Düsseldorf K 21: Ein Kino für die Kunst

Düsseldorf · Im Ständehaus werden Videos gezeigt – auch eines, das aktueller nicht sein könnte: vom Erdbeben aus dem Jahr 2008, 50 Kilometer von Fukushima entfernt aufgenommen. Endlich wird das Schmela-Haus in der Altstadt als Galerie genutzt: Dort geht es irritierend, anspruchsvoll, zeitnah zu.

Im Ständehaus werden Videos gezeigt — auch eines, das aktueller nicht sein könnte: vom Erdbeben aus dem Jahr 2008, 50 Kilometer von Fukushima entfernt aufgenommen. Endlich wird das Schmela-Haus in der Altstadt als Galerie genutzt: Dort geht es irritierend, anspruchsvoll, zeitnah zu.

Unerwartet ist dieser Raum: Das Kino für die Kunst lockt sicherlich Besucher verstärkt ins Ständehaus. Unerwartet auch die Worte von Marion Ackermann, die eigentlich zuallererst vor der Presse zu den bedrückenden Ereignissen in Japan sprechen will, es auch mit wenigen Worten tut. "Wir können alle nicht business as usual machen. Ich habe mir intensiv überlegt, was wir als Haus für einen Beitrag zu Japan bringen können", sagt die Direktorin, "doch ich bin zu der Überzeugung gekommen, dass nur die Kunst selbst die Antwort sein kann — tröstend wie prophetisch." Aktuell sei etwa in der Fotoausstellung von Thomas Struth im K 20 eine Arbeit zu sehen, die den gigantischen Schlund eines Atomreaktors zeigt.

Und in der nun eröffneten Schau im Ständehaus, die unter dem Titel "Big Picture" spektakuläre zeitgenössische Videoarbeiten versammelt, klingt dasselbe Thema an. Nur 50 Kilometer von Fukushima entfernt, dem Ort in Japan, der derzeit die ganze Welt in Angst und Schrecken versetzt, hat die Schweizer Künstlerin Natacha Nisic im Jahr 2008 die von einem Erdbeben damals schon aufgewühlte Landschaft aufgenommen — von tiefem Donnern untermalt montierte sie verstörende Szenarien auf zwei Zeitschienen: Einmal filmte sie direkt nach dem Erdbeben und dann ein Jahr später.

Die fantastische Videosammlung hat nun im Untergeschoss des ehrwürdigen Ständehauses Einzug gehalten, aufwendige Umbauten und Soundmaßnahmen bedienen perfekt das Medium, das mehr als alle anderen ein Seismograph unserer Zeit ist. So taucht der Besucher ein in das Labyrinth der Kinosäle, das verschlungen und geheimnisvoll an entfernte Orte der Welt führt und doch naheliegende Situationen und Gefühle thematisiert.

Traumatisierend wirkt auf den Betrachter das Dröhnen der Alarmglocken, Menschenschinderei ist in einer südafrikanischen Goldmine an der Tagesordnung. Steve McQueen hat das Sozialdrama aufgezeichnet. Schwindelerregend der Blick auf die Alpen — vom Hubschrauber aus hat der Kanadier Mark Lewis Fahrten und Zooms aufgenommen, Bilder erzeugt, die sich so gut wie gar nicht bewegen. In der Langsamkeit der Veränderung liegt die Faszination dieser Panoramen.

Auf Selbsterfahrungstrip begibt sich hingegen der Brite Richard T. Walker, setzt sich in der kalifornischen Wüste der Natur aus. Musikalische Performances unterstreichen seine leisen Seh-Erlebnisse.

Fast am eindringlichsten ist der vierfach bespielte Videoraum der Iranerin Shirin Neshat. Verschleiert bewegt sich die Künstlerin selber, schnellen Schrittes und laut keuchend, durch verschiedene Straßen und Räume ihrer Heimat. Sie sagt, die Arbeit zeige die ideologische Teilung des Raumes, die dazu dient, Geschlechter zu trennen und gesellschaftliche Rollen festzulegen.

Von heute ist auch die Zusammenstellung von neun Positionen im umfunktionierten Galeriehaus. Als Probebühne für interdisziplinäre und experimentelle Projekte soll das dreigeschossig genutzte architektonische Denkmal in Zukunft reaktiviert werden. Auf zwei große Meister wird Bezug genommen: auf den niederländischen Architekten Aldo van Eyck und dessen kühnen Entwurf, sowie auf Joseph Beuys, mit dessen Einzelausstellung die legendäre Galerie Schmela 1971 eröffnet wurde.

Das Schmela-Haus ist nicht wiederzuerkennen und muss seine Reifeprüfung als Ausstellungshaus noch bestehen. Fragen über Fragen auf drei Etagen: Das große Fenster zur Mutter-Ey-Straße wurde übersprüht, die meisten Kunstwerke sind schwer zu finden durch die gewollte Verwebung von Raum und Kunst im Raum. Dazu ist das, was aufgespürt wird, schwer zu entschlüsseln. Kein Wunder, dass eine verzweifelte Besucherin regelrecht zetert: "Nun bin ich dreimal hier raus- und reingegangen und habe Jenny Holzer nicht gefunden." Die Kuratorinnen sind zur Stelle, besänftigen, erklären. Alles ist genau so gewollt, es ist eine gedankenschwere Experimentierstube entstanden in Küche, Wohnzimmer und auf den Fluren des berühmten Galerie-Wohnhauses. Irritation ist ausdrücklich erwünscht.

(RP)
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