Düsseldorf Karneval von unten: So sehen Kinder den Zoch

Düsseldorf · Ortstermin in der speziellen Erlebniswelt mit hohen Wagen, hartem Süßigkeiten-Regen und der Frikadellen-Pause zwischendurch.

Der Düsseldorfer Rosenmontagszug aus der Kinderperspektive
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Der Düsseldorfer Rosenmontagszug aus der Kinderperspektive

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Die Lücke in den Reihen der Zoch-Gucker nutzen Musketier Luzia (8), Inka-Mädchen Rieke (4) und Vampir Hauke (6) sofort und schlüpfen nach vorn in die erste Reihe am Fahrbahnrand des Joseph-Beuys-Ufers. Das Sesam-Öffne-Dich-Zauberwort für die Menschenmauer war ebenso naheliegend wie unkompliziert: "Kinder bitte nach vorn, sie sollen etwas sehen können", hatten ihre Eltern Kerstin Behrens und Matthias Öing gerufen. Und schon standen die Geschwister direkt am Geschehen, neben ihnen ihre Freunde aus Schule und Kita und eine Menge anderer phantasievoll kostümierter Kinder. Denn erst mit Verkleidung fühlen sie sich zur großen Familie der Jecken gehörig und als ein Teil des Zochs.

Dieser Teil ist eine besondere Erlebnis-Welt. "Die Wagen sind riesig groß, im vergangenen Jahr hat mir der Nacken wehgetan vom Hochgucken", erzählt Luzia. Aber Angst vor den Ungetümen haben sie und ihre Geschwister nicht. Im Gegenteil: "Die Ordner an den Wagen sagen immer, zurückgehen, zurückgehen, aber es ist noch genügend Platz da", erzählt Luzia ein wenig vorwurfsvoll. Denn je näher man am Wagen stehen kann, desto größer ist die Chance, Kamelle und Süßigkeiten einsacken zu können. Und das ist mit das Wichtigste. Hauke holt sich deshalb lange Zeit, bevor der Zoch kütt, eine große Leinentasche für die Kamelle-Ausbeute von seinen Eltern. Und kaum rollt der erste Wagen heran, brüllt er gellend und begeistert "Helau, Helau, Helau" im hellen Chor der kleinen Narren.

Der dringt jedoch im allgemeinen Lärm nur schwer durch von ganz unten bis nach oben. Die Kleinen werden von Obernarren auf den Wagen schon mal leicht übersehen, es sei denn, die sind sensibilisiert wie die Amazone auf dem Wagen der Rather Aape, die bewusst über den Brüstungsrand der Wagenburg schaut und gezielt die begehrten Süßigkeiten einem Kind zuwirft, vielleicht, weil ihr ein Kostüm wie das des Vampirs von Hauke gefällt.

Die Eltern wissen um diese Schwierigkeiten und haben sich zusammengetan, brüllen laut und vernehmlich "Helau", oder "Kinderprinzengarde" oder wie sonst die Gesellschaft heißt, deren Namen auf den vorbeifahrenden Wagen zu lesen ist. Und dann regnet es meist Süßigkeiten aus der Höhe auf die Kleinen da unten. Und die sind flink, wuseln zwischen den vielen Beinen herum, grapschen nach Kamelle, Tüten mit Kaubonbons, Gummibärchen oder Schokolade.

Sie bewegen sich dort in einer Welt von ungewohnten Tönen. Das Helau wabert gedämpft in der Höhe, dafür fangen sich zwischen den Beinen und Körpern die dumpfen Bässe der Lautsprecheranlagen, die grellen Trompetenstöße, und die Pauken auf Ohrenhöhe dröhnen nachhaltig und besonders dumpf. Für Hauke scheint das faszinierend zu sein, er schaut sich das Schlagzeug eines Musik-Corps, das nach einer Lücke im Zoch heranmarschiert, aufmerksam an. Seine Schwester Luzia hat "manchmal ein bisschen Angst, dass ein Musiker den Paukenstock verliert oder mich trifft, wenn ich sehr nahe dranstehe", erzählt sie.

Aber auf dem Joseph-Beuys-Ufer bleibt meist ausreichend Platz. Deshalb haben die Eltern zusammen mit befreundeten Familien diesen Standort auch ausgewählt. Denn eine gute Logistik garantiert erst den Erfolg des Zoch-Besuchs. "Wir stehen hier seit Jahren schon auf einer Verkehrsinsel, damit Kinder in der zweiten Reihe auch etwas sehen. Außerdem sind Dixi-Toiletten in der Nähe", nennt Behrens einige wichtige Gesichtspunkte. In diesem Jahr werden sie allerdings von einer neuen Organisation des Zuges überrascht. Während des Zuges drängen plötzlich Ordner die Zuschauer zur Seite, schaffen mit Absperrungen eine Gasse, durch die sich berittene Corps und Kutschen in den Zug einfädeln können. "Deshalb ist es enger als sonst", so Behrens.

Und auch gefährlicher. Denn durch den Lärm aufgeschreckt, geht ein Pferd des Amazonencorps durch, kann durch die Reiterin mit viel Mühe gerade noch abgefangen werden. Hauke hat das kurze Durcheinander mitbekommen und beobachtet gespannt die Pferde, während ihm seine Mutter den Vorfall erklärt. Einmal abgelenkt vom Kamelle-Sammeln entdeckte er auch die Gruppe von Gartenzwergen, die hinter dem Corps herzieht. Und holt seinen Fotoapparat hervor, um ein Bild zu machen. "Das ist zum Erinnern. Wenn ich groß bin, schaue ich mir die Bilder in Ruhe an", erklärt er ernsthaft und voll Stolz, zum ersten Mal einen Fotoapparat dabei zu haben. Genauso schön wie die Zwerge findet er auch die Piraten, Luzia dagegen ist von den bolivianischen Tänzerinnen angetan, die zu flotten Rhythmen tanzen.

Die gehören eben auch zum Karneval. Sind aber nicht so wichtig wie das Helau-Brüllen nach Kamelle. Deshalb stürzen sich die Kinder wieder ins Gewühl. Im Eifer des Gefechts verliert Vampir Hauke seinen Umhang und gibt ihn den Eltern. "Der stört eben", sagt seine Mutter. Und Luzia trennt sich von ihrem Musketier-Dreispitz, weil der im Gerangel um süße Beute mit den anderen Kindern wegen seiner Größe hinderlich ist. Vor dem Zug hatte Luzia ihn noch für nützlich gehalten, "weil die Bonbons weh tun, wenn sie auf den Kopf fallen". Und prompt wird sie auch von Kamelle hart getroffen, die von den hohen Wagen herunterprasseln, vergießt ein paar Tränen und sucht Trost bei der Mutter. Wie auch wenig später Hauke, den die Oma tröstet. Der ist traurig, "weil die größeren Kinder viel besser an die Bonbons kommen", ruft aber wenig später noch engagierter Helau, um Bonbons zu ergattern. Mit Erfolg, seine Tasche ist bald so schwer, dass er eine zweite Tasche von den Eltern fordert.

Die haben vorgesorgt und eine Art Logistik-Center mitgebracht — neben den Taschen auch Mützen, Handschuhe, kalte und warme Getränke und, besonders wichtig, Brötchen und Frikadellen. Denn auch wenn die Gruppen und Wagenmannnschaften mit Musik und Süßigkeiten locken, "um die Mittagszeit bekommen Kinder Hunger", sagt Behrens. Tatsächlich taucht Hauke bald wieder auf — seit knapp zwei Stunden rollen die Wagen mittlerweile vorbei — und fragt nach einer Frikadelle. "Mit viel Ketchup", bittet er. Der ist schließlich rot und passt zur Mahlzeit eines Vampirs.

Hauke scheint die Pause vom Getümmel zu genießen. Auch seine kleinen Schwester Rieke nimmt eine kleine Auszeit, schaut sich auf den Schultern ihres Vaters das bunte Treiben mal von oben an und genießt das Wippen im Takt der Stimmungslieder. Ähnlich wie eine Zweijährige auf den Armen ihrer Mutter. Die hält es für wichtig, dass ihre Tochter möglichst früh das Feiern miterlebt, "sie ist schließlich in Düsseldorf geboren und muss den Karneval kennenlernen", sagt die zugereiste Hessin.

Gestärkt geht Hauke wieder an die Kamelle-Front und sammelt, was das Zeug hält, macht aber auch mal Pause, um frisch ergatterte Gummibärchen zu probieren. Und dann ist es plötzlich merklich ruhiger, ist der letzte Wagen vorbeigerollt. "Schade", sagte Hauke. "Ich hätte bestimmt noch zehn Wagen angucken können." Aber sein Vater kann ihn schnell trösten mit einem Tanz zusammen mit anderen Kindern. Platz ist jetzt genug, auch da unten.

(RP)
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