Interview mit Jacques Tilly "Wagenbauen ist mein Leben"

Düsseldorf · 1983 hat er erstmals für den Rosenmontagszug gearbeitet, heute ist Jacques Tilly der am meisten beachtete Satiriker im deutschen Karneval.

 „Wir haben nur zehn Wagen, da muss jeder Schuss sitzen“, sagt Jacques Tilly.

„Wir haben nur zehn Wagen, da muss jeder Schuss sitzen“, sagt Jacques Tilly.

Foto: Endermann, Andreas

Ein Gespräch über Anfänge mit fliegenden Stühlen und Ziele, die etwas mit Köln zu tun haben.

Wie sind Sie 1983 zum Wagenbauen gekommen?

Jacques Tilly Als ich anfing zu studieren und sah, wie dick der Packen Bafög-Unterlagen war, habe ich sie in den Papierkorb geschmissen und mir lieber einen Job gesucht. Ein Schulfreund hat mich mit in die Wagenbauhalle genommen. Damals war das nur ein Broterwerb, ich hätte nicht im Traum daran gedacht, dass ich lebenslänglich kriege.

Was war auf Ihrem ersten Wagen zu sehen?

Tilly Es ging um Helmut Kohl. Wie damals eigentlich immer. Man hat entweder Kohl oder Strauß gebaut, zu unterscheiden waren sie oft nur durch die Brille.

Wie hat sich Ihre Arbeit seitdem verändert?

Tilly Ich kann mit Glück sagen, dass sich alles in allen Bereichen verbessert hat. Sonst würden Sie jetzt mit jemandem anderes reden. Wir hatten damals an der Fischerstraße nur sechs Wochen Zeit, heute haben wir in der Wagenbauhalle das ganze Jahr Zeit. Damals war das Verhältnis zwischen den Künstlern und den Karnevalisten, sagen wir es vorsichtig, dissonant. Damals dröhnte von morgens bis abends Karnevalsmusik aus den Boxen, das war wie in China 1950. Wir haben irgendwann mit Stühlen nach den Boxen geworfen oder versucht, die Kabel durchzuschneiden. Zugleiter Hermann Schmitz war derjenige, der das Eis gebrochen hat. Er war der erste, der sich zu uns an den Tisch gesetzt hat.

Wie hat sich die Satire in den 30 Jahren entwickelt?

Tilly Am Anfang gab es starke Einschränkungen durch den Bund der Deutschen Karnevalisten. Religion, Krieg, Leid - alles war verboten und damit 80 Prozent der weltpolitischen Themen von vornherein ausgeschlossen. Hermann Schmitz und Jürgen Rieck haben die Schmerzgrenze Schritt für Schritt erweitert, heute ist dank ihnen quasi alles möglich. Das macht es für mich aber auch nicht immer einfacher.

Warum nicht?

Tilly Weil ich viele Entwürfe auch wieder zurückbekomme mit dem Hinweis, zu harmlos, der kann in Köln fahren, aber nicht hier? Dann muss ich nachsitzen, bis die Satire wirklich trifft. Früher galt die Aufmerksamkeit vor allem den Wagen der Gesellschaften, heute sind es die politischen Mottowagen.

Wann ist es dazu gekommen?

Tilly 2003 haben wir einen Wagen gebaut mit Saddam Hussein und George Bush als Kuschelpärchen im Bett. Der Wagen war am Anfang der Tagesthemen zu sehen und am nächsten Tag fast auf jeder Titelseite. Seitdem genießen unsere Wagen einen recht guten Ruf. Ich habe mir im vergangenen Jahr mal angeguckt, wie das international wahrgenommen wird. Das ist unglaublich: New York Times, Toronto Times, CNN, Zeitungen in Vietnam - sie alle zeigen unsere Wagen und benutzen die Bilder sogar, um politische Artikel zu illustrieren.

Wie sind Sie vom Studenten zum Meister des Wagenbauens geworden?

Tilly Kohlsches Sitzfleisch. Ein Künstler nach dem anderen ist gegangen oder gestorben, außer mir ist nur noch einer länger hier. Aber im Ernst: Dass unser Zug einen so guten Ruf hat, verdanken wir dem ganzen Team. Wagenbauen ist ein Mannschaftssport, einer alleine könnte da nichts reißen.

Wie viele Wagen wird es dieses Jahr geben, wie viele sind fertig?

Tilly Es werden wohl so zehn Wagen sein. Zwei halten wir uns immer bis ganz zum Schluss offen, um ganz aktuelle Wagen zu haben. Wir wollen ja keinen kalten Kaffee auf die Straße schicken, sondern nur heiße Ware.

Holen Sie sich morgens ängstlich oder freudig die Zeitung?

Tilly Freudig. Wir sind ja neugierig, was passiert und welche irren Entwicklungen die Welt noch nimmt. Dieses Jahr war zum Beispiel auch klar, dass wir vor der Niedersachsen-Wahl keine bundespolitischen Wagen bauen müssen. Wer hätte denn im Januar gedacht, dass wir nun noch ernsthaft darüber nachdenken müssen, ob wir einen Philipp Rösler bauen.

Und bauen Sie einen? Tilly Zu den Motiven verraten wir seit zwölf Jahren nichts mehr. Das ist auch gut so. Ich weiß gar nicht mehr, warum wir das früher gemacht haben.

Dann versuchen wir es anders: Wie viele FDP-Wagen verträgt ein Zug?

Tilly Och, viele.

Haben Sie schon mal ein Dirndl gebaut?

Tilly Netter Versuch von Ihnen.

Erinnern Sie sich noch an Christian Wulff?

Tilly Auf dem liegt schon der Staub der Geschichte. Der ist so weit weg wie Willy Brandt.

Sie sind bisher stets sehr nett mit Oberbürgermeister Dirk Elbers umgegangen. Muss er sich dieses Jahr mehr fürchten?

Tilly Wenn Sie nach Köln oder Berlin gucken, wissen Sie, dass wir es hier immer noch sehr gut haben. Da muss man einfach die Relationen wahren. Im Vergleich zum Berliner Flughafen oder der Kölner U-Bahn fällt der Umzug des Kö-Bogen-Pavillons für 800 000 Euro am Ende gar nicht so ins Gewicht.

Kann man Silvio Berlusconi satirisch noch übertreffen?

Tilly Der ist als Witzfigur nicht zu toppen.

Sie feiern dieses Jahr auch ihren 50. Geburtstag Denken Sie über Veränderungen nach?

Tilly Ich spüre noch keine Ermüdungserscheinungen. Ich finde meine Arbeit immer noch wahnsinnig spannend, ich gehe darin auf. Das ist kein Job, das ist mein Leben. Ich möchte aber nie erleben, dass ich mich wiederhole oder selbst zitiere. Dann würde ich sofort aufhören.

Was möchten Sie in den nächsten Jahren noch erleben?

Tilly Wir haben in den vergangenen Jahren Maskottchen und Logos für den Düsseldorfer Karneval entwickelt. Es wäre schön, wenn sie eines Tages wie in Viareggio oder Basel, überall in der Stadt zu sehen sind und der Karneval damit noch stärker zum Identitätskern der Stadt wird. In Köln wird man als Karnevalist geboren, in Düsseldorf muss man sich im Laufe seines Lebens entscheiden. Dass diese Entscheidung leichter fällt, dafür wollen wir kämpfen.

Christian Herrendorf führte das Gespräch.

(jco)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort