Düsseldorf Jenni ist 15, Mutter - und will in die zehnte Klasse

Düsseldorf · In Deutschland bringen jedes Jahr rund 4000 Mädchen unter 18 Jahren ein Kind zur Welt. Jenni G. aus Benrath ist eines von ihnen.

 Jenni mit ihrer Tochter Mia. Die beiden leben in einem Mutter-Kind-Haus in Benrath — und fühlen sich wohl.

Jenni mit ihrer Tochter Mia. Die beiden leben in einem Mutter-Kind-Haus in Benrath — und fühlen sich wohl.

Foto: Schaller,Bernd

Wenn Jenni G. ihre Geschichte erzählt, kommt schnell der Punkt, an dem ihr Gegenüber sie trösten will. Dabei braucht sie weder Trost noch Mitleid, schließlich ist sie nicht krank - sondern Mutter. Gerade erst ist Jenni 15 Jahre alt geworden. Ihre Tochter heißt Mia.

An diesem sommerlichen Vormittag sitzt sie auf dem Sofa im Wohnzimmer des Ulrike-Frey-Hauses. In der Mutter-Kind-Einrichtung der Diakonie in Benrath leben zehn minderjährige Mütter mit ihren Kindern. Vom Flur ist das Schreien der Babys zu vernehmen. Jenni stört das nicht. Sie lächelt - und erzählt.

Der 26. April 2013 war der Tag, an dem ihr Leben eine unerwartete Wendung nahm. Mit ihrem Vater, seiner Freundin und deren Tochter war Jenni vor Kurzem nach Bad Münstereifel gezogen. Dass Schlagersänger Heino dort zu Hause ist, machte die biedere Kleinstadt für das junge Mädchen nicht unbedingt interessanter. Dafür sorgte schon eher der 15-jährige Tobias, der die achte Klasse einer Hauptschule besuchte, die direkt neben Jennis Realschule lag. Seit genau sechs Tagen waren sie ein Paar. Für Jenni war Tobias ihre erste große Liebe. Und zu Liebe gehörte für Jenni auch Sex. Es sei "ganz spontan" passiert, man habe auch verhütet. Als sie ihre Tage nicht bekam, nahm Jenni das nicht ernst. Erst als sie sich immer öfter übergeben musste, schöpfte sie Verdacht und machte einen Test: Sie war im dritten Monat schwanger.

Ab da veränderte sich ihr Leben. Mehr Pflichten, weniger Freizeit. Und doch kichert Jenni immer wieder, während sie das alles erzählt. Mittlerweile hält sie Mia im Arm und streichelt ihr liebevoll über den Kopf. "Als ich wusste, dass ich schwanger bin, habe ich den ganzen Tag nur geheult. Das Leben mit einem Kind konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen", sagt sie. Viele Fragen rasten ihr durch den Kopf. Würde Tobias sie sitzenlassen? Wie geht es mit der Schule weiter? Und was sagen ihre Eltern?

Mit Tobias sprach sie zuerst. Oft lassen junge Väter ihre Freundinnen mit dem Kind alleine, weil sie sich für eine eigene Familie noch nicht reif genug fühlen. Doch zu Jennis Überraschung freute sich Tobias gleich auf sein Kind und wollte Verantwortung übernehmen.

Dann war Jennis Mutter an der Reihe. "Du bist ja meine Mama und musst immer zu mir halten", schrieb sie ihr in einer SMS. Die Mutter wusste sofort, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. Auch Jennis Mutter reagierte verständnisvoll, sagte Unterstützung zu.

Zuletzt informierte sie ihren Vater. Seine Reaktion verletzt Jenni bis heute. "Er wollte unbedingt, dass ich abtreibe", sagt sie. In den Sommerferien zog sie nach einigen Querelen schließlich zurück zu ihrer Mutter nach Düsseldorf.

Zu ihrer Mutter hat Jenni aktuell ein gutes Verhältnis. Das war nicht immer so. Als sie zwei war, trennten sich ihre Eltern und Jenni blieb zunächst bei ihrer Mutter. Aber je älter Jenni wurde, desto mehr stritten sie sich. Über schlechten Umgang, schlechte Noten, gefälschte Unterschriften unter Klassenarbeiten.

Aber in den vorigen Sommerferien dachte Jenni nicht an die Schule. Sie informierte sich über Adoption und Abtreibung. Doch Jenni wollte das Kind bekommen. Sie besichtigten Mutter-Kind-Einrichtungen und entschieden sich für das Ulrike-Frey-Haus. Hier sind rund um die Uhr Betreuer vor Ort und helfen. Jenni lebte sich gut ein, bis in den neunten Monat hinein besuchte sie die neunte Klasse der Realschule in Benrath. Mit ihrem dicken Bauch zur Schule zu gehen hatte ihr Angst gemacht, doch niemand ärgerte sie. Nur auf dem Schulhof und in der U-Bahn machte sie andere Erfahrungen: Ein Junge aus der siebten Klasse sagte, er würde sie gerne mal nach Hause rollen. In der Bahn waren es meist ältere Menschen, die auf sie zeigten und Jenni als asozial beschimpften.

Am 22. Januar wurde Mia geboren. "Es war aufregend", sagt Jenni, bis auf kleinere Komplikationen verlief alles gut. Die Mutter, Tobias und dessen Mutter waren gleich nach der Geburt bei ihr.

Es ist 13 Uhr, Mittagessen. Jeden Tag kocht eines der Mädchen. Heute gibt es Chili con Carne. Alle essen gemeinsam. Eine feste Regel, an die sich die Mütter halten müssen. Nicht die einzige. Jedes Mädchen hat neben seinem Zimmer einen Bereich, den es sauber halten muss. Hinzu kommen penibel geregelte Waschtage, Aufräumzeiten und ein festes Kontingent an Stunden, in dem die Mädchen das Haus verlassen dürfen. Spätestens um 18 Uhr müssen sie zurück sein. Ausnahmen gibt es nur am Wochenende. Ein fester Tagesablauf soll den Mädchen eine Struktur geben, die sie von zu Hause oft nicht kennen. Nun kann man mit Vorschriften bei Teenagern meist keinen Zuspruch gewinnen, doch gefällt Jenni dieser Umstand am besten. Ihr Tag beginnt damit, Mia die Flasche zu geben. Dann wird das Baby gewaschen und angezogen, beide gehen in die Kita, die sich im Erdgeschoss befindet. Mia ist in der Eingewöhnungsphase, deshalb bleibt Jenni oft noch etwas da. Anschließend hat sie ein paar Stunden Freizeit. Nachmittags geht sie mit Mia oft spazieren. Spätestens um 22 Uhr fallen ihr die Augen zu.

Jenni fühlt sich wohl in der Einrichtung - und als Mutter. Mit der 17-jährigen Siriem hat sie eine neue beste Freundin gefunden. Nach den Sommerferien will Jenni in die zehnte Klasse gehen. "Ich werde mich anstrengen", sagt Jenni. Einen guten Abschluss will sie machen und ihrer Tochter ein Vorbild sein. Einfach wird das nicht und sicher wird ihr all das manchmal über den Kopf wachsen. Doch eines will Jenni auch dann nicht: Mitleid. Sie ist schließlich nicht krank, sondern eine glückliche Mutter.

(RP)
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