheide über den Betrieb auf der "Platte".

Es gibt auch Songs, die erst in größter Erregung ausgespielt werden und die Sekunden minutenlang dehnen. Auf dem "Hangover"-Turm spielen sie vorm freien Fall "In the Air tonight" von Phil Collins. Und aus dem Schlösser-Zelt dröhnen zur letzten Runde die Toten Hosen aus den Lautsprechern, denn an Tagen wie diesen wünscht man sich Unendlichkeit. Um zwei Uhr nachts ist spätestens Schluss, damit die Nachbarn Ruhe haben. Zu später Stunde kommt es allerdings auch vor, dass Schreihälse zu Streithähnen werden. Zum Heulen der Sirenen eilen Polizisten über den Festplatz.

Bei Peter Wilmering ist alles gut. "Das ist klasse hier, Freunde!", ruft er. "Die Supergewinnbude! Das Glückshaus, Freunde!" "Glückshaus" - so heißt die Losbude nahe des Riesenrads, für die Wilmering rekommandiert. Seit 33 Jahren macht er den Job, wenn jemand kommt und seine Lose vorzeigt, ruft er: "Wunderbar, mit Dir kann man arbeiten!"

Viele Sprüche kann er in- und auswendig. Manches komme auch spontan, sagt er. Als ein Stammkunde vorbeikommt, fragt Wilmering durch die Lautsprecheranlage, wo denn dessen Frau stecke. Der Mann deutet mit dem Finger: Die Frau kaufe gerade Lose. Später wird sie sich vielleicht einen Kuschelbären oder ein Raclette-Gerät aussuchen, falls ihr das Losglück hold ist. Ihren Gewinn wird sie über die Brücke tragen. Mit Sausen in den Ohren.

(RP)
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